HIER WOHNTE
AUGUST HERMANN
ZEIZ
JG. 1893
IM WIDERSTAND / SPD
FLUCHTHELFER
FLUCHT 1935 ÖSTERREICH
MEHRFACH INHAFTIERT
3.7.1943 KZ DACHAU
ENTLASSEN 17.1.1944
August Hermann Zeiz wurde am 23. September 1893 in Köln geboren. Sein späteres Leben spielte sich in den Metropolen Danzig, Berlin und Wien ab. Er war als Dichter, dann als Gerichtsreporter und Journalist, und schließlich als Bühnenautor und Literaturagent tätig.
Frühe biographische Spuren führen nach Danzig-Dirschau, wo der Vater Heinrich Zeiz von Köln hin versetzt worden war. Der Vater war preußischer Regierungs-Diätar.
Diätare trieben seinerzeit für den Staat Steuern und Pachtzins ein.
Der Umzug erfolgte wohl um 1900, als August gerade in Köln-Ehrenfeld eingeschult worden war.
Der Vater verstarb 1911 im Alter von 55 Jahren. August war damals gerade 18 Jahre jung. Seine Mutter Johanna Zeiz konnte den Lebensunterhalt der Familie dank einer Erbschaft sichern. August hatte drei Schwestern: Charlotte Caroline Eugenie Zeiz (geb. 1895), Margarete Zeiz (1897) und Marianne Jenna Zeiz (1901).
Er besuchte in Langfuhr, einem Vorort von Danzig, eine seinerzeit moderne Realschule, das Conradinum, wo übrigens auch Günter Grass beschult wurde. Die Schülerschaft kam aus allen Schichten und Milieus. Die Ausbildung war sowohl humanistisch als auch lebenspraktisch angelegt. „Man fragte nicht nach Konfession oder Herkunft, es galt nur die Leistung.“, berichtet ein ehemaliger Schüler.
Nach dem Abschluss der Realschule verwarf August seinen ursprünglichen Plan, die Oberrealschule des Conradiums zu besuchen, was ihm nach erfolgreichem Abschluss die Möglichkeit eines späteren Studiums eröffnet hätte.
Stattdessen entschied er sich für eine Verlagsbuchhändlerlehre in München. Damit folgte er seinen journalistisch-literarischen Interessen. Damals galt der Beruf des Verlegers als ideal, um künstlerische Selbstverwirklichung, Reisen und sicheren Broterwerb zu verknüpfen.
Auch entstand damals eine Vielzahl kleiner Verlage. Insgesamt herrschte Aufbruchstimmung. In diesem Umfeld begann August seine berufliche Laufbahn beim Hans Sachs-Verlag in München und Leipzig. Er schloss die Lehre 1913 ab. 1911 legte er seinen ersten und auch einzigen Gedichtband vor. Der Titel lautete: „Im Spiegel“. Versammelt sind hier 28 Gedichte zu den Themen Einsamkeit, Natur und Sehnsucht nach Liebe.
1914 zog er als Freiwilliger in den 1. Weltkrieg ein. Er kämpfte sowohl an der West- als auch an der Ostfront.
1915 heiratete er Gertrud Segall. Im selben Jahr wurde ihr gemeinsamer Sohn Hanno geboren.
August Zeiz schickte Kriegsberichte an Theodor Wolff, seinen väterlichen Freund und Chefredakteur des links-liberalen „Berliner Tageblatt“. Dieser veröffentlichte die Texte unter der Rubrik „Feldpost“ in seinem Blatt. August vermittelte darin ein ungeschminktes Bild des Krieges. Anders als offizielle Kriegskorrespondenten, deren Berichte schärfer zensiert wurden.
Er schildert die grausamen Geschehnisse der Front: „Sffüt rrax! Machen die Granaten. Sffüt rrax! (…) Alles wankt. Die trockene Erde fällt von den Wänden, und wir sitzen ganz still da, geduckt und warten auf die Granate, die uns in unserem Erdloch zerschmettern wird. Diesmal kommt sie nicht. (…) Eine Zigarre, die auf dem Tische liegt, brennt ein Loch in einen Handschuh, niemand nimmt sie weg.“
Später verarbeitete er seine Erfahrungen in der kriegskritischen Debütnovelle „Tanz um den Tod“. Die Novelle erschien 1918, fand jedoch wesentlich weniger Leser im Vergleich zu „Im Westen nichts Neues“, dem Anti-Kriegs-Bestseller von 1929 von E. R. Remarque.
Seine Fronterlebnisse machten ihn zu einem Kämpfer für einen engagierten Humanismus. Als ethischer Sozialist strebt er nach grundlegender gesellschaftlicher Veränderung.
Dies thematisierte er auch in seinem Roman „Die roten Tage“, die die Revolution Anfang der 20´er Jahre und den Spartakus-Aufstand behandelte. Politisch stand er dem linken Flügel der SPD nahe. Er schrieb beispielsweise für „Die Rote Fahne“.
Doch in den folgenden Jahren rückte er vom politischen Aktivismus ab und konzentriert sich als Journalist auf das Verfassen von Gerichtsreportagen, seine ausgezeichnete Beobachtungsgabe nutzend. Er fokussierte sich auf das Psychologische im Gerichtssaal, zeigte Empathie für die Angeklagten und schuf aus den juristischen Fällen menschliche Geschichten.
Als Lokal- und Gerichtsreporter des Berliner Tageblatts dokumentierte er so die sozialen und ökonomischen Verhältnisse der jungen Weimarer Republik.
Seine Kollegin war die Schriftstellerin Gabriele Tergit. Sie wurde als Autorin des Familienromans „Die Effingers“ bekannt.
Gleichzeitig begann August auch für die aufkommende Filmindustrie und besonders für die Bühne zu schreiben.
1934, ein Jahr nach der Machtergreifung durch die Nazis, begann August Zeiz die Härte des Regimes zu spüren: er wurde aufgrund seiner politischen Haltung beim „Berliner Tageblatt“ fristlos entlassen. Er beschloss als Unterhaltungsschriftsteller den Lebensunterhalt für seine Familie und sich zu verdienen.
Zusätzlich vermietete die Familie ihre damalige große 5-Zimmerwohnung und zog zu seiner Mutter nach Berlin-Zehlendorf. Seine Frau arbeitete als Entfleckerin, verdiente mit dieser Tätigkeit 20 Reichsmark in der Woche.
„Da meine Frau Jüdin war, war nicht daran zu denken, dass ich jemals die Zulassung zur Pressekammer bekommen würde. Ich stellte mich infolgedessen auf den Boden der gegebenen Tatsachen und schrieb mein erstes Stück „Die elf Teufel „unter dem Namen Georg Fraser.“
Das Stück wurde von der NS-Theaterkontrolle abgesegnet. Es war ein großer Publikumserfolg. Sein Agent, der das Stück vertrieb, war Georg Marton. Mit Marton entwickelte sich eine jahrzehntelange beruflich und persönliche Verbindung.
Aufgrund der geschilderten Probleme dürfte August Zeiz im Laufe des Jahres 1935 den Entschluss gefasst haben, Deutschland zu verlassen. Vermutlich in der Absicht die NS-Bürokratie zu täuschen, konvertierte Familie Zeiz ungefähr Mitte 1935 zum Katholizismus.
Der bereits erwähnte Georg Marton galt als einer der umtriebigsten Literaturagenten für Theater und Film. Sein Bühnenvertrieb hatte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts Zweigstellen in Wien, Berlin, Paris, London und Hollywood. Heute würde man sagen Marton war ein begnadeter Netzwerker.
Marton erfand auch „The Marton Play Factory “. Ein Kollektiv aus Autoren, das Bühnenwerke und Filmideen quasi am Fließband produzierte, zu denen auch August Zeiz zählte.
Als Marton vor den Nazis fliehen musste, übergab er August Zeiz die Leitung des Verlags in Wien. So konnten sie der Gefahr der Enteignung zunächst entgehen.
Mit dem sogenannten Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich 1938 verschärften sich jedoch die Lebensbedingungen. August Zeiz galt als „unerwünschter“ Journalist, er war mit einer Jüdin verheiratet und sympathisierte mit sozialistischen Ideen. Im Dezember 1938 wurde August Zeiz von der Gestapo wegen angeblicher Devisenvergehen verhaftet. Er blieb bis Anfang 1939 im Gefängnis.
Da im Fall von Gertrud und August Zeiz der männliche Partner „arisch” und die Familie nicht jüdischen, sondern katholischen Glaubens war, galt die Ehe als sogenannte “privilegierte Mischehe”. Gertrud Zeiz konnte sich in relativer Sicherheit wähnen, solange ihr Ehemann nicht die Scheidung einreichte, beim Regime nicht in Ungnade fiel oder verstarb. Wie sich zeigte, ging die Schutzfunktion sofort verloren, als ihr Mann verhaftet wurde.
Trotzdem erhielt August Zeiz unter dem Pseudonym Georg Fraser bis 1942 laufend Sondergenehmigungen durch Hans Hinkel, den „Sonderbeauftragten für die Überwachung und Beaufsichtigung der Betätigung aller im deutschen Reichsgebiet lebenden nichtarischen Staatsangehörigen auf künstlerischem und geistigem Gebiet“. Diese Genehmigung erlaubte ihm, die weitere Ausübung seines Berufes. Doch warum erhielt er diese Genehmigungen?
Hans Hinkel, fanatischer Anhänger Adolf Hitlers und einer der einflussreichsten Funktionäre im Machtbereich von Propagandaminister Joseph Goebbels, blieb ihm lange Zeit gewogen. Damit trat ein mit Ausgrenzung und Kontrolle des jüdischen Kulturlebens befasster Blutordensträger und hoher SS-Funktionär als eine Art „Schutzherr” des jüdisch „versippten” Zeiz in Erscheinung.
Die von Hinkel vermutlich aus persönlicher und künstlerischer Wertschätzung erteilten Sondergenehmigungen sicherten Zeiz von 1935 bis 1943 die Tarnung für seine systemdestabilisierenden Aktivitäten. Er fuhr eine zweigleisige Strategie, führte ein lebensgefährliches Doppelspiel:
Nach außen hin war er ein erfolgreicher Theater- und Filmautor, dessen Stücke an deutschen, österreichischen und – bis Kriegsbeginn – auch Theatern im fremdsprachigen Ausland – gespielt wurden.
Mit den Tantiemen aus seinen Bühnenstücken finanzierte er nicht nur den Lebensunterhalt der Familie, sondern auch die Flucht jüdischer Mitbürger in das sichere Ausland. Darüber hinaus fungierte er als Kontaktmann zum tschechischen, russischen und „rotspanischen” Nachrichtendienst und stand mit dem Berliner Zentralkomitee der KPD in Verbindung; nach Kriegsbeginn verfasste er für Gesinnungsfreunde die regimekritische Soldatenzeitung „Der rote Frontsoldat“.
In den Räumlichkeiten des ehemaligen Verlages Marton in Wien errichtete er eine Zentralstelle für den alliierten Nachrichtendienst mit einer Schweizer Zweigstelle, die sein Sohn Thomas führte.
1943 wurde er erneut verhaftet. Er hatte gefälschte Ausweispapiere für eine Jüdin besorgt. Er kam ins KZ Dachau, wo er bis Januar 1944 eingesperrt war. In dieser Zeit wurde Getrud Segall aus der Wohnung in Wien nach Auschwitz deportiert und ermordet. August Zeiz erfuhr davon erst nach seiner Entlassung aus dem KZ.
Nach der Entlassung aus Dachau nahm er die Widerstandstätigkeit sofort wieder auf, „diesmal mit besonderer Verbissenheit und mit dem festen Vorsatz, „ebenfalls zu sterben, falls mir die Gestapo ein Bein stellen sollte“.
Er schloss sich der Freiheitsbewegung seines Dachauer Mithäftlings Hans Sidonius von Becker an.
Er war Mitbegründer der Widerstandsgruppe O5, seine Wohnung diente als konspirativer Treffpunkt. Von hier aus versuchte er, den österreichischen Widerstand zu koordinieren.
Aufgrund der heterogenen Struktur der Widerstandsbewegung sowie der besonderen Bedingungen politischer Aktivität im Untergrund, glückte dies nur bedingt. Auch in Österreich scheiterte der militärische Widerstand gegen Hitler. Wie in Berlin wurden alle Beteiligten hingerichtet; einzig Major Carl Szokoll, Wiener Schlüsselfigur des 20. Juli 1944, blieb unentdeckt.
Im Dezember 1944 erfolgte die Gründung des „Provisorischen Österreichischen Komitee“ mit dem sogenannten Siebener Ausschuss an der Spitze, dem u.a. auch August Zeiz angehörte.
Der Ausschuss kooperierte mit Major Szokoll, nun strategischer Kopf der militärischen Wiener Befreiungsaktionen. Es gelang den Widerständlern Kontakt mit dem russischen Oberkommando aufzunehmen und so die völlige Zerstörung der Stadt Wien zu verhindern.
Nach Kriegsende baute August Zeiz den Verlag Marton (später Thomas Sessler-Verlag) wieder auf, konnte jedoch nicht mehr an seine früheren Theatererfolge anknüpfen. Gemeinsam mit seinem Sohn konnte er ihn – vor allem mit dem Erwerb der Rechte an den Werken Ödön von Horvaths – durch die schwierige Nachkriegszeit steuern. Seine literarische Produktion reduzierte er allerdings auf ein Minimum.
Die traumatischen Erfahrungen während der Nazidiktatur gepaart mit Geldsorgen überforderten ihn zunehmend. Ende der 50er-Jahre siedelte er zu seiner Schwester Charlotte nach Berlin über, die sich seiner annahm. Hier in Berlin starb er am 30. August 1964.
Sein Widerstand wurde in Österreich spät gewürdigt. Erst 1977 verlieh ihm der damalige Bundeskanzler Bruno Kreisky posthum eine Ehrenmedaille als Widerstandskämpfer.
Abschließend muss das bewegte Leben des Schriftstellers August Zeiz im Dritten Reich als Ausnahmefall betrachtet werden. Er gehörte zu den führenden Köpfen des österreichischen Widerstandes gegen den Nationalsozialismus und inszenierte ein lebensgefährliches Doppelspiel: Einerseits bediente er mit seinen Theaterstücken nationalsozialistische Klischees, andererseits agitierte er im Untergrund gegen das Regime.
Warum die Familie nach dem „Anschluss” 1938 in Österreich blieb und nicht gemeinsam mit dem Sohn in die Schweiz emigrierten, bleibt offen. Möglicherweise wähnte sich August Zeiz durch das angesprochene Wohlwollen des Nazi-Funktionärs Hinkel und dessen Sondergenehmigungen in Sicherheit.
Letztlich zeigt die Lebensgeschichte von August Zeiz, wie die NS-Diktatur in Familien einbrach und sie zerstörte.
Text: Matthias Herrmann (2024)
Quellen:
Silke Engel: August Hermann Zeiz (1893–1964). Dichter, Gerichtsreporter, Bühnenautor, Literaturagent: ästhetische Wandlungen und politischer Widerstand im Literaturbetrieb der Moderne. Ergon Verlag, Würzburg 2017.
Karin Gradwohl-Schlacher: „Gestern wurde Frieden gemacht“. August Hermann Zeiz alias Georg Fraser im Dritten Reich. In: Jahrbuch für Antisemitismusforschung. 10, 2001, S. 223-238 (PDF).
Ulrich N. Schulenburg: Verlagsgeschichte. In: Sie werden lachen, alles ist war. Anekdoten eines Glücksritters. Almathea, Wien 2011(https://sesslerverlag.at/ueber-uns/)