HIER WOHNTE
DR. FELIX HIRSCHFELD
JG. 1863
GEDEMÜTIGT / ENTRECHTET
FLUCHT IN DEN TOD
16. JULI 1938
Felix Hirschfeld wurde am 6. September 1863 im niederschlesischen Militsch (heute Milicz in der Woiwodschaft Niederschlesien, województwa dolnośląskiego) geboren. Nach dem frühen Tod des Vaters lebte die Familie in Ratibor. Die Reifeprüfung legte Felix Hirschfeld im Herbst 1881 am Königlichen Gymnasium zu Ratibor ab. Sein Medizinstudium absolvierte er an den Universitäten von Würzburg, Berlin und Breslau. Einer seiner frühen Lehrer an der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität war der physiologische Chemiker Ernst Leopold Salkowski (1844-1923). Nach seiner 1886 erfolgten Promotion war er zunächst im chemischen Laboratorium des von Rudolf Virchow (1821-1902) geleiteten Pathologischen Instituts beschäftigt.
Von 1889 bis 1894 war Dr. Hirschfeld am Krankenhaus Moabit tätig. Als das von Robert Koch entwickelte Tuberkulin 1890/91 als vermeintliches Heilmittel gegen Tuberkulose in die Klinik eingeführt wurde, stand Hirschfeld mit Koch und dessen Mitarbeiter Paul Ehrlich in persönlichem Kontakt. Felix Hirschfeld war wissenschaftlich interessiert, habilitierte sich 1892/93 und wurde Privatdozent für Innere Medizin an der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität. In der Berliner
Medizinischen Gesellschaft war er seit 1895 Mitglied. Sein Bruder Eugen Hirschfeld (1866-1946), der ebenfalls Medizin studiert hatte, wanderte als junger Arzt 1890 nach Australien aus.
Am 31. Oktober 1898 heiratete Felix Hirschfeld in Berlin die aus dem oberschlesischen Nakel (heutiges Nakło/Polen) stammende Grete Rebecca Baerwald. Ein Jahr später, am 21. August 1899, wurde das einzige Kind der Eheleute geboren, Sohn Walter Hirschfeld, der später ebenfalls Arzt wurde. In den ersten Jahren nach der Hochzeit wohnte die Familie im Tiergartenviertel in der Magdeburger Straße 21 (heutige Kluckstraße). Im Jahr 1905 ist im Berliner Adressbuch die Adresse Genthiner Straße 40 vermerkt, im Jahr 1910 die Adresse Von-der-Heydt-Straße 13. Spätestens seit 1915 wohnte die Familie in der Kurfürstenstraße 106, ein letzter Umzug erfolgt 1932/33 – die Adresse lautete fortan Bamberger Straße 17 (damals Schöneberg).
Felix Hirschfeld war als niedergelassener Arzt und Internist auf die Behandlung von Diabetes und ernährungsmedizinische Themen spezialisiert. Dies waren auch die Schwerpunkte seiner wissenschaftlichen Tätigkeit. Regelmäßig nahm er als Referent an Treffen wie dem jährlichen „Congress für Innere Medizin“ in Wiesbaden teil. Von 1896 bis 1924 war er Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM). 1908 erhielt er den Professorentitel, 1921 wurde er zum außerordentlichen Professor für Innere Medizin ernannt. Neben zahlreichen Veröffentlichungen in Fachzeitschriften veröffentlichte Felix Hirschfeld u. a. die folgenden Bücher: „Die Anwendung der Ueberernährung (Mastkur) und der Unterernährung (Entfettungskur)“ (1897), „Nahrungsmittel der Gesunden und Kranken“ (1900) und „Die Zuckerkrankheit“ (1902). Für den von den beiden jüdischen Ärzten Max Mosse und Gustav Tugendreich 1913 herausgegebenen Sammelband „Krankheit und soziale Lage“
verfasste er einen Beitrag über „Die Ernährung in ihrem Einfluss auf Krankheit und Sterblichkeit“.
Nachdem Felix Hirschfeld mehr als drei Jahrzehnte an der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität unterrichtet hatte (laut Vorlesungsverzeichnis bot er noch im Sommersemester 1932 einen Kurs zur „Physiologie und Pathologie des Stoffwechsels“ an), wurde ihm am 14. September 1933 nach § 3 des „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums” aufgrund seiner jüdischen Herkunft die Lehrbefugnis entzogen. Im Juli 1938 – wenige Wochen vor seinem 75. Geburtstag – unternahm Felix Hirschfeld seiner Sterbeurkunde zufolge einen „Selbstmordversuch durch Morphiumvergiftung“. Er wurde in die II. Medizinische Klinik der Charité gebracht, wo er am 16. Juli starb. Wie aus dem Sektionsbericht 973 (Nummerierung für das Jahr 1938) hervorgeht, wurde er am 18. Juli im Pathologischen Institut der Charité, das seinerzeit von Robert Rössle (1876-1956) geleitet wurde, von dessen Mitarbeiter Dr. Ronde obduziert.
In einem Nachruf, der am 7. August 1938 in der C.V.-Zeitung, dem Organ des Central-Vereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens, erschien (Autor: Dr. L.), stand über den Verstorbenen zu lesen: „Er war ein bedeutender Forscher. Sein Buch über Diabetes erregte seinerzeit großes Aufsehen. Bahnbrechende, neue Ideen brachte er darin zum Ausdruck. Das Wort „Unterernährung“ stammt von ihm. Die Behandlung des Diabetes wurde durch die Entdeckung des Insulins mit der Zeit zwar erweitert, aber das Grundlegende der wissenschaftlichen Anschauung dieses Leidens blieb. Daher wird auch der Name Felix Hirschfeld bleiben. Hirschfeld war eine richtige Gelehrtennatur: ein einfacher, bescheidener Mann, von hohem Idealismus erfüllt. Alles Enge, Kleinliche und das auf den Schein Begründete lag ihm fern. Ihm galt nur der geistige Mensch. Der Zeit mit ihren Wirren und Stürmen stand er verständnislos gegenüber. An ihr zerbrach auch sein edles Wesen. Er wurde 75 Jahre. Seine Werke und
das, was er geschaffen hat, werden weiter leben. Seine Freunde, seine Anhänger und seine zahlreichen Patienten werden ihn nie vergessen“.
Felix Hirschfelds Frau Grete Rebecca Hirschfeld und seine Schwägerin Else Esther Wiesenthal lebten nach seinem Tod weiter in der Bamberger Straße 17. Die beiden Zwillingsschwestern wurden mit dem sog. „12. Osttransport” am 3. April 1942 vom Berliner Güterbahnhof Moabit aus in das Warschauer Ghetto deportiert. Dort verliert sich ihre Spur. Es muss davon ausgegangen werden, dass die beiden entweder im Ghetto starben oder in einem der Vernichtungslager der Nationalsozialisten ermordet wurden. Sohn Walter Hirschfeld konnte als Arzt im Dezember 1934 in die USA emigrieren. Er starb 1997 im Alter von 97 Jahren.
Recherche und Text: Dr. Benjamin Kuntz
Quellen
- Auskunft von Enkel Tom Hirschfeld
- Pagel, J. (1901): Biographisches Lexikon hervorragender Ärzte des neunzehnten Jahrhunderts. Urban & Schwarzenberg: Berlin/Wien, S. 745.
- Voswinckel, P. (2002): Biographisches Lexikon der hervorragenden Ärzte der letzten fünfzig Jahre von Isidor Fischer, Berlin und Wien 1932-1933. Band 3: Nachträge und Ergänzungen. Georg Olms Verlag: Hildesheim/Zürich/New York, S. 648.
- Gedenkort Charité: https://gedenkort.charite.de/menschen/