Stolpersteine Wielandstraße 36

Wielandstraße 36

Der Eingang zum Haus Wielandstraße 36

Dieser Stolperstein wurde am 12. Juni 2024 verlegt.

Gleitmann, Laja, Wielandstraße 36

HIER WOHNTE
LAJA GLEITMANN
JG. 1890
DEPORTIERT 29.10.1941
ŁODZ / LITZMANNSTADT
1942 CHEŁMNO / KULMHOF
ERMORDET 4.5.1942

Laja Gleitmann wurde am 23. Juni 1890 im polnischen Niwka geboren.
Über ihre Familie und ihre genaue Herkunft haben sich bislang keine Informationen finden lassen.
Irgendwann muss sie von dort nach Berlin gezogen sein. Zum Zeitpunkt der Minderheitenzählung 1939 lebte sie in der Wielandstraße 36.
Dort hat sie auch gearbeitet.
In der Deportationsliste ins Getto Litzmannstadt ist sie als Heimarbeiterin verzeichnet.
Möglich, dass sie im Hause in der Schneiderei von Sophie Schur tätig war.

Sophie Schur konnte sich durch Flucht nach Glasgow der Verfolgung und Ermordung entziehen, ihre Schwester Martha, die ebenfalls in der Wielandstraße 36 lebte, wurde in Auschwitz ermordet. Für sie wurde, wie für Laja Gleitmann, im Juni 2024 ein Stolperstein verlegt.

Laja Gleitmann musste nach der Minderheitenzählung die Wielandstraße verlassen.
Zuletzt lebte sie in der Kaiser-Friedrich-Straße 103 bei Lisa Schwarz. Von dort wurde sie am 27. Oktober 1941 zunächst in die von der Gestapo entweihte und als Sammellager missbrauchte Synagoge in der Levetzowstraße in Berlin-Tiergarten gebracht und am 29. Oktober mit dem 3. Berliner Osttransport nach Litzmannstadt (Łódź) ins Ghetto deportiert. Von der Gestapo wurde sie dort als arbeitsfähig eingestuft.

Nachdem in kürzester Zeit im Herbst 1941 tausende Jüdinnen und Juden ins Getto Litzmannstadt deportiert worden waren, waren die Lebensumstände in drangvoller Enge erbärmlich.

Am 4. Mai 1942 musste Laja Gleitman einen Lastwagen besteigen, wurde mit einer Gruppe anderer Ghettobewohner nach Kulmhof (Chelmno) transportiert und dort am selben Tag durch Einleitung von Gas in das Fahrzeug ermordet.

Text: Hanni Hüsch (Stand Oktober 2024)
Quellen: u.a. Mapping the Lives, Arolsen Archives, Staatsarchiv Łódź

Schur, Martha, Wielandstraße 36

HIER WOHNTE
MARTHA SCHUR
JG. 1890
DEPORTIERT 3.3.1943
AUSCHWITZ
ERMORDET

Martha Schur wurde am 22. Februar 1890 als fünftes von sechs Kindern der Eheleute Feigel Fritze Schur, geb. Cohn, und des Zigaretten Arbeiters Jamal Hirsch Schur in Berlin geboren.
Als ihre Geburtsadresse ist der Neue Markt 7 in der Geburtsurkunde vermerkt.
Gemeinsam mit ihrer ebenfalls ledigen jüngeren Schwester Sofie zog Martha spätestens zu Beginn der zwanziger Jahre nach Charlottenburg in die Wielandstraße 36. Dort betrieb die am 6. Januar 1893 geborene Sofie eine Modeschneiderei. Ihre Kundschaft war die feine Charlottenburger Gesellschaft, die gerne bei der auf „Backfischmoden“ spezialisierten Schneiderei arbeiten ließ.

Die Schwestern führten nach späteren Aufzeichnungen von Sofie Schur ein Leben ohne finanzielle Sorgen. Im jüdischen Telefonbuch ist Martha 1931 als Martha-Mary eingetragen.
In den städtischen Adressbüchern finden sich Einträge unter Geschwister Schur und Modeatelier Schur.

Mit der Machtergreifung der Nazis änderte sich alles. Die Kundschaft blieb aus, nach dem Gewerbebetreibungsverbot für Juden wurde es immer schwieriger, den Lebensunterhalt zu verdienen. Zunächst noch im Verborgenen ausgeführte Arbeiten wurden unmöglich, die Gefahr denunziert und verraten zu werden, war zu groß.
Sofie Schur schaffte es im Juni 1939 aus Deutschland nach Glasgow zu fliehen, Martha blieb zurück und musste die Wielandstraße zwangsweise verlassen.

Von 1941 an musste sie dann Zwangsarbeit leisten im Berliner Elektrokonzern Siemens & Halske. Für die Wehrmacht fertigte das Unternehmen u.a. Scheinwerfer, Ferngläser und Feldtelefone.
Zuletzt wohnte Martha Schur in der Holsteinischen Straße 52, als Untermieterin der Eheleute Gross. Der kärgliche Arbeitslohn von 28 Reichsmark ging beinahe komplett für die Miete drauf.

Bei der Fabrikaktion am 2. März 1943 wurde Martha Schur festgenommen und ins Sammellager in der Levetzowstraße gebracht. In der Vermögenserklärung für die Nazis, die sie erstellen musste, ist kein Besitz aufgeführt; es blieb lediglich ein halber Monatslohn, 14,38 Reichsmark. Nach ihrer Deportation wurde das Geld eingezogen.

Am 3. März 1943 wurde sie mit dem 33. Osttransport nach Auschwitz deportiert, in qualvoller Enge mit 1885 anderen Deportierten.
Ein Todesdatum gibt es nicht, lapidar heißt es: Martha Schur – „in Auschwitz verschollen“

Sofie Schur überlebte den Holocaust. Sie kehrte 1951 schwer gezeichnet nach Berlin zurück, wohnte zunächst bei ihrer Schwester Rosa Thiele, die in „privilegierter Mischehe“ die Gräuel der Naziherrschaft überstand. Jahre kämpfte Sophie um ihre kleine Rente. Sie starb 1971.

Bereits am 25. Oktober 1941 war eine weitere Schwester, Bella Freimuth (*1867) von Hamburg aus nach Łódź deportiert worden. Zusammen mit ihrem Mann Emil (*31. März 1880) und ihrer Tochter Renate (*7. August 1925) wurde sie am 2. September 1942 im Vernichtungslager Chelmno (Kulmhof) vergast. Sohn Edgar (*27. April 1922) kam über Theresienstadt nach Auschwitz und wurde dort am 1. Februar 1943 ermordet.
An die Familie erinnern Stolpersteine in der Hamburger Isestraße.
In Erinnerung an Martha Schur wurde im Juni 2024 ein Stolpersterin in der Wielandstrasse 36 verlegt.

Text : Hanni Hüsch (Stand August 2024)
Quellen:
Entschädigungsbehörde, Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Arolson Archives, historische Adressbücher.