HIER WOHNTE
HEDWIG
TENENBAUM
GEB. MARCUS
JG. 1878
DEPORTIERT 13.1.1942
GHETTO RIGA
ERMORDET
Hedwig Tenenbaum wurde am 2. August 1878 als zweites Kind des Kaufmanns Wilhelm Marcus und seiner Ehefrau Thekla, geb. Warschauer, in Frankfurt/Oder geboren. Ihre ältere Schwester Helene (*4. Dezember 1876) war Schneiderin und Putzmacherin, die jüngste Schwester Rosalie (*11. März 1880) Buchhalterin und Fremdsprachenstenotypistin. Ob Hedwig eine Berufsausbildung erhielt, wissen wir nicht.
Wann die Familie nach Berlin umzog, ist uns nicht bekannt. Vor ihrer Eheschließung wohnte Hedwig mit ihren Eltern und Schwestern im Bezirk Mitte in der Schützenstraße 40-42. Am 26. April 1907 heiratete die 29-jährige Hedwig den Dipl. Ing. und Patentanwalt Isidor Tenenbaum (*1. August 1872). Trauzeugen waren der damals 60-jährige Vater des Bräutigams sowie der 64-jährige Vater der Braut.
Das junge Paar zog nach Schöneberg – zunächst in die Cranachstraße 15, wo am 2. März 1908 ihr Sohn Franz Josef geboren wurde. Die Hoffnung auf ein weiteres Kind erfüllte sich nicht. Am 12. April 1911 gebar Hedwig in ihrer neuen Wohnung in der Rosenheimer Straße 33 einen toten Sohn.
Wir können vermuten, dass sie engen Kontakt zu ihren Eltern und Schwestern hatte, die ab 1914 in der nahegelegenen Augsburger Straße 34 (heute Nr. 42) lebten.
Hedwigs Ehemann Isidor hatte es als Patentanwalt zu einigem Wohlstand gebracht. Am 1. Januar 1927 bezog das Ehepaar mit dem 19-jährigen Sohn Franz die Beletage in der Prinzregentenstraße 2, eine 7-Zimmerwohnung im 1.Stock links. Die vor der Deportation gezwungenermaßen angefertigte „Vermögensaufstellung“ lässt das Bild einer technisch und musisch interessierten Familie entstehen, und man kann sich vorstellen, dass in der repräsentativen Wohnung mit elegantem Mobiliar, Orientteppichen und Gemälden geselliges Leben und kultureller Austausch stattgefunden hat, bevor der Naziterror begann.
Während eines Kuraufenthaltes der Eltern im Riesengebirge starb Hedwigs Mutter Thekla im Alter von 76 Jahren am 26. Juli 1929 im eleganten Kurhotel „Berliner Hof“ in Bad Flinsberg (Swieradow Zdroj).
In den folgenden Jahren belastete zunehmender Antisemitismus das Leben der jüdischen Bürger. Die „Kurfürstendamm-Krawalle“ am 12. September 1931, bei denen Nazi- Schlägertrupps brutal gegen jüdische oder nach ihrer Meinung jüdisch aussehende Passanten vorgingen, fanden in unmittelbarer Nähe der Augsburger Straße 34 statt, in der Hedwigs Vater mit den Schwestern lebte. Der Aufruf zum Boykott jüdischer Geschäfte am 1. April 1933 entzog jüdischen Geschäftsleuten ihre Lebensgrundlage.
Einiges spricht dafür, dass der Vater Wilhelm Marcus 1933 starb. Nach dem Tod der Eltern und aufgrund zunehmender Repressalien mussten Hedwigs Schwestern die Wohnung in der Augsburger Straße 34 aufgeben. Die ältere Schwester Helene zog im Oktober 1933 in die Prinzregentenstraße 2 und konnte unter dem Schutz der Familie ihren Modesalon zunächst weiter betreiben. Ob auch die Schwester Rose in dieser Zeit mit der Familie lebte, ist ungewiss.
Hedwigs Sohn Franz Tenenbaum wurde 1935 die deutsche Staatsbürgerschaft entzogen. Wann er nach Italien floh, ist uns nicht bekannt. Am 13. März 1937 musste Hedwigs Ehemann Isidor wegen „vielleicht fällig werdender Reichsfluchtsteuer“ Wertpapiere in Höhe von 25.300 Reichsmark als „Sicherheit“ verpfänden. Auch aus Hedwigs Depot wurden aus demselben Grund Wertpapiere verpfändet. Zu diesem Zeitpunkt hielt sich ihr Sohn Franz in Mailand auf. Ob die Eltern Kontakt zu ihrem einzigen Kind haben konnten, wissen wir nicht.
Gemäß § 1 der „Sechsten Verordnung zum Reichsbürgergesetz“ wurde Hedwigs Ehemann mit Wirkung zum 30. November 1938 zusammen mit 44 anderen jüdischen Kollegen von der Liste der Patentanwälte gelöscht. Damit war dem 61-jährigen Anwalt die Möglichkeit genommen, seinen Beruf auszuüben.
Hedwigs Schwester Rose, die am 6. Februar 1940 den Witwer Walter Martin Herz geheiratet hatte, lebte zur Untermiete ganz in der Nähe in der Trautenaustraße 20. Das Paar sollte am 26. November 1941 deportiert werden, wurde jedoch kurzfristig verschont, da der Ehemann einen Herzinfarkt erlitt. Walter Martin Herz starb am 30. November 1941. 10 Tage nach seinem Tod zog Rose mit wenigen Habseligkeiten zu ihrer Familie in die Prinzregentenstraße 2.
Am 13. Januar 1942 wurde Hedwig Tenenbaum, geb. Marcus, mit dem sog. „VIII. Osttransport” (Transport 8 Zug DA44) zusammen mit ihrem Mann Isidor, ihren beiden Schwestern, Martha Schlesinger und über 1000 weiteren jüdischen Berlinerinnen und Berlinern nach Riga deportiert und ermordet.
Ihre Wohnung wurde von den Behörden beschlagnahmt, die wertvolle Einrichtung verkauft, die Lebensversicherung sowie Wertpapiere an die Oberfinanzkasse überwiesen. Neuer Mieter war ein Ministerialdirigent und NSDAP-Mitglied.
Noch Monate nach dem Tod der Familie Tenenbaum/Marcus wurde darüber gestritten, wer für die Renovierung der „Judenwohnung“ aufkommen müsse.
Recherche und Text: Monika Müller-Paul
Quellen:
- Ancestry Ahnensuche
- ITS Arolsen
- Berliner Adressbücher
- Brandenburgisches Landeshauptarchiv in Potsdam
- Gedenkbuch Bundesarchiv Koblenz
- Gedenkbuch Berlin der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus 1995
- Jüdisches Adressbuch Berlin
- Reiner Zilkenat in: VVN-BdA, Geschichtskonferenz 28./29. Juni 2013
- Yad Vashem, Zentrale Datenbank der Opfer des Holocaust