Stolpersteine Motzstraße 90

Hauseingang Motzstraße 90

Hauseingang Motzstraße 90

Diese Stolpersteine wurden am 8. April 2022 verlegt.

Stolperstein Siegmund Bette

Stolperstein für Siegmund Bette

Die Biografien der Familie Bette beruhen auf „The Bette – Story“ von John Spencer, dem Enkel Siegmund Bettes und Sohn Anneliese Bettes.

HIER WOHNTE
SIEGMUND BETTE
JG. 1885
FLUCHT 1935
ENGLAND

Moritz Bette und Anne-Marie Bette, geb. Goetz, waren die Eltern von sechs Kindern, alle geboren in der Nähe von Powidz/Posen. Nach ihrer Heirat im Jahr 1876 kamen Mindel am 5. Januar 1877, Dorothea am 29. Januar 1878, Joseph am 13. März 1880, Juda am 11. Januar 1884, Siegmund am 13. Juli 1885 und ein totgeborenes Baby 1886 auf die Welt.
Drei der Geschwister Siegmunds wurden mitsamt ihren Ehepartnern im Holocaust ermordet, Mindel 1943 in Sobibor, ihr Mann Kurt Ascher in Bergen-Belsen, Dorothea wurde mit ihrem Mann Elias Schmolter 1942 nach Riga deportiert und ermordet, Joseph wurde 1942 in Auschwitz ermordet, seine Frau Lili starb 1943 in Sobibor. Juda Bette starb am 30. August 1915 als Füsilier im 1. Weltkrieg in der Nähe von Lemberg durch einen Kopfschuss. Allein Siegmund konnte durch Flucht die Zeit des Nationalsozialismus überstehen.

Die Familie Bette zog zu einem nicht bekannten Zeitpunkt nach Berlin. Siegmunds Vater Moritz starb dort im Alter von 60 Jahren am 16. Oktober 1912. Die Wohnung der Bettes befand sich in der Neuen Grünstraße 13 nahe Spittelmarkt.
Am 11. April 1918 heiratete Siegmund die 1890 in Dresden geborene Charlotte Alice Cohn. Es kamen 2 Töchter auf die Welt, Edith wurde am 9. November 1919 und Anneliese am 18. November 1922 geboren. Ihre langjährige Adresse war schon damals die Motzstraße 90.
Der Kaufmann Siegmund Bette war zusammen mit Max Rosen Teilhaber eines Bekleidungsunternehmens für Blusen und Kleider der Firma Louis Rosenthal & Co mit Sitz in der Beuthstraße 20.
Am 7. Januar 1931 wurde die Fa. Louis Rosenthal & Co gelöscht. Geschäft und Firma gingen in die Louis Rosenthal & Co Aktiengesellschaft über. Die Aktiengesellschaft existierte bis 1938, wurde dann „arisiert“ und hieß Erich Grahl AG mit Sitz am Hausvogteiplatz 12.
In den 1920er- Jahren waren die Geschäfte für die beiden Teilhaber offenbar sehr gut gelaufen, denn Siegmund konnte für seine Familie ein Landhaus am Kladower Damm 23-25 erwerben. Das direkt am Havelufer gelegene Anwesen bot der Familie im damals noch sehr ländlichen Gatow eine perfekte Urlaubsidylle.

Siegmund Bette - Motzstraße 90

Siegmund Bette

1933 änderte sich das Leben die deutschen Juden gravierend, so auch für Siegmund Bette und seine Familie. Das Bekleidungsgeschäft war ständigen Schikanen ausgesetzt – u.a., weil der Personalleiter ein aktiver Nazi und Denunziant war. Auf der Straße mussten sie mit ansehen, wie ihre jüdischen Nachbarn tätlich angegriffen wurden. In Gatow wurden seine Töchter und seine Frau von SA–Männern auf dem Grundstück ihres Landhauses mit gezogenen Revolvern bedroht. Siegmund Bette erlitt unter diesen Umständen einen Nervenzusammenbruch und war noch 1935 nicht arbeitsfähig. Seine Tochter Edith litt psychisch so heftig unter der Situation, dass die Bettes beschlossen, sie vorerst aus Deutschland herauszubringen. Für einige Monate lebte sie in einer Pension in Lausanne, kehrte dann aber wieder nach Berlin zurück und arbeitete kurzzeitig in der Firma ihres Vaters. Inzwischen war die Familie in die Bundesallee 7 umgezogen. Es handelt sich bei dieser Adresse um die heutige Länderallee 7 im Charlottenburger Westend.
1935 traf das Ehepaar Bette den endgültigen Entschluss, Deutschland zu verlassen und nach England auszuwandern. Charlotte Bette fuhr mit den Töchtern direkt nach London, Siegmund reiste separat über die Schweiz.
In London ließen sie sich in der Spaniard Close nieder. Siegmund gründete ein weiteres Bekleidungsgeschäft in England. Er starb am 28. Dezember 1946 in London.

Text: Karin Sievert

Weitere Quellen:

Berliner Adressbücher – Zentral- und Landesbibliothek Berlin
Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten – Entschädigungsbehörde


Stolperstein Charlotte Bette

Stolperstein für Charlotte Bette

HIER WOHNTE
CHARLOTTE BETTE
GEB. COHN
JG. 1890
FLUCHT 1935
ENGLAND

Am 26. Januar 1890 wurde Charlotte Alice Cohn in Dresden als Tochter von Maximilian Louis Cohn und seiner Ehefrau Helene, geb. Goldstein, geboren. Charlotte hatte vier weitere Geschwister. Isaac, Clara, Frieda und Liese (Lisbeth). Liese wurde 1881 geboren. Von Frieda ist mit dem 16. Januar 1880 ein genaues Geburtsdatum bekannt. Sie starb 1927 an Lungenkrebs und hinterließ die Tochter Ilse, die 1938 mit ihrem Mann Walter Österreicher in die USA emigrierte.
Auch die anderen Geschwister, Isaac, Clara und Liese, wanderten in die USA aus, Liese konnte Europa allerdings erst verlassen, nachdem sie zusammen mit ihrer Tochter Ursula das KZ Theresienstadt überlebt hatte.
Charlotte heiratete am 11. April 1918 in Berlin den Kaufmann Siegmund Bette. Sie bekam zwei Töchter, die am 9. November 1919 geborene Edith und drei Jahre später Anneliese, geboren am 18. November 1922. Charlottes Vater Maximilian verstarb am 13. Mai 1923. Die Familie Bette wohnte in der Motzstraße 90, erst kurz vor der Ausreise nach England zog man in die Bundesallee 7, heute Länderallee im Berliner Westend. Die 1920er-Jahre dürften für Charlotte Bette eine weitgehend sorgenfreie Zeit gewesen sein. Die Geschäfte ihres Mannes in der Bekleidungsbranche liefen so gut, dass man sich ein direkt an der Havel gelegenes Landhaus in Gatow leisten konnte.

Charlotte Bette geb. Cohn - Motzstraße 90

Charlotte Bette geb. Cohn

1933 erfuhren die Bettes – wie alle anderen Juden in Deutschland auch – unmittelbar den nationalsozialistischen Terror. Die Familie wurde auf ihrem Gatower Grundstück von bewaffneten SA-Männern bedroht und besonders Edith in der Schule von den nicht-jüdischen Mitschülern gemobbt. Die Situation war nervlich so angespannt, dass eine Ausreise nach England vorbereitet wurde.
Charlotte reiste im Juli 1935 mit den Töchtern von Berlin direkt nach London, Siegmund wählte einen Umweg über die Schweiz. London sollte ihr dauerhaftes zu Hause bleiben. 1938 zog Charlottes Mutter Helene ebenfalls nach London. Sie lebte dort mit Charlotte und ihrer Familie bis zu ihrem Tod im Jahr 1941.
Im Dezember 1946 wurde Charlotte Witwe, sie selbst lebte bis zu ihrem Tod am 22. März 1954 in London.

Text: Karin Sievert

Stolperstein Edith Bette

Stolperstein für Edith Bette

HIER WOHNTE
EDITH BETTE
JG. 1919
FLUCHT 1935
ENGLAND

Edith Bette wurde als älteste von zwei Töchtern am 9. November 1919 in Berlin geboren. Ihre jüngere Schwester Anneliese kam am 18. November 1922 auf die Welt. Der Vater Siegmund Bette war Miteigentümer einer Berliner Bekleidungsfabrik. Die Mutter Charlotte Bette sorgte für ihre Kinder und den Haushalt.
Bis 1932 besuchte Edith das Staatliche Augusta-Gymnasium in Berlin, 1933 die Westendschule, ein Berliner Lyzeum. 1933 musste sie die Schule verlassen, nachdem sie als Jüdin von ihren Mitschülern und auch auf der Straße gemobbt worden war. In der Folgezeit war sie psychisch und gesundheitlich durch die Ereignisse besonders belastet:
„…Es waren meine ersten Erfahrungen dieser Art; Damals war ich 14 Jahre alt. Dies geschah zu der Zeit, als sich in Berlin der weit verbreitete Boykott jüdischer Unternehmen ausbreitete. Die Firma meiner Eltern wurde boykottiert, der Personalleiter war ein Nazi, die Firma hatte Nazi – Zellen, Telefongespräche wurden abgehört, uniformierte SA- und SS-Soldaten gingen ein und aus. Wir hatten ständig Angst, rausgeschmissen zu werden. Damals musste ich mitansehen, wie in der Nähe unserer Wohnung in der Motzstraße Juden tätlich angegriffen wurden.“
Ihre Eltern flohen daraufhin mit ihr für eine Woche in die Schweiz, um einer Verhaftung zu entgehen.
„Dort wohnte ich einige Monate in einer Pension in Lausanne. Im folgenden Jahr 1934 ließen mich meine Eltern wieder nach Berlin zurückkehren. Am Grenzübergang wurde ich von der SS komplett entkleidet. Aus diesem Grund befand ich mich seit Beginn des Jahres 1933 in einem Zustand ständiger Angst und Furcht.“
Zurück in Berlin besuchte Edith mehrere Monate die jüdische Privatschule Lessler, nebenher arbeitete sie in der Bekleidungsfabrik ihres Vaters:
„Das Geschäft war ständig Schikanen ausgesetzt. Ständig kamen Drohungen von Nazi-Hacks. Ich erinnere mich an eine Nacht im Juli 1934, die für mich schrecklich war. Ich erinnere mich noch daran, wie die Polizei aus Autos sprang und es herrschte eine schreckliche Aufregung. Auf unserem Grundstück in Gatow wurde ich zusammen mit meiner Schwester und meiner Mutter von SA-Männern mit gezogenen Revolvern bedroht und wäre vor Angst fast zusammengebrochen. Sogar mein Vater erlitt einen Nervenzusammenbruch.“
Edith hatte so heftige nervöse Störungen, dass die Eltern Bette 1935 beschlossen, Deutschland zu verlassen. Mit ihrer Mutter und Anneliese floh sie direkt nach England. Siegmund Bette reiste separat über die Schweiz. Aber auch in England kam Edith nicht zur Ruhe.
„Auch in England waren wir unsicher, weil wir beim Zeitungskauf fotografiert wurden…Bald nach der Einwanderung nach England war ich ständig auf medizinische Behandlung angewiesen.“
Sie litt noch bis in die 1960er-Jahre an Schlaflosigkeit, Angstzuständen und Depressionen mit allen damit verbunden körperlichen Symptomen.
Edith heiratete 1946, zwei Tage nach dem Tod ihres Vaters Siegmund, den 1909 in Brno, Slowakei geborenen William Weinburger (ursprünglich Vilem Vinaraky). Der Name wurde anglisiert in William Wineberg. Die Ehe blieb kinderlos. Edith starb 1986 in London. Sie überlebte ihren Mann um 10 Jahre.

Text: Karin Sievert

Stolperstein Annelise Bette

Stolperstein für Anneliese Bette

HIER WOHNTE
ANNELIESE BETTE
JG. 1922
FLUCHT 1935
ENGLAND

Anneliese war die jüngere der beiden Töchter von Siegmund und Charlotte Bette. Sie kam am 18. November 1922 in Berlin zur Welt. Sie besuchte zunächst zwei verschiedene Grundschulen. Schon im Januar 1933, gleich nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten, nahmen die Eltern die 10-Jährige aus der vierten Klasse heraus, weil sie deren Ausgrenzung an der öffentlichen Schule nicht ertragen konnte. Bis zum Dezember 1933 wurde Anneliese nicht beschult, ging dann aber noch im selben Jahr auf die Privatschule Waldschule Grunewald, auch „Lessler-Schule“ genannt. Im April 1935 wurde ihrer Schulausbildung erneut durch die Ausreise nach England unterbrochen. Im folgenden halben Jahr war sie ohne weiteren Schulbesuch mit dem Erlernen der englischen Sprache beschäftigt, bevor sie im Januar 1936 die Kings House School in London besuchen konnte. 1939 verließ sie die Schule, allerdings ohne den Hochschulabschluss. In den folgenden drei Jahren absolvierte sie eine Ausbildung zur Zahntechnikerin. Sie arbeitete danach viele Jahre in diesem Beruf.
Ihr Traum, nach einem Abitur Medizin studieren zu können, zerplatzte durch die erzwungene Emigration der Familie.
1941 heiratete die damals 19-jährige Anneliese den 17 Jahre älteren aus Budapest stammenden Eric Spitzer. Sie bekamen drei Kinder, 1942 wurde Irene geboren, 1944 kam David auf die Welt und 1949 John. Der Nachname wurde 1947 in Spencer geändert.

John Spencer, dem diese Familiengeschichte zu verdanken ist, lebt mit seiner Frau Elisabeth heute in Toronto. John und Elisabeth haben die Stolpersteine für ihre verfolgte Familie gespendet.

Text: Karin Sievert