Stolpersteine Konstanzer Straße 58

Hausansicht Konstanzer Str. 58

Die Stolpersteine für Wally und Hermann Hartstein wurden am 06.10.2021 verlegt.

Stolperstein für Hermann Hartstein

HIER WOHNTE
HERMANN HARTSTEIN
JG. 1874
DEPORTIERT 26.9.1942
ERMORDET IN
RAASIKU

Hermann Hartstein kam am 27. September 1874 als erstes von insgesamt fünf Kindern in Groß-Sabin (heute Żabin), Kreis Dramburg in West Pommern (heute Polen) zur Welt. Sein Vater Pinkus Hartstein war damals 30 Jahre und seine Mutter Jeanette Hartstein, geb. Lilienthal, 23 Jahre alt. Sechs Jahre später wurde sein Bruder Martin in Falkenburg (heute Złocieniec) geboren, wohin die Familie in der Zwischenzeit gezogen war. Hier kamen auch Hermanns Schwester Martha, sein Bruder Siegmund und seine jüngste Schwester Frieda zur Welt.

Pinkus Hartstein war Inhaber einer Getreidehandlung und einer Handelssämerei. Wie sein Vater wurde auch Hermann von Beruf Kaufmann. Als sein Vater am 12. Januar 1899 in Falkenburg starb, war Hermann 24 Jahre alt und sah seine Zukunft in der aufblühenden Reichshauptstadt Berlin. Wann genau er dorthin umsiedelte, konnte nicht recherchiert werden. Bei seiner Verlobung am 12. März 1911 wohnte er mit seiner Mutter und den noch unverheirateten Geschwistern in der Spenerstraße 22 in Berlin-Moabit.

Schon ein Jahr vorher, 1910, hatte Hermann zusammen mit seinem Bruder Martin Hartstein laut Handelsregister HRA 90 – 88386 die Offene Handelsgesellschaft (OHG) Wilhelm Cohn, Berlin gegründet. Laut Handelsregister gab es die Firma Wilhelm Cohn, Textil und Bekleidung schon seit 1902 in der Klosterstraße 17/19 in Berlin-Mitte. Hermann war mit einem 2/3-Anteil an der Gesellschaft beteiligt und sein sechs Jahre jüngerer Bruder Martin mit 1/3-Anteil.

Am 1. Juni 1911 heiratete Hermann die 23-jährige Wally Valerie Borchardt. Am 10. März 1912 wurden sie Eltern einer Tochter, die sie Hilde nannten. Vier Jahre später kam am 19. Februar 1916 das zweite Kind, der Stammhalter Hans, zur Welt. Damals wohnte die Familie in der Brandenburgischen Straße 28 in Wilmersdorf, einem Ort mit einem verhältnismäßig hohen jüdischen Bevölkerungsanteil.

Mitte der 20er-Jahre lag das durchschnittliche Jahreseinkommen von Hermann und Wally Hartstein aus der OHG und der zum Unternehmen gehörenden Gardinenfabrik Herma in Plauen im Vogtland bei ca. 100.000 RM.

1924 ließen sich Hermann und Wally Hartstein von dem stadtbekannten Architekten Georg Caro eine 19-Zimmer-Villa entwerfen und in der Musäusstraße 8 in Berlin-Dahlem, einem der privilegiertesten Stadtviertel von Berlin, erbauen. Ungefähr 1925 zog die vierköpfige Familie mit ihren Hausangestellten dort ein. Trotz Wirtschaftskrise erzielte die Firma Anfang der zwanziger Jahre hohe Umsätze. In der Firma Wilhelm Cohn, Berlin arbeiteten immer mindestens 20 Personen, erinnerte sich 1964 Hans Hartstein, der seit ca. 1934 bis zu seiner Emigration 1938 ebenfalls dort beschäftigt war.

Zu seinem 60. Geburtstag 1934 schenkte Hermann seiner Ehefrau Wally einen sehr kostbaren Pelzmantel, der in Paris handgefertigt und von einem Mitarbeiter des Modehauses persönlich in Berlin ausgeliefert wurde.

Ihre Tochter Hilde war als Atem-Gymnastiklehrerin für Berufsredner, Sänger und Schauspieler tätig und machte eine weitere Ausbildung als Bühnentänzerin. Als sie aufgrund der Sondergesetze gegen Juden von der Ausbildung ausgeschlossen wurde und Aufträge ausblieben, unterstützten ihre Eltern sie finanziell. Am 25. Dezember 1935 heiratete sie den polnischen Kaufmann Julius Kalinowski, der Inhaber dreier Schuhgeschäfte in Berlin war und ebenfalls von dem Ehepaar Hartstein unterstützt wurde.

Am 1. Juni 1936 konnten Hermann und Wally ihre Silberhochzeit noch in der Villa in Dahlem feiern.

Drei Monate später mussten sie die Villa verlassen und auf Druck der Nazis verkaufen. Daraufhin bezogen sie am 1. September 1936 eine 6 ½-Zimmer-Mietwohnung im I. Stock der Konstanzer Straße 58 in Berlin-Wilmersdorf, ganz in der Nähe ihrer ersten gemeinsamen Wohnung in der Brandenburgischen Straße 28.

1937 erfolgten die ersten Arisierungen in der Wirtschaft, Grund für die Hartsteins, sich über den Verkauf des Unternehmens Gedanken zu machen.

Laut Verordnung vom 26. April 1938 mussten Hermann und Wally wie alle Juden im Reich, die über mehr als 5.000 RM verfügten, ihr Vermögen detailliert deklarieren, darunter auch Gegenstände aus Edelmetall, Juwelen und Perlen.

Die Gardinenfabrik Herma in Plauen im Vogtland verkauften sie noch im August 1938 an den „arischen“ Kaufmann Max Arthur Michel aus Tirpersdorf weit unter Wert, zu einem Schleuderpreis von 15.051,38 RM. Allein die Maschinen und das Warenlager waren nach Schätzung der Schwester Frieda Steinhagen, geb. Hartstein, mindestens 100.000 RM wert. Die Firma hieß fortan: Max Michel Gardinenfabrikation.

Noch bevor die Reisepässe für Juden im Oktober 1938 mit einem „J“ versehen wurden, gelang es der 26jährigen Tochter Hilde Kalinowski am 31. August 1938, mit der Queen Mary über Southampton nach New York zu emigrieren. Ihrem 22-jährigen Bruder Hans gelang ungefähr zur gleichen Zeit die Flucht über Holland und England nach Australien, wo er am 13. Oktober 1938 mit dem Schiff „Stratheden“ in Sydney ankam.

Der Erlös aus der Fabrik in Plauen reichte nicht, um die ersten Raten der Judenvermögensabgabe, die im Dezember 1938 erstmals als „Sühneleistung“ für die „feindliche Haltung des Judentums gegenüber dem deutschen Volk“ fällig wurde, zu bezahlen. Auf Grundlage des 1938 deklarierten Vermögens wurden 20 Prozent davon in fünf Raten vom zuständigen Finanzamt eingezogen. Am 15. Dezember des Jahres sah sich Hermann deshalb gezwungen, auch seine Lebensversicherung, die 1950 zu Wallys 63. Geburtstag zur Auszahlung gekommen wäre, zu kündigen.

Die gemeinsame Firma Wilhelm Cohn in Berlin konnte zu diesem Zeitpunkt nicht mehr verkauft werden. Der Reichstreuhänder für Arbeit setzte laut Anordnung vom 16. Januar 1939 den Diplomkaufmann Walter Klebba zur einstweiligen Fortführung und Abwicklung des Betriebes ein, was einer Enteignung gleichkam. Acht Tage später wurden Hermann und sein Bruder Martin wegen Verdachts eines Devisenvergehens festgenommen.

Martin wurde am nächsten Tag wieder entlassen. Hermann saß ca. zwei Monate in der Untersuchungshaftanstalt Moabit. Aus dem anhängigen Strafverfahren wegen Unterschlagung gegen den Buchhalter der Firma Wilhelm Cohn, Willy Zimmermann, ist zu erkennen, dass Hermann Hartstein beschuldigt worden war, sich gegen devisenrechtliche Vorschriften vergangen zu haben. Wegen Fluchtverdacht wurde er in Haft genommen. Das Verfahren gegen ihn wurde aus Mangel an Beweisen am 22. März 1939 eingestellt.

Der Gardinen-Großhandel konnte nur noch bis zum 31. März 1939 fortgeführt werden. Hermann und Martin Hartstein blieb nichts Anderes übrig, als am 23. November 1939 die Löschung der Firma „Wilhelm Cohn, Berlin“ beim Handelsregister zu beantragen, denn der eingesetzte „arische“ Treuhänder hatte über die Werte verfügt und die Firma zugrunde gerichtet.

Frieda Steinhagen, geb. Hartstein, die jüngste Schwester der beiden Inhaber und Kontovorsteherin bis 1939 bei „Wilhelm Cohn, Berlin“, erklärte 1954 an Eides statt, dass der von den Nazis eingesetzte Verwalter die vorhandenen Waren und Einrichtungsgegenstände des Geschäftes an nationalsozialistische Angestellte und unbekannte Personen fortgegeben habe, was einer Plünderung der Firma gleichgekommen sei. Das Rückerstattungsgericht erkannte 1954 jedoch keinen Schadensersatzanspruch an, da allein die Einsetzung eines Treuhänders ihrer Ansicht nach keine Entziehung darstellen würde.

Ab dem 21. Februar 1939 mussten die Hartsteins ihre Wertsachen wie Gold, Silber und Schmuck bei der Pfandleihstelle in der Jägerstraße in Berlin-Kreuzberg abgeben.

Da es zu diesem Zeitpunkt nicht möglich war, Briefe direkt an die Tochter Hilde in die USA zu senden, schrieb Wally an ihre Schwester Claire Mayer geborene Hartstein, der noch Ende 1938 die Flucht nach London gelungen war. Claire leitete dann die Briefe an Hilde in New York weiter. In einem dieser Briefe berichtete Wally davon, dass sie auch ihren kostbaren Pelzmantel abgeben musste.

Die Wohnung in der Konstanzer Straße 58 teilten sich die Hartsteins ab 1939 mit der dreiköpfigen, nicht verwandten Familie Borchardt, die sie zur Untermiete aufnehmen mussten. Der Untermietbetrag in Höhe von 130 RM half ihnen die Miete von insgesamt 225 RM zu zahlen. Sie lebten ca. drei Jahre zusammen.

Die Entscheidung der Hartsteins, in Deutschland zu bleiben, ist wohl in erster Linie auf ihre Hoffnung zurückzuführen, in Berlin noch eine relative finanzielle Sicherheit zu haben, verglichen mit den Unwägbarkeiten des Exils.

Bei der „Vergeltungsaktion“ nach dem Anschlag der jüdischen Widerstandsgruppe um Herbert Baum wurde Rudolf Steinhagen, der Ehemann von Hermanns jüngsten Schwester Frieda, am 27. Mai 1942 verhaftet, in das Konzentrationslager Sachsenhausen verschleppt und dort hingerichtet. Am 5. Juni 1942 wurden Frauen und Kinder der verhafteten Männer, darunter auch Frieda und ihr Sohn Gerhard, nach Theresienstadt deportiert.

Ob in diesem Zusammenhang auch Hermann und Wally Hartstein von der Gestapo festgesetzt wurden, ist nicht bekannt. Am 8. Juni 1942 wurden Hermann und Wally aufgefordert, die berüchtigten Vermögenserklärungen auszufüllen. Von ihrem großen Vermögen blieben ihnen noch 4.298,60 RM auf einem Sparkonto bei der Dresdener Bank und 3.300 RM auf einem Sperrkonto für die gezahlte Reichsfluchtsteuer. Nach der Deportation ging dieses Geld nach Abzug von Forderungen in den Besitz des Deutschen Reiches über.

Noch vor ihrer eigenen Deportation wurde Hermanns Bruder und langjähriger Geschäftspartner Martin zusammen mit seiner Ehefrau Marie, geb. Erlanger, am 15. August 1942 nach Riga deportiert, wo sie am 18. August 1942 ermordet wurden. Deren 14jährige Tochter Lore konnten sie noch im November 1939 mit einem Kindertransport nach England in Sicherheit bringen.

Erst vier Monate nach dem Ausfüllen der Vermögenserklärung, am 26. September 1942, deportierte die Gestapo den 68-jährigen Hermann Hartstein und seine 55-jährige Ehefrau Wally zusammen mit 810 weiteren Berliner Juden und Jüdinnen mit dem sogenannten 20. Osttransport (Welle 32) nach Raasiku in Estland. Am Güterbahnhof Moabit wurde ein Zug aus Frankfurt/Main mit weiteren 237 Häftlingen angekoppelt.

Nach Ankunft in Raasiku kam ein Teil der Deportierten in das Lager Jägala, ein weiterer kleinerer Teil in ein Arbeitslager in der Nähe von Riga, die übrigen Häftlinge wurden in einem nahegelegenen Waldgebiet (Kalevi-Liiva) direkt nach der Ankunft erschossen. Es ist anzunehmen, dass auch Wally und Hermann Hartstein dort ermordet wurden.

Die Verlegung der Stolpersteine für Hermann und Wally Hartstein in der Konstanzer Str. 58 wurde durch die Großnichte von John Harts Ehefrau (ehemals Hans Hartstein, Sohn von Hermann und Wally Hartstein) Susan Crosby aus Sydney, Australien, initiiert.

Text und Recherche: Gundula Meiering

Quellen:
Mapping the lives: https://www.mappingthelives.org/ ; Berliner Adressbücher;
Amtliche Fernsprechbücher Berlin; Arolsen Archives https://collections.arolsen-archives.org/de/search ; USC Shoah Foundation – Interview vom 7.2.1996 mit Gerhard Steinhagen (Neffe von Hermann Hartstein); Brandenburgisches Landeshauptarchiv (BLHA) Potsdam – Vermögenserklärung Hermann Hartstein und Wally Hartstein; Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten – Entschädigungsbehörde (LABO) Antragsteller: Kinder der Hartsteins Hilde Anders verwitwete Kalinowski geborene Hartstein und John Hart, ehemals Hans Hartstein); Landesarchiv Berlin – WGA; Landesarchiv Berlin Personenstandsunterlagen/über ancestry; My Heritage; Akim Jah: Die Deportationen der Juden aus Berlin – Die nationalsozialistische Vernichtungspolitik und das Sammellager Große Hamburger Straße, Berlin 2013, S. 632.

Stolperstein für Wally Hartstein

HIER WOHNTE
WALLY HARTSTEIN
GEB. BORCHARDT
JG. 1887
DEPORTIERT 26.9.1942
ERMORDET IN
RAASIKU

Wally Valerie Borchardt war am 12. August 1887 in der Neuen Königstraße 19 in der Nähe des Alexanderplatzes in Berlin-Mitte geboren worden. Sie war die jüngste Tochter von insgesamt fünf Kindern des Kaufmanns Max Markus Borchardt und seiner Ehefrau Mathilde Borchardt, geborene Adam. Ihr Bruder Felix war 9 Jahre, Alice 7 Jahre und Clara 5 Jahre älter als sie. Ihr Bruder Hans Ludwig starb 1879 nur zwei Monate nach seiner Geburt.

Als Wally 10 Jahre alt war, verlor sie ihren Vater, der nur 50 Jahre alt wurde. Ihr damals 18-jähriger Bruder Felix führte die elterliche Fabrik für Herrenwäsche, Gebrüder Borchardt, fort. Aber auch für Wally war gesorgt, ihre Schwägerin ging in den 50er-Jahren von einer Mitgift in Millionenhöhe aus. Wally bezog ein lebenslängliches Einkommen aus der väterlichen Firma in der Pappelallee und von einem Haus in der Mendelssohnstraße 2 in Berlin-Prenzlauer Berg.

Am 1. Juni 1911 heiratete die 23-jährige Wally den Kaufmann Hermann Hartstein, Mitinhaber der Wilhelm Cohn OHG und der Gardinenfabrik Herma in Plauen im Vogtland. Ihre Tochter Hilde wurde am 10. März 1912 geboren. Am gleichen Tag starb Wallys Mutter Mathilde mit 56 Jahren. Vier Jahre später kam am 19. Februar 1916 das zweite Kind, der Stammhalter Hans, zur Welt. Damals wohnte die Familie in der Brandenburgischen Straße 28 in Wilmersdorf, einem Ort mit einem verhältnismäßig hohen jüdischen Bevölkerungsanteil.

Mitte der 20er-Jahre lag das durchschnittliche Jahreseinkommen von Hermann und Wally Hartstein aus der OHG und der zum Unternehmen gehörenden Gardinenfabrik Herma in Plauen im Vogtland bei ca. 100.000 RM. 1924 ließen sich Hermann und Wally Hartstein von dem stadtbekannten Architekten Georg Caro eine 19-Zimmer-Villa entwerfen und in der Musäusstraße 8 in Berlin-Dahlem, einem der privilegiertesten Stadtviertel von Berlin, erbauen. Ungefähr 1925 zog die vierköpfige Familie mit ihren Hausangestellten dort ein.

Trotz Wirtschaftskrise erzielte die Firma Anfang der zwanziger Jahre hohe Umsätze. In der Firma Wilhelm Cohn, Berlin arbeiteten immer mindestens 20 Personen, erinnerte sich 1964 Hans Hartstein, der seit ca. 1934 bis zu seiner Emigration 1938 ebenfalls dort beschäftigt war.

Zu seinem 60. Geburtstag 1934 schenkte Hermann seiner Ehefrau Wally einen sehr kostbaren Pelzmantel, der in Paris handgefertigt und von einem Mitarbeiter des Modehauses persönlich in Berlin ausgeliefert wurde.

Ihre Tochter Hilde war als Atem-Gymnastiklehrerin für Berufsredner, Sänger und Schauspieler tätig und machte eine weitere Ausbildung als Bühnentänzerin. Als sie aufgrund der Sondergesetze gegen Juden von der Ausbildung ausgeschlossen wurde und Aufträge ausblieben, unterstützten ihre Eltern sie finanziell. Am 25. Dezember 1935 heiratete sie den polnischen Kaufmann Julius Kalinowski, der Inhaber dreier Schuhgeschäfte in Berlin war und ebenfalls von dem Ehepaar Hartstein unterstützt wurde.

Am 1. Juni 1936 konnten Hermann und Wally ihre Silberhochzeit noch in der Villa in Dahlem feiern.

Drei Monate später mussten sie die Villa verlassen und auf Druck der Nazis verkaufen. Daraufhin bezogen sie am 1. September 1936 eine 6 ½-Zimmer-Mietwohnung im I. Stock der Konstanzer Straße 58 in Berlin-Wilmersdorf, ganz in der Nähe ihrer ersten gemeinsamen Wohnung in der Brandenburgischen Straße 28.

1937 erfolgten die ersten Arisierungen in der Wirtschaft, Grund für die Hartsteins, sich über den Verkauf des Unternehmens Gedanken zu machen. Laut Verordnung vom 26. April 1938 mussten Hermann und Wally wie alle Juden im Reich, die über mehr als 5.000 RM verfügten, ihr Vermögen detailliert deklarieren, darunter auch Gegenstände aus Edelmetall, Juwelen und Perlen.

Die Gardinenfabrik Herma in Plauen im Vogtland verkauften sie noch im August 1938 an den „arischen“ Kaufmann Max Arthur Michel aus Tirpersdorf weit unter Wert, zu einem Schleuderpreis von 15.051,38 RM. Allein die Maschinen und das Warenlager waren nach Schätzung der Schwester Frieda Steinhagen geborene Hartstein mindestens 100.000 RM wert. Die Firma hieß fortan: Max Michel Gardinenfabrikation.

Noch bevor die Reisepässe für Juden im Oktober 1938 mit einem „J“ versehen wurden, gelang es der 26-jährigen Tochter Hilde Kalinowski am 31. August 1938, mit der Queen Mary über Southampton nach New York zu emigrieren. Ihrem 22-jährigen Bruder Hans gelang ungefähr zur gleichen Zeit die Flucht über Holland und England nach Australien, wo er am 13. Oktober 1938 mit dem Schiff „Stratheden“ in Sydney ankam.

Der Erlös aus der Fabrik in Plauen reichte nicht, um die ersten Raten der Judenvermögensabgabe, die im Dezember 1938 erstmals als „Sühneleistung“ für die „feindliche Haltung des Judentums gegenüber dem deutschen Volk“ fällig wurde, zu bezahlen. Auf Grundlage des 1938 deklarierten Vermögens wurden 20 Prozent davon in fünf Raten vom zuständigen Finanzamt eingezogen.

Am 15. Dezember des Jahres sah sich Hermann deshalb gezwungen, auch seine Lebensversicherung, die 1950 zu Wallys 63. Geburtstag zur Auszahlung gekommen wäre, zu kündigen.

Die gemeinsame Firma Wilhelm Cohn in Berlin konnte zu diesem Zeitpunkt nicht mehr verkauft werden. Der Reichstreuhänder für Arbeit setzte laut Anordnung vom 16. Januar 1939 den Diplomkaufmann Walter Klebba zur einstweiligen Fortführung und Abwicklung des Betriebes ein, was einer Enteignung gleichkam. Acht Tage später wurden Hermann und sein Bruder Martin wegen Verdachts eines Devisenvergehens festgenommen.

Martin wurde am nächsten Tag wieder entlassen. Hermann saß ca. zwei Monate in der Untersuchungshaftanstalt Moabit. Aus dem anhängigen Strafverfahren wegen Unterschlagung gegen den Buchhalter der Firma Wilhelm Cohn, Willy Zimmermann, ist zu erkennen, dass Hermann Hartstein beschuldigt worden war, sich gegen devisenrechtliche Vorschriften vergangen zu haben. Wegen Fluchtverdacht wurde er in Haft genommen. Das Verfahren gegen ihn wurde aus Mangel an Beweisen am 22. März 1939 eingestellt.

Der Gardinen-Großhandel konnte nur noch bis zum 31. März 1939 fortgeführt werden. Hermann und Martin Hartstein blieb nichts Anderes übrig, als am 23. November 1939 die Löschung der Firma „Wilhelm Cohn, Berlin“ beim Handelsregister zu beantragen, denn der eingesetzte „arische“ Treuhänder hatte über die Werte verfügt und die Firma zugrunde gerichtet.

Frieda Steinhagen geborene Hartstein, die jüngste Schwester der beiden Inhaber und Kontovorsteherin bis 1939 bei „Wilhelm Cohn, Berlin“, erklärte 1954 an Eides statt, dass der von den Nazis eingesetzte Verwalter die vorhandenen Waren und Einrichtungsgegenstände des Geschäftes an nationalsozialistische Angestellte und unbekannte Personen fortgegeben habe, was einer Plünderung der Firma gleichgekommen sei. Das Rückerstattungsgericht erkannte 1954 jedoch keinen Schadensersatzanspruch an, da allein die Einsetzung eines Treuhänders ihrer Ansicht nach keine Entziehung darstellen würde.

Ab dem 21. Februar 1939 mussten die Hartsteins ihre Wertsachen wie Gold, Silber und Schmuck bei der Pfandleihstelle in der Jägerstraße in Berlin-Kreuzberg abgeben.

Da es zu diesem Zeitpunkt nicht möglich war, Briefe direkt an die Tochter Hilde in die USA zu senden, schrieb Wally an ihre Schwester Claire Mayer, geborene Hartstein, der noch Ende 1938 die Flucht nach London gelungen war. Claire leitete dann die Briefe an Hilde in New York weiter. In einem dieser Briefe berichtete Wally davon, dass sie auch ihren kostbaren Pelzmantel abgeben musste.

Die Wohnung in der Konstanzer Straße 58 teilten sich die Hartsteins ab 1939 mit der dreiköpfigen, nicht verwandten Familie Borchardt, die sie zur Untermiete aufnehmen mussten. Der Untermietbetrag in Höhe von 130 RM half ihnen die Miete von insgesamt 225 RM zu zahlen. Sie lebten ca. drei Jahre zusammen.

Die Entscheidung der Hartsteins, in Deutschland zu bleiben, ist wohl in erster Linie auf ihre Hoffnung zurückzuführen, in Berlin noch eine relative finanzielle Sicherheit zu haben, verglichen mit den Unwägbarkeiten des Exils.

Bei der „Vergeltungsaktion“ nach dem Anschlag der jüdischen Widerstandsgruppe um Herbert Baum wurde Rudolf Steinhagen, der Ehemann von Hermanns jüngsten Schwester Frieda, am 27. Mai 1942 verhaftet, in das Konzentrationslager Sachsenhausen verschleppt und dort hingerichtet. Am 5. Juni 1942 wurden Frauen und Kinder der verhafteten Männer, darunter auch Frieda und ihr Sohn Gerhard, nach Theresienstadt deportiert.

Ob in diesem Zusammenhang auch Hermann und Wally Hartstein von der Gestapo festgesetzt wurden, ist nicht bekannt. Am 8. Juni 1942 wurden Hermann und Wally aufgefordert, die berüchtigten Vermögenserklärungen auszufüllen. Von ihrem großen Vermögen blieben ihnen noch 4.298,60 RM auf einem Sparkonto bei der Dresdener Bank und 3.300 RM auf einem Sperrkonto für die gezahlte Reichsfluchtsteuer. Nach der Deportation ging dieses Geld nach Abzug von Forderungen in den Besitz des Deutschen Reiches über.

Noch vor ihrer eigenen Deportation wurde Hermanns Bruder und langjähriger Geschäftspartner Martin zusammen mit seiner Ehefrau Marie, geborene Erlanger, am 15. August 1942 nach Riga deportiert, wo sie am 18. August 1942 ermordet wurden. Deren 14-jährige Tochter Lore konnten sie noch im November 1939 mit einem Kindertransport nach England in Sicherheit bringen.

Erst vier Monate nach dem Ausfüllen der Vermögenserklärung, am 26. September 1942, deportierte die Gestapo den 68-jährigen Hermann Hartstein und seine 55-jährige Ehefrau Wally zusammen mit 810 weiteren Berliner Juden und Jüdinnen mit dem sogenannten 20. Osttransport (Welle 32) nach Raasiku in Estland. Am Güterbahnhof Moabit wurde ein Zug aus Frankfurt/Main mit weiteren 237 Häftlingen angekoppelt.

Nach Ankunft in Raasiku kam ein Teil der Deportierten in das Lager Jägala, ein weiterer kleinerer Teil in ein Arbeitslager in der Nähe von Riga, die übrigen Häftlinge wurden in einem nahegelegenen Waldgebiet (Kalevi-Liiva) direkt nach der Ankunft erschossen. Es ist anzunehmen, dass auch Wally und Hermann Hartstein dort ermordet wurden.

Die Verlegung der Stolpersteine für Hermann und Wally Hartstein in der Konstanzer Str. 58 wurde durch die Großnichte von John Harts Ehefrau (ehemals Hans Hartstein, Sohn von Hermann und Wally Hartstein) Susan Crosby aus Sydney, Australien initiiert.

Text und Recherche: Gundula Meiering

Quellen:
Mapping the lives: https://www.mappingthelives.org/ ; Berliner Adressbücher;
Amtliche Fernsprechbücher Berlin; Arolsen Archives https://collections.arolsen-archives.org/de/search ; USC Shoah Foundation – Interview vom 7.2.1996 mit Gerhard Steinhagen (Neffe von Hermann Hartstein); Brandenburgisches Landeshauptarchiv (BLHA) Potsdam – Vermögenserklärung Hermann Hartstein und Wally Hartstein; Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten – Entschädigungsbehörde (LABO) Antragsteller: Kinder der Hartsteins Hilde Anders verwitwete Kalinowski geborene Hartstein und John Hart, ehemals Hans Hartstein); Landesarchiv Berlin – WGA; Landesarchiv Berlin Personenstandsunterlagen/über ancestry; My Heritage; Akim Jah: Die Deportationen der Juden aus Berlin – Die nationalsozialistische Vernichtungspolitik und das Sammellager Große Hamburger Straße, Berlin 2013, S. 632.