Stolpersteine Motzstr. 94

Hausansicht Motzstr. 94

Die Stolpersteine für Familie Lucas wurden am 21. Oktober 2023 verlegt.

Stolperstein Dr. Otto Nathan Lucas

HIER WOHNTE
DR. OTTO
NATHAN LUCAS
JG. 1893
FLUCHT 1939
AUSTRALIEN

Dr. Otto Nathan Lucas wurde am 19. April 1893 in Soest/Westfalen geboren. Er war ein jüdischer Arzt, der nach seinem Medizinstudium und dem Ende des Ersten Weltkriegs nach Berlin zog. Als niedergelassener Arzt auf die Behandlung innerer Krankheiten spezialisiert, hatte er 1924 – einer Anzeige im Berliner Tageblatt zufolge – eine Praxis in der Landshuter Straße 34 eröffnet. Hier wohnte er auch fortan bis 1933 zusammen mit seiner Frau Emma (genannt Ena), geb. Goldschmidt, die er 1924 geheiratet hatte, und den beiden Kindern Franz (später Frank) und Edith.

1933 erfolgte der Umzug in die Motzstraße 94, wo die Familie bis zu ihrer Flucht lebte. Neben seiner eigenen Praxistätigkeit war Otto Lucas als Chefarzt der Inneren Abteilung im Israelitischen Krankenheim der Gemeinde Adass Jisroel in Berlin, Elsässer Straße 85, tätig. Ihm wurde Ende September 1938 – wie allen anderen in Deutschland verbliebenen jüdischen Ärzten – die Approbation entzogen. Die Gestapo versuchte im Zuge des Novemberpogroms 1938 mehrfach, Otto Lucas zu verhaften. Er war jedoch von Freunden gewarnt worden und wurde von ihnen versteckt. Im Frühjahr 1939 floh die vierköpfige Familie über England nach Australien. Ein dort lebender entfernter Verwandter hatte eine Bürgschaft für die Familie übernommen und ihr so die Einwanderung ermöglicht.

In seinem Entschädigungsantrag schrieb Otto Lucas rückblickend über die schwierige Anfangszeit in Sydney, wo die Familie fortan lebte: „Im Juni desselben Jahres [1939] kam ich in Australien an. Niederlassungsmöglichkeiten fuer ausländische Ärzte gab es hier nicht. Gelegentlich liess sich ein Refugee von mir behandeln und mit dem kleinen Honorar[,] das er bezahlen konnte, mussten meine Familie und ich mich einrichten. […] Die Erlaubnis, freie Praxis auszuueben, wurde mir sofort nach Beendigung des Krieges gegeben, aber selbstverständlich hat es noch Jahre gedauert, bis ich genuegend verdiente, um mit meiner Familie einigermassen standesgemäss zu leben.“

Ein Bruder von Otto Lucas, Ernst Lucas, der mit seiner Frau Natalie, geb. Intrator, und dem gemeinsamen Sohn Robert in den Niederlanden Zuflucht gefunden hatte, wurde über Westerbork in das Vernichtungslager Sobibor deportiert, wo alle drei im Juli 1943 ermordet wurden.
Otto Lucas war maßgeblich an der Gründung des Temple Emanuel in Woollahra, der ersten liberalen Synagoge in Sydney, beteiligt. Er wurde 83 Jahre alt und starb am 26. April 1976 in Sydney.

Der australische Filmemacher Aaron Lucas, ein Urenkel von Otto Lucas, hat 2022 basierend auf den Memoiren seines Großvaters Frank Lucas einen bewegenden Film („I’ll Be Frank“) über das Schicksal der Familie Lucas während des Nationalsozialismus gedreht: https://aaronlucasfilm.com/films/illbefrank

Recherche und Text: Dr. Benjamin Kuntz Quellen:
  • Auskunft von Urenkel Aaron Lucas
  • Schwoch, R. (Hrsg.) (2009): Berliner jüdische Kassenärzte und ihr Schicksal im Nationalsozialismus. Ein Gedenkbuch. Hentrich & Hentrich: Berlin/Teetz, S. 570.
  • Schwoch, R. (2018): Jüdische Ärzte als Krankenbehandler in Berlin zwischen 1938 und 1945. Mabuse-Verlag: Frankfurt am Main, S. 402-404.
Stolperstein Ena Lucas

HIER WOHNTE
ENA LUCAS
GEB. GOLDSCHMIDT
JG. 1899
FLUCHT 1939
AUSTRALIEN

Emma Goldschmidt, genannt Ena, stammte wie ihr späterer Mann Otto Lucas aus Soest in Westfalen. Dort wurde sie am 27. November 1899 geboren. Über ihre Kindheit und Jugend in Soest ist nichts bekannt. Nach der Hochzeit mit dem Arzt Otto Lucas lebte das Paar in Berlin, zunächst in der Landshuter Straße 34, ab 1933 in der Motzstraße 94. 1927 wurde Sohn Franz Samuel (später Frank) geboren, 1930 kam Tochter Edith Bertha zur Welt.

Die Situation der vierköpfigen Familie verschärfte sich nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten zusehends. Im Zuge des Novemberpogroms 1938 versuchte die Gestapo wiederholt, Enas Mann Otto Lucas zu verhaften. Dieser war jedoch von Freunden gewarnt worden und wurde von ihnen versteckt. Schließlich entschloss sich die Familie zur Flucht. Im Frühjahr 1939 gelang es ihnen, der weiteren Verfolgung durch das nationalsozialistische Regime über England nach Australien zu entkommen. Ein dort lebender entfernter Verwandter hatte eine Bürgschaft für die Familie übernommen und ihr so die Einwanderung ermöglicht. In Sydney, wo die Familie fortan lebte, musste mühsam ein Neuanfang unternommen werden.

Ena Lucas wurde 70 Jahre alt. Sie starb am 19. November 1970 in Sydney. Der australische Filmemacher Aaron Lucas, ein Urenkel von Ena Lucas, hat 2022 basierend auf den Memoiren seines Großvaters Frank Lucas einen bewegenden Film („I’ll Be Frank“) über das Schicksal der Familie Lucas während des Nationalsozialismus gedreht: https://aaronlucasfilm.com/films/illbefrank

Recherche und Text: Dr. Benjamin Kuntz Quellen
  • Auskunft von Urenkel Aaron Lucas
  • Schwoch, R. (Hrsg.) (2009): Berliner jüdische Kassenärzte und ihr Schicksal im Nationalsozialismus. Ein Gedenkbuch. Hentrich & Hentrich: Berlin/Teetz, S. 570.
  • Schwoch, R. (2018): Jüdische Ärzte als Krankenbehandler in Berlin zwischen 1938 und 1945, Mabuse-Verlag: Frankfurt am Main, S. 402-404.
Stolperstein Frank Samuel Lucas

HIER WOHNTE
FRANK SAMUEL
LUCAS
JG. 1927
FLUCHT 1939
AUSTRALIEN

Frank Lucas wurde als Franz Samuel Lucas am 25. Februar 1927 in Berlin als erstes Kind der jüdischen Eheleute Otto und Ena Lucas geboren. Der Vater war Arzt und arbeitete sowohl als niedergelassener Internist und Allgemeinpraktiker als auch später als Chefarzt der Inneren Abteilung im Israelitischen Krankenheim der Gemeinde Adass Jisroel in Berlin (Elsässer Straße 85).

Die Familie wohnte zunächst in der Landshuter Straße 34, ab 1933 in der Motzstraße 94. 1930 kam Franks Schwester Edith Bertha zur Welt. In seinen Lebenserinnerungen, die er als alter Mann für seine Kinder und Enkel aufschrieb, schilderte Frank Lucas auch den Umgang mit religiösen Dingen: „Bei uns zu Hause feierten wir Freitagabend Schabbat, außerdem Pessach, Chanukka und hohe Feiertage. Zu anderen Gelegenheiten ging ich kaum in die Synagoge, bis ich etwa 10 Jahre alt war. Dann bin ich dem Chor der Synagoge in der Oranienburgerstraße beigetreten. Danach ging ich freitagabends, Samstagmorgens und an allen heiligen Tagen sowie zweimal unter der Woche zum Gottesdienst. Wir wurden (als Chorsänger) nicht bezahlt, aber wir bekamen unsere Straßenbahnfahrkarten erstattet aus einer großen Ledergeldbörse mit einem Davidstern darauf. Ich habe dem Chorleiter vorgeschwindelt, wie viel Geld ich brauche, damit ich immer noch genug für ein Eis übrighatte.“ [Original in Englisch]

Über die Ereignisse des Novemberpogroms 1938 schrieb Frank Lucas rückblickend: „Damals war ich elf Jahre alt und wurde wie üblich zur Schule geschickt, wobei ich auf meine kleine Schwester aufpassen musste. Während der Fahrt bemerkten wir, dass die Straßen mit Glasscherben übersät waren und dass überall antijüdische Parolen hingeschmiert wurden, viel mehr als sonst. In der Ferne war noch der Rauch der brennenden Synagogen zu sehen. Ich war sehr verängstigt.“ [Original in Englisch]

Schließlich entschloss sich die Familie, Deutschland zu verlassen. Im Frühjahr 1939 gelang die Flucht über England nach Australien. Ein dort lebender entfernter Verwandter hatte eine Bürgschaft für die Familie übernommen und ihr so die Einwanderung ermöglicht. In Sydney, wo die Familie fortan lebte, musste mühsam ein Neuanfang unternommen werden. Franz Lucas änderte seinen Namen und nannte sich fortan Frank Lucas. Dieser Umstand war maßgeblich für den Titel des Films „I’ll be Frank“, den sein Enkel, der australische Filmemacher Aaron Lucas, im Jahr 2022 basierend auf den Lebenserinnerungen seines Großvaters drehte: https://aaronlucasfilm.com/films/illbefrank

Frank Lucas studierte in Australien Medizin und wurde Arzt – wie sein Vater. Er heiratete und bekam mit seiner Frau Martha (geb. Balog) vier Kinder (13 Enkelkinder). Frank Lucas wurde 86 Jahre alt. Er starb am 26. Dezember 2013 in Sydney.

Recherche und Text: Dr. Benjamin Kuntz Quellen
  • Auskunft von Enkel Aaron Lucas
  • Schwoch, R. (Hrsg.) (2009): Berliner jüdische Kassenärzte und ihr Schicksal im Nationalsozialismus. Ein Gedenkbuch. Hentrich & Hentrich: Berlin/Teetz, S. 570.
  • Schwoch, R. (2018): Jüdische Ärzte als Krankenbehandler in Berlin zwischen 1938 und 1945. Mabuse-Verlag: Frankfurt am Main, S. 402-404.

HIER WOHNTE
EDITH BERTHA
LUCAS
JG. 1930
FLUCHT 1939
AUSTRALIEN

Edith Bertha Lucas wurde am 24. Januar 1930 in Berlin als zweites Kind der jüdischen Eheleute Otto und Ena Lucas geboren. Der Vater war Arzt und arbeitete sowohl als niedergelassener Internist und Allgemeinpraktiker als auch später als Chefarzt der Inneren Abteilung im Israelitischen Krankenheim der Gemeinde Adass Jisroel in Berlin, Elsässer Straße 85. Ihr Bruder Franz (später Frank) war drei Jahre älter.

Die Familie wohnte zunächst in der Landshuter Straße 34, ab 1933 in der Motzstraße 94. Bruder Frank Lucas schilderte in seinen Lebenserinnerungen, die er als alter Mann für seine Kinder und Enkel aufschrieb, den Umgang mit religiösen Dingen in der Familie wie folgt: „Bei uns zuhause feierten wir Freitagabend Schabbat, außerdem Pessach, Chanukka und hohe Feiertage“. [Original in Englisch]

Und über die Ereignisse des Novemberpogroms 1938: „Damals war ich elf Jahre alt und wurde wie üblich zur Schule geschickt, wobei ich auf meine kleine Schwester aufpassen musste. Während der Fahrt bemerkten wir, dass die Straßen mit Glasscherben übersät waren und dass überall antijüdische Parolen hingeschmiert wurden, viel mehr als sonst. In der Ferne war noch der Rauch der brennenden Synagogen zu sehen. Ich war sehr verängstigt.“ [Original in Englisch]

Schließlich entschloss sich die Familie, Deutschland zu verlassen. Im Frühjahr 1939 gelang die Flucht über England nach Australien. Ein dort lebender entfernter Verwandter hatte eine Bürgschaft für die Familie übernommen und ihr so die Einwanderung ermöglicht. In Sydney, wo die Familie fortan lebte, musste mühsam ein Neuanfang unternommen werden. Edith Lucas heiratete 1950 den ebenfalls aus Europa geflohenen Leo Port, der von 1975 bis zu seinem frühen Tod 1978 Oberbürgermeister (Lord Mayor) von Sydney war. Das Paar hatte drei Kinder.

Edith Lucas wurde 88 Jahre alt. Sie starb am 1. Februar 2018 in Sydney.
Der australische Filmemacher Aaron Lucas, ein Großneffe von Edith Lucas, hat 2022 basierend auf den Memoiren seines Großvaters Frank Lucas einen bewegenden Film („I’ll Be Frank“) über das Schicksal der Familie Lucas während des Nationalsozialismus gedreht: https://aaronlucasfilm.com/films/illbefrank

Recherche und Text: Dr. Benjamin Kuntz Quellen
  • Auskunft von Großneffe Aaron Lucas
  • Schwoch, R. (Hrsg.) (2009): Berliner jüdische Kassenärzte und ihr Schicksal im Nationalsozialismus. Ein Gedenkbuch. Hentrich & Hentrich: Berlin/Teetz, S. 570.
  • Schwoch, R. (2018): Jüdische Ärzte als Krankenbehandler in Berlin zwischen 1938 und 1945. Mabuse-Verlag: Frankfurt am Main, S. 402-404.