HIER WOHNTE
CHARLOTTE
SCHLESINGER
GEB. SEGALL
JG. 1893
DEPORTIERT 3.10.1942
THERESIENSTADT
1944 AUSCHWITZ
ERMORDET
Charlotte Schlesinger geb. Segall (an anderen Stellen: Segal) wurde am 23. Oktober 1893 in Kulm (Chulm, Westpreußen, im heutigen Polen) geboren. Ihre Eltern hießen Gabriel Segall (1849-1905) und Amalie Segall geb. Kurtzig (1861-1942). Charlotte war offenbar ein Einzelkind.
Wann Charlotte nach Berlin kam und ihren späteren Mann kennenlernte, ist nicht bekannt, aber am 19. Oktober 1923 kam ihr Sohn Franz Günther in Berlin zur Welt. Die Familie Schlesinger lebte in einer großzügigen Sechs-Zimmer-Wohnung in der Charlottenburger Mommsenstraße an der Ecke zur Wielandstraße (das Haus wurde 1945 ausgebombt). Bis zum Alter von fünfzehn Jahren besuchte Franz Günther das Kaiser-Friedrich-Gymnasium (heute Joan-Miró-Grundschule) in der Bleibtreustraße; 1938 – im Alter von 15 oder 16 Jahren – verließ er direkt nach dem Schulabschluss Berlin in Richtung Niederlande. Im selben Jahr wurde Hans‘ Anwaltskanzlei von den Nazis liquidiert (an anderer Stelle wird das Jahr 1935 genannt). Im November 1938 wurde er als sogenannter „Aktionsjude“ in das Konzentrationslager Buchenwald eingeliefert; so bezeichnete man die Juden, die nach der „Reichspogromnacht“ verhaftet wurden, um sie zu erpressen und ihr Vermögen zu „arisieren“. Im Dezember
wurde er wieder freigelassen; bis 1942 war er laut seinem Sohn noch als „Konsulent” (Rechtsberater) für Juden tätig.
Hans und Charlotte lebten also alleine in der Mommsenstraße, als sie am 3. Oktober 1942 mit dem dritten großen Alterstransport nach Theresienstadt deportiert wurden. Noch 80 Jahre später erinnerte sich eine damalige Nachbarin des Hauses bei der Verlegung der Stolpersteine an diesen Moment, den sie als Neunjährige in der Dunkelheit durch das Fenster beobachtet hatte. Zwei Jahre später, am 6. Oktober 1944, wurden Hans und Charlotte von Theresienstadt nach Auschwitz deportiert. Ihr Todesdatum ist unbekannt und wurde mit 1945 festgesetzt. Auch Hans‘ Schwester Fanny, ihr Mann und ihre Kinder überlebten nicht.
Ihr Sohn Franz Günther lebte nach seiner Auswanderung in die Niederlande einige Jahre in Dordrecht in Südholland und bewohnte dort ein Zimmer bei einer Familie Frits Blau, die jedoch im August 1942 deportiert wurde. Franz Günther tauchte spätestens zu diesem Zeitpunkt mit einigen jüdischen Freunden in Utrecht unter, wo er – so ein Forschungsartikel – vermutlich Kontakt zur jüdischen Widerstandskämpferin Truus van Lier hatte. Im Oktober 1943 wurde Franz Günther verhaftet, kam zunächst ins Übergangslager Westerbork und im Januar 1944 nach Theresienstadt. Dort sah er seine Eltern ein letztes Mal wieder – in der Zentralen Datenbank von Yad Vashem finden sich in Gedenkblättern zu Hans und Charlotte die Worte „last seen by his [her] son in Theresienstadt 1944, fate unknown.“ Anders als seine Eltern blieb Franz Günther am Leben, vermutlich, weil er sich als Metallarbeiter ausgab. Im September 1944 wurde er nach Auschwitz transportiert, wo er zwei Monate lang
überlebte – bis zum nächsten Transport.
Er schreibt in seinem Entschädigungsantrag 1952:
„Von Auschwitz wurde ich als Zwangsarbeiter nach dem Arbeitslager Meuselwitz (b. Leipzig) überführt. Während Abtransportes (sic) nach dem K.Z. Dachau gelang mir die Flucht (April 1945) und durch Bemittlung (sic) der amerikanischen Behörden konnte ich im Sommer 1945 nach Holland zurückkehren. Ich habe dort mein medizinisches Studium angefangen und beendet und bin jetzt als Arzt zu Utrecht tätig. Seit 1949 besitze ich die holländische Staatsangehörigkeit.“
Seitdem führte Franz Günther Schlesinger offenbar ein glückliches Leben mit seiner Frau Betteke, mit der er seine Leidenschaft für Musik teilte. Er starb am 24. Januar 2013 im Alter von 89 Jahren.
Von Hans Schlesingers Geschwistern hatte nur Margarete die Nazizeit überlebt. Als Margarete Hofstein-Schmerl starb sie 1984 in Tel Aviv.
Quellen:
- https://www.geni.com/people/Hans-Schlesinger/6000000031051515563
- Entschädigungsamt Berlin
- https://www.statistik-des-holocaust.de/list_ger_ber_gat3
- Gedenkbuch Bundesarchiv
- https://hetutrechtsarchief.nl/onderzoek/resultaten/archieven?mivast=39&mizig=307&miadt=39&miaet=14&micode=BIBLIO_STIJD&minr=49324204&miview=ldt
- https://yvng.yadvashem.org/nameDetails.html?language=de&itemId=13861312&ind=2
- Gespräch der Verfasserin mit einer Nachbarin bei der Stolperstein-Verlegung 2022
Recherche und Text: Katrin Schwenk, Stolpersteininitiative Charlottenburg-Wilmersdorf