Stolpersteine Pariser Straße 11 - Margarete Leb Gumpert

Stolperstein Margarete Leb Gumpert

HIER WOHNTE
MARGARETE LEB
GUMPERT
GEB. LACHOTZKI
JG. 1896
DEPORTIERT 25.1.1942
RIGA
ERMORDET

Margarete Gumpert wurde am 3. Juni 1896 als Tochter des Pferdehändlers Phillip Lachotzki und seiner Ehefrau Rosalie in Schneidemühl, dem heutigen polnischen Piła, geboren. Sie heiratete am 12. Dezember 1920 den 2 Jahre älteren Leo Gumpert, auch er war ansässig in Schneidemühl. Dort kamen die Tochter Helga am 10. September 1923 und der Sohn Günter Manfred am 9. Dezember 1925 auf die Welt.

Leo Gumpert war seit 1926 oder 27 in Schneidemühl Inhaber einer autorisierten Ford Verkaufsstelle mit zahlreichen Garagen, einer Autowerkstatt und mehreren Tankstellen. Der Familie ging es finanziell gut. Sie wohnte in einer 8 Zimmerwohnung, eingerichtet mit hochwertigem Mobiliar.

1936 änderte sich die Situation. Ein als Aufkäufer jüdischen Eigentums bekannter Händler tauchte auf, um Leo Gumpert zum Verkauf seines Unternehmens zu nötigen. Ganze 20000 Reichsmark – weit unter dem tatsächlichen Wert – sollte er dafür erhalten. Leo Gumpert beugte sich dem Druck und beschloss, sich mit seiner Familie in Berlin zu etablieren. Insgesamt bezahlte der Käufer eine geringe Anzahlung in bar, der Rest sollte auf ein Bankkonto transferiert werden. Das Konto wurde jedoch vor der Überweisung gesperrt. Als Leo Gumpert von Berlin zurück nach Schneidemühl fahren wollte, um den noch ausstehenden Betrag abzuholen, wurde er gewarnt, dass er nach seiner Ankunft verhaftet werden sollte. Er blieb also in Berlin, doch auch hier wurde er tags darauf von Mitgliedern der SS gesucht. Sie trafen ihn jedoch nicht zu Hause an. Die alarmierte Familie veranlasste ihn, nicht in die Wohnung zurückzukehren. Leo Gumpert flüchtete in die Tschechoslowakei. Er lebte in Prag in einer Junggesellenherberge, nur durch das wenige Geld alimentiert, das Margarete ihm fortan aus Berlin schickte.

Margarete Gumpert blieb mit ihren Kindern in der 3-Zimmerwohnung in der Pariser Straße 11 zurück. Man hatte beim Umzug von Schneidemühl nach Berlin möglichst viele Möbel mitgenommen und die Zimmer waren dementsprechend vollgestellt. Den Lebensunterhalt konnte sie für sich und ihre Kinder nur durch weiteren Verkauf ihres Hab und Guts bestreiten. Die Diskriminierung der Juden nahm durch immer neue Verordnungen und Erlasse und ständige Schikanen einen dramatischen Verlauf. Während der Pogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 war Margarete festgenommen worden, während ihre Kinder zu Hause auf sie warteten. Auf Intervention eines Polizisten, der die Familie gut kannte, wurde sie bald wieder freigelassen.

Den jüdischen Kindern war der Besuch einer öffentlichen Schule seit Mitte November 1938 untersagt – ein weiterer Grund für Margarete Gumpert, die Gelegenheit zu ergreifen, ihre Kinder ins sichere Ausland zu schicken. Günter verließ Deutschland am 1. Dezember 1938 mit einem Kindertransport nach England. Nach einem Jahr Schule, anschließender Fabrikarbeit, Eintritt in die britische Armee und Ausbildung zum Werkzeugmacher, siedelte er 1948 nach Schweden über, wo seine Schwester Helga bereits lebte. Sie war im Mai 1939 durch Vermittlung eines Geschäftsfreundes nach Schweden gekommen, lebte in einer Privatfamilie und war als Hausgehilfin tätig, bevor sie 1945 heiratete.

Nach dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht in die Tschechoslowakei war Leo Gumpert in Prag nicht mehr sicher. Er kehrte deshalb an den Ort zurück, aus dem er zuvor geflohen war – nach Berlin. Es wäre jedoch zu gefährlich gewesen bei seiner Familie unterzutauchen, er hielt sich verborgen und zog von einem Bekannten zum nächsten.

Der Enkel Danny Wattin in seinem Roman “Der Schatz des Herrn Isakowitz” über seine Familiengeschichte:

“Deshalb standen er und Margarete an verschiedenen Stellen auf dem Bahnsteig, als sie am 4. Mai 1939 ihrer Tochter zum Abschied winkten. Vielleicht ahnten sie schon damals, dass sie einander nie wieder sehen würden, und dass sie ihr kleines Mädchen auf immer fortschickten.”

Helgas Bemühen, ihrer Mutter 1941 die Emigration nach Schweden zu ermöglichen, scheiterte an der Ablehnung des Einreiseantrags durch die schwedische Regierung. Helga versuchte ihren Eltern so gut es ging zu helfen, sie schickte Briefe mit dem Geld, das sie entbehren konnte.

Danny Wattin:

“Doch selbst wenn sie eine Antwort bekam, konnte sie doch nicht daraus lesen, wie es ihnen wirklich ging, denn wegen der Verhältnisse in Deutschland war es ihren Eltern unmöglich, das geradeheraus zu schreiben. Den letzten Brief bekam sie 1941. Eine geheimnisvolle Nachricht, dass ihre Eltern in ein Sanatorium reisen würden, zu dem es jedoch keine Adresse gab. Dann hörte sie nie wieder etwas von ihnen.”

Unter welchen Umständen Margarete und Leo Gumpert in derselben Stadt, jedoch getrennt voneinander, bis zu dem Tag ihrer Deportationen die ihnen noch verbliebene Lebenszeit verbrachten, ist nicht dokumentiert. Margarete Gumpert wurde am 25. Januar 1942 nach Riga deportiert. Der „10. Osttransport“ startete vom Bahnhof Berlin – Grunewald. Unter den 1044 Deportierten befanden sich zahlreiche Bewohner verschiedener Altersheime. Die Menschen waren in gedeckten Güterwagen zusammengepfercht, dem Einfluss der immer noch herrschenden Kältewelle ausgesetzt. Bei der Ankunft in Riga waren viele bereits erfroren, andere durch die Kälte sehr stark geistig verwirrt. Diese wurden beim Ausladen in Riga – Skirotava sofort erschossen. Nur 13 Deportierte aus diesem Transport überlebten.

Leos Tod ist im Gedenkbuch nicht verzeichnet. Der International Tracing Service dokumentierte jedoch, Leo Gumpert sei am 10. Februar 1942 im Konzentrationslager Mauthausen ums Leben gekommen, Todesursache sei „Freitod durch Starkstrom“ gewesen. Die Umstände werfen viele Fragen auf: Hatte Leo von der vorausgegangenen Deportation seiner Frau erfahren? Hat er sich in einen das Lager umgebenden Elektrozaun geworfen oder wurde er dort durch die Wachmannschaften hineingejagt? Helga Gumpert heiratete in Schweden Ernst Lachmann. Sie wurden Eltern und Großeltern. Ihr Enkel Danny Wattin verarbeitete die Familiengeschichte in dem Roman „Der Schatz des Herrn Isakowitz“.

Quellen: Recherche und Text: Karin Sievert
  • Gedenkbuch – Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933 – 1945
  • Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten – Entschädigungsbehörde
  • Berliner Adressbücher – Zentral- und Landesbibliothek Berlin
  • Landesarchiv Berlin
  • Deportationslisten
  • Gottwald/Schulle „Die Judendeportationen aus dem Deutschen Reich 1941 – 1945“
  • Yad Vashem – Opferdatenbank
    Zitate aus: Danny Wattin „Der Schatz des Herrn Isakowitz“, Roman über seine Familiengeschichte
    https://www.gedenkstaetten.at/raum-der-namen/cms/index.php?txtSearch=Leo+Gumpert&txtClickedName=&id=5&L=