HIER WOHNTE
DR. OTTO
NATHAN LUCAS
JG. 1893
FLUCHT 1939
AUSTRALIEN
Dr. Otto Nathan Lucas wurde am 19. April 1893 in Soest/Westfalen geboren. Er war ein jüdischer Arzt, der nach seinem Medizinstudium und dem Ende des Ersten Weltkriegs nach Berlin zog. Als niedergelassener Arzt auf die Behandlung innerer Krankheiten spezialisiert, hatte er 1924 – einer Anzeige im Berliner Tageblatt zufolge – eine Praxis in der Landshuter Straße 34 eröffnet. Hier wohnte er auch fortan bis 1933 zusammen mit seiner Frau Emma (genannt Ena), geb. Goldschmidt, die er 1924 geheiratet hatte, und den beiden Kindern Franz (später Frank) und Edith.
1933 erfolgte der Umzug in die Motzstraße 94, wo die Familie bis zu ihrer Flucht lebte. Neben seiner eigenen Praxistätigkeit war Otto Lucas als Chefarzt der Inneren Abteilung im Israelitischen Krankenheim der Gemeinde Adass Jisroel in Berlin, Elsässer Straße 85, tätig. Ihm wurde Ende September 1938 – wie allen anderen in Deutschland verbliebenen jüdischen Ärzten – die Approbation entzogen. Die Gestapo versuchte im Zuge des Novemberpogroms 1938 mehrfach, Otto Lucas zu verhaften. Er war jedoch von Freunden gewarnt worden und wurde von ihnen versteckt. Im Frühjahr 1939 floh die vierköpfige Familie über England nach Australien. Ein dort lebender entfernter Verwandter hatte eine Bürgschaft für die Familie übernommen und ihr so die Einwanderung ermöglicht.
In seinem Entschädigungsantrag schrieb Otto Lucas rückblickend über die schwierige Anfangszeit in Sydney, wo die Familie fortan lebte: „Im Juni desselben Jahres [1939] kam ich in Australien an. Niederlassungsmöglichkeiten fuer ausländische Ärzte gab es hier nicht. Gelegentlich liess sich ein Refugee von mir behandeln und mit dem kleinen Honorar[,] das er bezahlen konnte, mussten meine Familie und ich mich einrichten. […] Die Erlaubnis, freie Praxis auszuueben, wurde mir sofort nach Beendigung des Krieges gegeben, aber selbstverständlich hat es noch Jahre gedauert, bis ich genuegend verdiente, um mit meiner Familie einigermassen standesgemäss zu leben.“
Ein Bruder von Otto Lucas, Ernst Lucas, der mit seiner Frau Natalie, geb. Intrator, und dem gemeinsamen Sohn Robert in den Niederlanden Zuflucht gefunden hatte, wurde über Westerbork in das Vernichtungslager Sobibor deportiert, wo alle drei im Juli 1943 ermordet wurden.
Otto Lucas war maßgeblich an der Gründung des Temple Emanuel in Woollahra, der ersten liberalen Synagoge in Sydney, beteiligt. Er wurde 83 Jahre alt und starb am 26. April 1976 in Sydney.
Der australische Filmemacher Aaron Lucas, ein Urenkel von Otto Lucas, hat 2022 basierend auf den Memoiren seines Großvaters Frank Lucas einen bewegenden Film („I’ll Be Frank“) über das Schicksal der Familie Lucas während des Nationalsozialismus gedreht: https://aaronlucasfilm.com/films/illbefrank
Recherche und Text: Dr. Benjamin Kuntz Quellen:
- Auskunft von Urenkel Aaron Lucas
- Schwoch, R. (Hrsg.) (2009): Berliner jüdische Kassenärzte und ihr Schicksal im Nationalsozialismus. Ein Gedenkbuch. Hentrich & Hentrich: Berlin/Teetz, S. 570.
- Schwoch, R. (2018): Jüdische Ärzte als Krankenbehandler in Berlin zwischen 1938 und 1945. Mabuse-Verlag: Frankfurt am Main, S. 402-404.