HIER WOHNTE
HELENE MAYER
VERH. GOLOMB
FLUCHT 1936
PALÄSTINA
Helene Mayer wurde am 9. Oktober 1904 in Berlin, Barbararossastraße 32, geboren. Sie war das einzige Kind von Selma Mayer, geb. Giesenow, und Hugo Mayer. Sie lebte mit ihren Eltern bis 1936 in der Barbarossastraße 32.
Helene Mayer wuchs in Berlin während der wilhelminischen Zeit auf. Am Ende des ersten Weltkrieges war sie 14 Jahre alt. In den 1920er Jahren machte sie den Führerschein, was für Frauen damals keinesfalls selbstverständlich war. Wenn man mit ihr über die 1920er Jahre in Berlin sprach, erwähnte sie oft die Theateraufführungen, die sie gerne besuchte. Aber sie interessierte sich auch für den Zionismus.
Ohne ihre Eltern verließ sie 1936 Deutschland über Italien und erreichte mit einem Touristenvisum das damalige britische Mandatsgebiet Palästina (heute Israel).
Der Vater von Helene Mayer, Hugo Mayer, war Kaufmann und besaß seit 1906 eine Metallwarenfabrik und Stanzerei, zunächst in der Oranienstraße 34, seit den 20er Jahren in der Köpenicker Straße 114 in Berlin-Luisenstadt (heute Kreuzberg). Die „Metallwarenfabrik und Stanzerei Hugo Mayer“ stellte gepresste, gezogene, gestanzte Artikel unter Anwendung von Galvanisierung und Lötösenverzinnung her sowie zunehmend Bau- und Zubehörteile für die aufstrebende Radio- und Funkindustrie. Es war ein weithin bekanntes Spezialunternehmen, das auch in europäische Länder exportierte.
Die Mutter von Helene Mayer, Selma Mayer, war maßgeblich an der Fabrikleitung beteiligt. Sie erledigte kaufmännische Angelegenheiten eigenverantwortlich und hatte Prokura. Zu ihren Aufgaben gehörte die Buchführung, Lohnabrechnung, Kundenwerbung und Auftragsentgegennahme. Sie verhandelte auch mit Banken.
Ab 1933 waren Selma und Hugo Mayer als Juden sowie ihre Firma aufgrund der jüdischen Inhaberschaft zunehmend Schikanen durch die Nationalsozialisten ausgesetzt. Hugo Mayer sah sich daher gezwungen, die Fabrik am 28. Juli1936 zu verkaufen. Die Bezahlung des Kaufpreises wurde vom Finanzamt Berlin-Schöneberg sofort gesperrt.
Nach der Einwanderung von Helene Mayer 1936 nach Palästina ließ sie sich in Tel Aviv nieder, wo sie 1937 Mordechai Max Golomb kennen lernte, der am 13. März 1897 in Lodz geboren wurde. Schon als kleines Kind zog er mit seinen Eltern und der Familie nach Würzburg, wo er aufwuchs. Max Golomb war Kaufmann in der Stahlindustrie und arbeitete bei Firmen in Deutschland, Frankreich, Süd-Afrika und Holland. 1934 entschloss er sich, nach Palästina auszuwandern, wo er Mitglied der Busgenossenschaft Darom Yehuda wurde, die 1950 mit Egged fusionierte.
Helene Mayer heiratete am 29. April 1937 Max Golomb in Tel Aviv. Sie lebten in einer Wohnung am Motzkin Blvd. Ihr Sohn Gabriel Menahem Golomb wurde am 18. September 1946 in Tel Aviv geboren.
Nach der Hochzeit von Helene und Max Golomb trafen sie auf ihrer Hochzeitsreise die Eltern von Helene, Hugo und Selma Mayer, in Rom, Italien. Sie wollten die Eltern davon überzeugen, ebenfalls nach Palästina zu kommen. Die Eltern Hugo und Selma Mayer konnten sich aber nicht vorstellen, nach Palästina zu gehen, da sie dort unüberwindliche Schwierigkeiten beim Wiederaufbau ihrer Fabrik sahen. Stattdessen emigrierten sie 1938 als politische Flüchtlinge über Italien nach Brüssel, Belgien. Dort hofften Selma und Hugo Mayer eine neue Fabrik gründen zu können. Helene korrespondierte mit ihren in Brüssel lebenden Eltern bis 1942. Danach hörte sie nichts mehr von ihnen.
Nach Ende des zweiten Weltkrieges 1945 erfuhr Helene, dass die Eltern in Brüssel – in Folge der Besetzung durch die Nationalsozialisten – verhaftet wurden, weil sie Juden waren. Am 10. September 1942 wurden sie in das Sammellager in der Dossin-Kaserne in Mechelen (Malines), Belgien, gebracht. Am 12. September 1942 wurden sie von dort mit dem Transport IX nach Koźle (Kozel), heute Polen, und von dort nach Auschwitz-Birkenau deportiert, wo sie ermordet wurden.
1950 zogen Helene und Max Golomb in die benachbarte Stadt Holon. Sie beherrschte die englische Sprache gut und las täglich die Jerusalem Post und Reader‘s Digest. Außerdem hatte sie eine Brieffreundin in Illinois, USA; mit der sie korrespondierte.
Nachdem sie erfahren hatte, dass ihre Eltern im Holocaust von den Nationalsozialisten ermordet worden waren, wollte sie keinen Kontakt mehr mit Deutschland haben. Doch 1979, nachdem sie eine Einladung vom Berliner Senat zu ihrem 75. Geburtstag bekommen hatte, beschloss sie, ihre ehemalige Heimatstadt wieder zu besuchen und herauszufinden, wie Deutschland zur damaligen Zeit aussah.
Von da an besuchte sie gerne den Schwarzwald und das Grab ihrer Großeltern, Leo und Marianne Mayer, in Bernkastel an der Mosel. Die Großeltern hatten am 28. Oktober 1859 in Bernkastel geheiratet und wurden 1909 dort auf dem jüdischen Friedhof bestattet.
Später, zwischen 1993 und 1998, lebte Helene fünf Jahre lang in Bad Godesberg, einer Stadt, die sie schon aus ihrer Kindheit von Besuchen bei einem Cousin kannte. Helene wohnte in Bad Godesberg zusammen mit ihrem Sohn Gabriel, der als Wirtschaftsattaché bei der israelischen Botschaft in Bonn arbeitet, und dessen Familie.
Im September 1989 kehrte sie mit ihrem Sohn und dessen Familie wieder nach Israel zurück. Sie starb am 26. März 1999 in Holon im Alter von 94 Jahren. Sie wurde neben ihrem 1981 verstorbenen Mann Max Golomb beigesetzt.
Recherche und Text: Dr. Evelyn Hagenah und Dr. Barbara Pietsch, Stolperstein-Initiative Tempelhof-Schöneberg