Daisy Strauss war jedoch bis 1927 noch in den Frankfurter Adressbüchern als Konzertsängerin in der Feuerbachstraße 49 verzeichnet. Ab 1915 finden sich diverse Konzerttätigkeiten in Deutschland und in der Schweiz. Sie sang unter anderem in Frankfurt bei einem Liederabend am Dr. Hoch’schen Konservatorium zu Gunsten der Notleidenden in Elsaß-Lothringen am 8. März 1915. In Darmstadt übernahm sie am 18. April 1916 den Sopranpart der „Johannespassion” von Johann Sebastian Bach und konzertierte im August 1920 im Schlosshotel Enderlin in Pontresina. Dort sang sie Werke von Max Reger und die Arie „Höre Israel“ aus dem Oratorium „Elias” von Felix Mendelssohn. In den frühen 1920er Jahren gab sie eine Reihe von Liederabenden mit Werken unter anderem von Gustav Mahler und Frederick Delius.
In Berlin arbeitete Daisy Strauss ab 1920 als Konzertsängerin und wohnte zunächst in der Nürnberger Straße 7, später in der Güntzelstraße 63 in Wilmersdorf. Sie blieb ledig und konnte von ihrer Tätigkeit als Solistin nicht leben. Wahrscheinlich arbeitete sie als Gesangslehrerin. Ihrem Neffen Ernst Strauss zufolge verdiente sie sich außerdem durch Modedesign etwas hinzu. Doch noch bis 1926 finden sich Belege für Auftritte unter anderem in Berlin, Hamburg, Karlsruhe und in der Schweiz.
Aus dem regen muslimischen Leben im Berlin der damaligen Zeit entwickelte sich 1925 die sogenannte „Sufi-Bewegung e.V.”, deren Mitglied und stellvertretende Vorsitzende Daisy Strauss wurde. Die Sufi-Bewegung glaubt an die Gegenwart eines einzigen Gottes, dessen Botschaft alle Glaubensrichtungen gleichermaßen umfasst. Sie zielt auf ein Leben in Harmonie mit sich selbst und den Mitmenschen. So steht auf dem Sufi-Altar eine Kerze auch für die jüdische Religion. Die Versammlungen des nur wenige Mitglieder umfassenden Vereins fanden im „Sufi-Heim“ in der Nürnbergerstraße 7 statt, zugleich Privatadresse von Daisy Strauss. In den Protokollen der Jahre 1929 bis 1932 unterschrieb sie mit dem Zusatz „Konzertsängerin“.
In der Vorstandssitzung des Vereins am 7. April 1933 fassten die fünf Vorstandsmitglieder unter dem Druck der neuen Machthaber den Beschluss, „die öffentliche Tätigkeit der Sufi Bewegung mit Rücksicht auf die derzeitige politische Lage einzustellen“. Daisy Strauss beantragte daraufhin in einem Schreiben vom 26. April 1933 an das Amtsgericht Berlin Mitte im Namen der Sufi-Bewegung die Löschung des Vereins.
Immer wieder reiste Daisy Strauss nach Frankfurt, wo sie im Salon ihrer Mutter eine private Bühne haben konnte, auch musikalisch begleitet von Franz Calvelli-Adorno. Es ist von ihr keine Tätigkeit im „Jüdischen Kulturbund” nachweisbar, was darauf schließen lässt, dass sie in den 1930er Jahren nicht mehr öffentlich als Gesangssolistin auftrat. Anfang der 1940er Jahre musste sie aufgrund des „Gesetz[es] über Mietverhältnisse mit Juden” vom 30. April 1939 ihre Wohnung in der Güntzelstraße 63 zwangsweise aufgeben. Ab Oktober 1941 war sie in einem sogenannten „Judenhaus“ in der Nachodstraße 19 in Berlin-Wilmersdorf gemeldet.
Am 13. Januar 1942, einem sehr kalten Sonntag, wurde Daisy Strauss von der im Stadtbezirk Tiergarten gelegenen und von den Nationalsozialisten als „Sammellager“ missbrauchten Synagoge an der Levetzowstraße 7 zum Bahnhof Grunewald getrieben. Soweit bekannt, mussten die Menschen die gut 8 km von Tiergarten bis Grunewald zu Fuß und unter Drangsalierungen zurücklegen. Vom Gleis 17 des Güterbahnhofs Grunewald wurde Daisy Strauss mit über 1000 weiteren jüdischen Menschen nach Riga deportiert. Es war der sog. „8. Osttransport” aus Berlin, Zug Da 44, 3. Klasse. Ihr Beruf wird in der Deportationsliste mit „Sängerin” angegeben, ihr Status als „arbeitsfähig“. Nach drei Tagen, am 16. Januar 1942, erreichte der Zug den Bahnhof Skirotava am Stadtrand von Riga. Bei der extremen Kälte starben zahlreiche Menschen auf dem Transport oder Tage später an den Folgen von Erfrierungen und Erschöpfung. Viele wurden bei Ankunft sofort erschossen. Das Schicksal von Daisy
Strauss auf dem Weg nach Riga ist nicht bekannt. Ihr Todesdatum wurde später behördlich auf den 31. Januar 1942 festgesetzt. Es liegen weder eine Sterbeurkunde noch ein anderer Nachweis ihres Sterbedatums vor.
In den 1950er Jahren strengte Daisy Strauss‘ Schwester Maria einen Prozess an, der ihr ihren Pflichtanteil am Strauss-Vermögen sichern sollte. Bevor ein rechtskräftiges Urteil gesprochen werden konnte, verstarb sie am 16. März 1956 in Brühl, Baden. Ihr Mann Herbert und ihre Schwägerin Hanna Strauss stellten im Sommer 1958 einen Entschädigungsantrag für Daisy Strauss beim Entschädigungsamt Berlin, der aber nicht weiterverfolgt wurde, auch weil die Daten über Daisy nur lückenhaft angegeben worden bzw. Daten nicht vorhanden waren.
Recherche und Text: Christiane Grün und Judith Wilke-Primavesi, Cäcilienchor Frankfurt/Main
Quellen:
- Berliner Adressbücher 1920 – 1942
- Frankfurter Adressbücher 1920 – 1927
- Gedenkbuch des Bundesarchivs
- Volkszählung vom 17.5.1939
- Deportationsliste
- Bernd Bauknecht, „Muslime in Deutschland von 1920 bis 1945, in: Zeitschrift für Religionswissenschaft, 2001, Bd. 9, Heft 1, S. 41–81 sowie Archiv der Sufi-Bewegung e.V., Berlin
- Helene Calvelli-Adorno (1895–1988), Erinnerungen, in: Sammlung Petra Bonavita
- Alfred Gottwaldt und Diana Schulle, Die Judendeportationen aus dem deutschen Reich 1941–1943. Eine kommentierte Chronologie, Wiesbaden 2005
- Robert Montgomery, and Robert Threlfall, Music and Copyright: The Case of Delius and His Publishers, Aldershot 2007, S. 155
- Erich H. Müller, Deutsches Musiker Lexikon, Dresden 1929, S. 538
Dokumentierte Konzerte von Daisy Strauss:
- Neue Zeitschrift für Musik 1919, Jahrgang 86, S. 278 (https://archive.org/details/NeueZeitschriftFrMusik1919Jg086/page/n277/mode/2up?q=Daisy)
- Staatliches Institut für Musikforschung, Preußischer Kulturbesitz, Berlin http://digital.sim.spk-berlin.de/viewer/image/775084921-05/27/LOG_0014/#. http://digital.sim.spk-berlin.de/viewer/image/775084921-01/63/LOG_0028/
- Daisy_Strauss_Neue Hamburger Zeitung – 1921-02-05.1_png; Daisy_Strauss_Neue Hamburger Zeitung – 1921-02-05.2_png
- Konzertführer Berlin-Brandenburg, Heft 3, 22.09.-12.10.1924;
- https://klangrausch.jimdo.com/karlsruhe/margarete-schweikert/erfolge/.
- Berliner Zeitung, Juni 1926 und Jean Paul-Blätter, Bände 1-4, S. 32