HIER WOHNTE
HELLMUTH FRANZ
HERRMANN
JG. 1885
DEPORTIERT 19.11.1942
THERESIENSTADT
1944 AUSCHWITZ
ERMORDET OKT. 1944
ausführliche Biografie zum nachlesen
Hellmut Franz Herrmann wurde am 22. Januar 1885 in Frankfurt an der Oder als Sohn des jüdischen Bankiers Samuel Herrmann und dessen Ehefrau Klara, geb. Fürstenheim, geboren. Über seine Kindheit und sein Leben in Frankfurt an der Oder ist nichts bekannt. 1891 wurde Hellmut Herrmann eingeschult, ab 1897 besuchte er das Gymnasium. Nach dem Abitur begann er am 1. Oktober 1903 in Weimar eine Lehre in einer Apotheke (infrage kommen hierfür die Löwenapotheke des Apothekers Dr. Friedrich Lüdde oder die renommierte Hof-Apotheke des Hofapothekers Dr. Karl Ludwig Julius Hoffmann), die er erfolgreich am 19. Dezember 1906 mit dem Bestehen der pharmazeutischen Vorprüfung abschloss. Im Anschluss leistete er vom 1. Oktober 1907 bis zum 31. April 1908 als Einjährig-Freiwilliger seinen Wehrdienst im Vorpommerschen Feldartillerie-Regiment Nr. 38 in Stettin.
Am 26. Oktober 1908 immatrikulierte er sich zum Wintersemester 1908/09 an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg für ein Studium der Pharmazie und Chemie. Am 2. Juni 1911 legte er die pharmazeutische Staatsprüfung und am 15. November die praktische Prüfung ab. Nach dem Bestehen des mündlichen Examens am 29. April 1912, erhielt Hellmut Herrmann am 5. April 1914 die pharmazeutische Approbation. Seine weitere berufliche Karriere wurde allerdings durch den Ausbruch des Ersten Weltkrieges jäh unterbrochen. Während des Krieges diente er als Oberstabsapotheker der Reserve in einer Sanitätskompanie des II. Bayerischen Armeekorps an der Westfront. Ein Jahr nach Kriegsende siedelte er nach Berlin über, wo er ab dem 1. November 1919 in der Kaiser Wilhelm-Apotheke (H. Blume’s Nachfolger) des Apothekers Paul Strauchenbruch in der Landsberger Straße 3 am Alexanderplatz arbeitete und diese schließlich Ende 1920 übernahm.
Sechs Jahre später heiratete Hellmut Herrmann am 30. Juni 1925 die erst kürzlich geschiedene Karoline Maria Kroll, geb. Schemmert (13. Dez. 1894, Heinriettenhof, Kreis Rastenburg). Im April 1926 wurde der gemeinsame Sohn Hans-Dieter geboren. Ab 1932 lebte das Ehepaar Herrmann getrennt. Die Ehe wurde schließlich am 15. Juni 1938 geschieden.
Trotz Inflation und Weltwirtschaftskrise dürften die Zwanziger Jahre für den Apotheker Hermann eine Zeit wirtschaftlichen Erfolgs gewesen sein, galt doch der Alexanderplatz neben dem Potsdamer Platz als der Inbegriff der lebhaft pulsierenden Weltstadt Berlin. Zudem herrschte in der Weimarer Politik ein politisches Klima, in dem jüdische Apotheken in der Fachpresse als vorbildliche Apotheken vorgestellt wurden und verdiente jüdische Pharmazeuten geehrt wurden.
Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 begann für Hellmut Herrmann eine Zeit zunehmender Einschränkungen und Repression bis hin zum Berufsverbot. Nach dem reichsweiten „Boykottsamstag“ gegen jüdische Geschäfte am 1. April 1933 wurden alle „nichtarischen“ Apotheker auf Grundlage des sogenannten „Arierparagraphen“ aus dem Deutschen Apotheker-Verein ausgeschlossen. Mit der Bildung der Standesgemeinschaft Deutscher Apotheker als Nachfolgeorganisation des Deutschen Apotheker-Vereins und der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Apotheker verschärfte sich in den folgenden Monaten die antisemitische Haltung, infolge der schließlich sämtliche jüdischen Apotheker ohne Ausnahme von der Mitgliedschaft ausgeschlossen wurden.
Durch die „Erste Verordnung zum Reichsbürgergesetz“ vom 14. November 1935 wurde Hellmut Herrmann aufgrund seiner Herkunft zum (Voll-)„Juden“ erklärt. Die „Nürnberger Rassegesetze“ bildeten auch die Grundlage für ein weiteres Vorgehen gegen jüdische Apothekenbesitzer. Durch Artikel 3 der „Ersten Verordnung zum Gesetz über die Verpachtung und Verwaltung öffentlicher Apotheken“ vom 13. Dezember 1935 wurden Juden ab dem 26. März 1936 von der Apothekenleitung ausgeschlossen. Auch Hellmut Hermann war durch das Gesetz zum Verkauf der Kaiser Wilhelm-Apotheke gezwungen. Am 22. Dezember 1936 verkaufte er „weit unter Preis“, wie er in einem Brief an seinen Sohn schrieb, seine Apotheke samt Grundstück, beweglichem Inventar, Warenlager, Kundenstamm sowie der „vererblichen und veräußerlichen“ Apothekenkonzession an den Bautzener Apotheker Alexander Werner Georgi für insgesamt 200.000 Reichsmark. Nach dem sogenannten Wehrbeitrag belief sich der tatsächliche
Wert der Apotheke damals auf 300.000 Reichsmark, der des Hauses auf 280.000 Reichsmark. Von dem wenigen ihm nach Abzug der sogenannten „Reichsausgleichsabgabe“, Wertzuwachssteuer und Umsatzsteuer verbliebenen Verkaufserlös kaufte Hellmut Herrmann 1937 von dem Drogisten R. Weidner die Uhland-Drogerie am Kurfürstendamm 212 (heute Uhlandstraße 212, Ecke Kurfürstendamm).
Im Mai und Juni 1938 kam es in Berlin zu neuen antijüdischen Boykottaktionen, die zwischen dem 13. und 20. Juni ihren Höhepunkt erreichten. Geschäfte jüdischer Inhaber wurden in mehreren Berliner Bezirken angegriffen, ihre Schaufenster zerschlagen oder beschmiert. Die antijüdische NS-Politik des Jahres 1938 gipfelte in der reichsweiten sogenannten „Reichskristallnacht“ am 9. November. Mit großer Wahrscheinlichkeit wurde auch die Uhland-Drogerie Hellmut Herrmanns das Ziel der systematischen und exzessiven Ausschreitungen während des Novemberpogroms. Durch die „Verordnung über den Einsatz des jüdischen Vermögens“ (3. Dezember 1938), die eine zwangsweise „Arisierung“ der noch bestehenden jüdischen Betriebe im Reich vorschrieb, wurde Hellmut Herrmann zum Verkauf der Uhland-Drogerie gezwungen. Mit der Verordnung verlor Hellmut Herrmann das Recht zur Verfügung über seinen Gewerbebetrieb. Für die einstweilige Fortführung des Geschäftsbetriebs bis zu einem
Verkauf, musste er einen Treuhänder einsetzen. Im Laufe des Jahres 1940 kaufte eine gewisse Edith Pies (Güntzelstraße 44, Wilmersdorf) die Uhland-Drogerie.
Von dem ohnehin nur geringen Verkaufspreis in Höhe von geschätzt 20.000 Reichsmark verblieben Hellmut Herrmann laut den überlieferten Akten nach Abzug von 18.000 Reichsmark „Judenvermögensabgabe“ und weiterer Abgaben zugunsten des Reichs, nur noch 2000 Reichsmark. Mit der „Achten Verordnung zum Reichsbürgergesetz“ (17. Januar 1939) wurde ihm schließlich die Approbation entzogen und damit die weitere Berufsausübung als Apotheker mit Wirkung zum 31. Januar verboten.
Am 1. März 1939 heiratete Hellmut Hermann Anna Martha Käthe Eylenburg (8. Februar 1899, Kreuzburg/Schlesien). Nach der Heirat lebte das Ehepaar in Hellmut Herrmanns Wohnung in der Knesebeckstraße 32. Mit dem „Gesetz über Mietverhältnisse mit Juden“ vom 30. April 1939, mit dem den Juden das Mieterschutzrecht entzogen wurde, um angesichts der kriegsbedingten steigenden Wohnungsnot Häuser und Wohnungen rascher „entjuden“ zu können, verloren die Herrmanns ihre Wohnung und waren wie den Akten zu entnehmen ist, gezwungen die Wohnungseinrichtung zu Schleuderpreisen zu verkaufen. Die Herrmanns bezogen daraufhin zur Untermiete ein möbliertes Zimmer in einer der vier sogenannten „Judenwohnungen“ in der Konstanzer Straße 51. Ein Jahr nach der Eheschließung wurde am 2. März 1940 der gemeinsame Sohn der Herrmanns geboren, den sie evangelisch auf den Namen Uri Hellmut taufen ließen.
Es ist davon auszugehen, dass Hellmut Herrmann wie möglicherweise auch seine Ehefrau ab Mai 1940, allerspätestens ab Oktober, zur Zwangsarbeit im sogenannten „Geschlossenen Arbeitseinsatz“ in einem der kriegswichtigen Berliner Industriebetriebe herangezogen wurde. Wie vielen anderen deutschen Juden muss den Herrmanns bewusst gewesen sein, dass nur die Beschäftigung in einem kriegswichtigen Betrieb sie vor der Deportation „in den Osten“ schützen konnte. Diese fragile Sicherheit endete jedoch jäh mit der Wannseekonferenz am 20. Januar 1942 und der Wiederaufnahme der Deportationen durch das Reichssicherheitshauptamt am 28. März 1942. Hellmut, Käthe und Uri Hellmut Herrmann wurden am 19. November 1942 mit 97 weiteren Juden über das berüchtigte Sammellager Große Hamburger Straße 26 mit dem „Alterstransport I/78“ in zwei von der Gestapo plombierten Eisenbahnwagen vom Anhalter Bahnhof nach Theresienstadt deportiert. Die Herrmanns erhielten die Transportnummern
9809, 9810 und 9811.
Noch im Sammellager wurde ihr verbliebenes Gesamtvermögen in Höhe von 41.700 Reichsmark auf Grundlage der „Elften Verordnung zum Reichsbürgergesetz“ vom 25. November 1941 als „volks- und staatsfeindliches Vermögen“ zugunsten des Deutschen Reiches beschlagnahmt und die Herrmanns zum Abschluss eines „Heimeinkaufsvertrag H“ gezwungen, mit dem ihnen eine lebenslange kostenfreie Heimunterkunft, Verpflegung und medizinische Betreuung in Theresienstadt garantiert wurde.
Über das Leben der Familie Herrmann in Theresienstadt fast nichts bekannt. Ganz gewiss müssen aber die überfüllten Massenunterkünfte in den uralten Kasernen, Unterernährung, Zwangsarbeit, die grauenhaften sanitären und hygienischen Zustände, Entwürdigung, Krankheit, Siechtum und Verzweiflung und nicht zuletzt die ständig präsente Angst vor den Osttransporten auch ein Schock für sie gewesen sein.
Direkt nach der Ankunft in Theresienstadt wurde Hellmut Herrmann von seiner Familie getrennt und in der Hannover Kaserne untergebracht, in der die arbeitenden Männer des Ghettos kaserniert waren. Seine Frau und sein Sohn wurden sehr wahrscheinlich in Block G VI einquartiert, der für die Unterbringung von Müttern mit Säuglingen und Kleinkindern bis zum 3. Lebensjahr vorgesehen war. Wie aus der Transportliste für den späteren Auschwitz-Transport „Ev“ hervorgeht, wurden Hellmut und Käthe Herrmann als „Arbeiter“ bzw. im „Haushalt“ zu Arbeiten im Ghetto eingeteilt. Aufgrund des außerordentlich strengen Winters 1942/43, der massiven Mangelernährung und der in Theresienstadt grassierenden Infektionskrankheiten, erkrankte Hellmut und Käthe Herrmanns Sohn an Scharlach, Masern und Lungenentzündung, was im Ghetto einem Todesurteil gleichkam. Am 12. Februar 1943 starb Uri Hellmut Herrmann auf der Infektions-Abteilung E VI des zentralen Krankenhauses des Ghettos in der
Hohenelber Kaserne.
Hellmut und Käthe Herrmann wurden am 28. Oktober 1944 mit dem „Transport Ev“, dem letzten der sogenannten „Arbeitseinsatztransporte“ nach Auschwitz-Birkenau deportiert. Zuvor waren beide persönlich durch den Theresienstädter Lagerkommandanten, SS-Obersturmführer Karl Rahm, und den Hauptadjutanten Adolf Eichmanns, SS-Hauptsturmführer Ernst Möhs für diesen Transport selektiert worden (Transportnummer 217 und 218). Noch am Tag ihrer Ankunft in Auschwitz-Birkenau, dem 30. Oktober, wurden beide, so wie auch 1687 weitere Theresienstädter Juden des „Transport Ev“, von den SS-Lagerärzten als „arbeitsunfähig“ selektiert und anschließend in den Gaskammern ermordet.
Text und Recherche: Tobias E. Eschke
Quellen:
Berliner Adressbücher
Entschädigungsamt Berlin
Matrikel der Universität Würzburg
Arolsen Archives
Gedenkstätte KZ Sachsenhausen
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