HIER WOHNTE
JOSEPH MANDEL
JG. 1874
GEDEMÜTIGT / ENTRECHTET
FLUCHT IN DEN TOD
14.3.1938
Joseph Mandel wurde am 10. Juni 1874 als Sohn von Leopold Mandel und seiner Ehefrau Juli geb. Blaustein in Lippstadt geboren. Die Mandels gehörten zu den bekannten jüdischen Familien in Linz am Rhein. Leopold war Lehrer und Kantor der jüdischen Gemeinde.
Joseph hatte sechs Schwestern, Bettie *1864, gestorben 1907; Alma *1866, ermordet in Theresienstadt; Thekla *1868, ermordet in Gurs; Hanna *1870 gestorben 1931; Rosa *1872, ermordet in Chelmno und Hermine *1876, gestorben 1959.
Von 1884 bis 1889 besuchte Joseph Mandel das Progymnasium in Linz. 1890 fing er mit seiner Ausbildung als Lehrer in Hannover an. Irgendwann zog Joseph nach London, wahrscheinlich durch eine Verbindung mit seiner Schwester Hermine Norden und ihrem Mann Julius Norden, die zu dieser Zeit auch in London wohnten.
Am 10. Juni 1905 heiratete Joseph in Berlin seine erste Frau Elise Johanna Emma Kornik, geboren am 10. Januar 1888. Auf der Heiratsurkunde ist sein Wohnort mit Chambers Lane, London, GB angegeben. Am 6. April 1906 kam in Willesdey, London die gemeinsame Tochter Betty Doris auf die Welt.
Joseph und Elise Mandel wurden am 26. Juni 1912 in Berlin geschieden. Elise heiratete danach Alfred Blumenthal. Betty Doris kehrte ebenso wie ihre Eltern nach Berlin zurück und heiratete 1930 den Korrespondenten Dr. Alfred Fritz Meyer. Sie selbst arbeitete als Korsett- und Büstenhalter Näherin.
Das Ehepaar Meyer wurde am 18. Oktober 1941, im selben Transport mit Elise Blumenthal in das Ghetto Łódź verschleppt und dort ums Leben gebracht. In Berlin hatten sie vor der Deportation zusammen in der Schöneberger Lindauer Straße 8 gewohnt.
Wann Joseph Mandel Chana (Johanna) Goldsand heiratete, ist nicht bekannt. Das Ehepaar hatte vermutlich kein gemeinsames Kind.
Nach Einträgen in den Berliner Adressbüchern war Joseph Mandel von Beruf Kaufmann. Von 1937 bis 1938 arbeitete er in der Landwehrstrasse, vormals Judengasse, in einem Schuhgeschäft. Nach schweren Zerstörungen im 2. Weltkrieg wurde die Landwehrstraße durch die heutige Mollstraße überbaut.
Das Ehepaar wurde in den gemeinsamen Jahren in der Nachodstraße häufig von Josephs Neffen Henry van der Walde, dem Sohn seiner Schwester Rosa besucht. In seinen Memoiren beschreibt er das Ehepaar in lebhaften Details:
bq. “Zuletzt gab es noch JOSEPH (Spitzname Jupp), der Bruder von Mutter, der mit seiner zweiten Ehefrau Hanna [sic] in Berlin wohnte. Er wurde zuvor mit der Tochter eines Rabbiners in London verheiratet und hatte eine Tochter mit ihr. Seine zweite Ehe war kinderlos und seine Frau, die Hauptkassiererin des größten Kaufhauses in Berlin, verdiente das Geld, obwohl er ab und zu als Kleidungskaufmann arbeitete. Er genoss das gute Leben und ich war regelmäßig sonntags in ihrer Wohnung als Gast. Er hat gekocht, und sie waren beide sehr gut zu mir. Er war ein Kettenraucher, ein Dandy und ein sehr sensibler Mensch. Die Machtübernahme von Hitler schränkte seinen Lebensstil ein, und er hat sich 1938 vergiftet, als er die Nachrichten vom NS-Einmarsch in Österreich erfahren hat. Meine Tante lebte noch, als ich Deutschland verlassen habe, und ich kann ihr Schicksal erraten.
…
Diese Stadt bot sehr viel für die Freizeit, hatte eine schöne Umgebung mit Seen und Wäldern, sodass ein Mangel von Geld keine große Einschränkung darstellte. Die meisten Sonntage war ich zu Gast bei meinem Onkel Joseph (Jupp) zum Mittagessen, oft bis abends, wenn er uns zu Kaffee und Kuchen in das Hotel Bristol Unter den Linden einlud. Dort gab es einen riesigen Saal mit sanfter Musik, wo die Leute gesehen werden wollten. (Ich habe einmal den spektakulären Auftritt des Tenors Richard Tauber und seiner damaligen Freundin beim Betreten des Saals dort erlebt.) Tante Hannchen [Spitzname Chana] war ein hoffnungsloser Fall in der Küche und Jupp kümmerte sich immer um das Kochen. (Sie war die Hauptkassiererin im größten Kaufhaus der Stadt, Herman Tietz.) Der Sonntagsbraten war ausnahmslos Truthahn.
…
Mein Onkel Josef (‘Jupp’, der einzige Bruder von Mutter), der mir so viel Gastfreundschaft entgegengebracht hat, kam nicht mehr zurecht und hat sich 1938, einen Tag nach dem Anschluss Österreichs, umgebracht.
…
Ich habe auch nicht mehr von ‘Hannchen’, der Witwe von Onkel Jupp, gehört.”
Am 14. März 1938 nahm sich Joseph Mandel in seiner Wohnung in der Nachodstraße 20 das Leben. Am 17. März 1938 wurde er auf dem jüdischen Friedhof in Weissensee beerdigt, sein Grab hat die Nummer 97882.
Recherche und biografische Zusammenstellung: Menasheh Fogel
Text: Karin Sievert
Quellen:
Gedenkbuch – Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933 – 1945
Theresienstädter Gedenkbuch – Holocaust.cz
Brandenburgisches Landeshauptarchiv
Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten – Entschädigungsbehörde
Berliner Adressbücher – Zentral- und Landesbibliothek Berlin
Landesarchiv Berlin
WGA
Deportationslisten
Loose: „Berliner Juden im Getto Litzmannstadt 1941 – 1944
Yad Vashem – Opferdatenbank
geni.com
ITS Arolsen