HIER WOHNTE
ELSA DAVIDSOHN
GEB. FRIEDENSOHN
JG. 1874
DEPORTIERT 18.10.1941
LODZ / LITZMANNSTADT
1942 CHELMNO / KULMHOF
ERMORDET 8.5.1942
Elsa Davidsohn, geb. Friedensohn, erblickte am 9. Februar 1874 in Schwerin das Licht der Welt. Wir wissen nicht, wann sie nach Berlin zog oder ob sie möglicherweise zuvor in Hamburg wohnte. Zumindest hielt sie sich hier häufig bei ihrem Cousin Alfred Friedensohn und dessen Frau Gertrud zu Besuch auf.
Alfreds Schwester Käthe, 1877 ebenfalls in Schwerin geboren, heiratete den Hamburger Mediziner Dr. Paul Bonheim. Aus dieser Ehe gingen zwei Söhne hervor – Hans Herrmann, geb. 1907, und der drei Jahre jüngere Erwin Alfred. Mit Paul Bonheim war Elsa Davidsohn in zweifacher Weise verwandt. Zum einen als Pauls und Käthes Schwägerin, zum anderen als dessen Cousine, da Pauls Vater und Elsas Mutter Geschwister waren.
Fast wäre Elsa Davidsohn vergessen worden – im Gegensatz zu ihren vielen einst in Hamburg lebenden Verwandten aus den Familien Friedensohn und Bonheim, an die längst mit Stolpersteinen erinnert wird. Dabei war es doch gerade sie, die sich um den bis heute währenden Fortbestand der Bonheim´schen Linie verdient gemacht hat. Sie hatte nämlich Paul Bonheims zweiten Sohn Erwin Alfred bei sich in der Bamberger Str. 19 in „voller Pension“ aufgenommen, als dieser ein Volontariat als Drucker bei der Druckerei Dreifuss & Sohn in der Kommandantenstraße 1-2 in Kreuzberg absolvierte.
Im Zuge des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums wurde „nichtarischen“ Ärzten die kassenärztliche Zulassung entzogen, so auch Dr. Paul Bonheim und dessen Sohn Hans Hermann, ebenfalls Doktor der Medizin. Im September 1938 wurde ihnen die Approbation entzogen. Danach durften sie lediglich als sogenannte Krankenbehandler für die Grundversorgung der jüdischen Bevölkerung tätig sein. Die Existenzgrundlage der Bonheims war somit zerstört. Sie entschieden sich, Hamburg in Richtung Ausland zu verlassen. Deshalb bestellte Paul Bonheim seinen Sohn Erwin Alfred
aus Berlin zurück nach Hamburg. Im Februar 1939 gelang es Paul, Käthe und Erwin Alfred zunächst in die Niederlande zu fliehen, um von dort nach Amerika zu emigrieren.
Zuvor hatte Dr. Bonheim sein stattliches Barvermögen, das er nicht ausführen durfte, großzügig der jüdischen Gemeinde und vielen seiner Verwandten vermacht. So erhielt Elsa Davidsohn am 9.Februar 1939 zu ihrem 65. Geburtstag eine Schenkung in Höhe von 10.000 RM, wohl auch als Dank dafür, dass sie sich lange um Erwin Alfred gekümmert hatte. Ganz sicher bedeutete diese Summe eine Entlastung für sie, denn sie war in finanzielle Bedrängnis geraten nachdem das von ihr seit 1902 geführte Fachgeschäft für Papier- u. Bürobedarf 1938 „arisiert“ worden war. Mit einem Teil dieses Geldes eröffnete sie für ihren Neffen Hans Hermann Bonheim ein Konto in den USA und deponierte die für die Erteilung eines Visums obligatorische Summe von 1500.- $. Der war nämlich im Zuge der Novemberpogrome am Tag seiner ursprünglich geplanten Ausreise in die USA verhaftet und im KZ Sachsenhausen interniert worden. Dort körperlich schwer misshandelt, musste er sich verpflichten,
Deutschland unmittelbar zu verlassen. Das gelang dank dieser vorausschauenden Tat von Elsa Davidsohn.
Auch wenn sie selbst sich zum damaligen Zeitpunkt der Tragweite dieser Kontoeröffnung und Geldüberweisung wohl kaum bewusst gewesen sein mochte, hat sie doch in jenen Tagen den entscheidenden Beitrag für sein Überleben und damit den Fortbestand der Familie Bonheim bis zum heutigen Tag geleistet.
Das Leben von Hans Hermann konnte also dank der Unterstützung seiner Tante Elsa gerettet werden – nicht aber das seiner Eltern und seines Bruders. Nach dem Einmarsch der Wehrmacht in die Niederlande im Mai 1940 mussten sie ihr Vorhaben, ebenfalls in die USA zu emigrieren, endgültig aufgeben. Nicht zuletzt um der drohenden Deportation zuvorzukommen, auch völlig entkräftet, gesundheitlich angeschlagen und bar jedweder positiven Perspektiven setzten Paul und Käthe Bonheim ihrem Leben am 13. Dezember 1942 gemeinsam ein Ende. Ihr Sohn Erwin Alfred Bonheim, der vor der Flucht in die Niederlande bei Elsa Davidsohn gelebt hatte, wurde im Januar 1944 während einer Razzia in Amsterdam verhaftet, über das Lager Westerbork nach Auschwitz deportiert und dort im selben Jahr ermordet.
Auch Elsa Davidsohn selbst blieb es verwehrt, ihr Leben durch Flucht ins Ausland zu retten. Sie wurde am 18. Oktober 1941 mit dem ersten Berliner Transport „nach Osten“ vom Güterbahnhof Grunewald, Gleis 17, mit über 1000 jüdischen Berlinerinnen und Berlinern zunächst in das Getto Lodz/Litzmannstadt deportiert. Dort war sie in der Alexanderhofstraße 25-28 untergebracht. Am 8. Mai 1942 wurde sie weiter in das etwa 50 km nördlich von Lodz gelegene Vernichtungslager Chelmno/Kulmhof verschleppt und noch am selben Tag in speziell dafür eingerichteten Lastwagen vergast.
Recherche und Text: Michael Steffen