Zur Erinnerung an die Schriftstellerin Johanna Moosdorf
(12.7.1911 Leipzig – 21.6.2000 Berlin)
Vortrag in der Buchhandlung “Der Divan” in Berlin-Charlottenburg am 12.7.2006, anlässlich der Enthüllung der Gedenktafel für J.M.
Entdeckung
Meine erste Begegnung mit Johanna Moosdorf datiert 1980: Als ich mich in die Redaktion der Szenenzeitschrift “Lesbenfront” entdeckte ich in einer früheren Nummer eine Besprechung des Romans “Die Freundinnen” von Johanna Moosdorf. Doch das Buch, welches 1977 erschienen war, war bereits vergriffen. Erst drei Jahre später fiel es mir in einem Antiquariat in die Hände und die Lektüre fesselte mich.
Ich habe in Antiquariaten nach weiteren Büchern von Moosdorf gesucht und in der Zentralbibliothek Zürich sämtliche Bücher bestellt (auch aus Ost-Berlin) . Ich war überrascht, welch vielseitige, faszinierende und begabte Autorin ich da kennen lernte.
Würdigung
Während siebzig Jahren hat Johanna Moosdorf als Schriftstellerin gearbeitet und ein beeindruckendes literarisches Werk vorgelegt, das alle Sparten umfasst: Romane und Erzählungen, Hör- und Schauspiele, Rezensionen und Essays – und immer wieder auch Gedichte. Eine Übersicht über ihre Bücher habe ich auf dem Blatt zusammen gestellt, das aufliegt.
Biografie
Johanna Moosdorf ist am 12. Juli 1911 in Leipzig geboren in einem Elternhaus, wo Literatur wichtig war. Ihr Vater war Buchdrucker. Sie besuchte die höhere Mädchenschule, war Helferin bei den sozialistischen Kinderfreunden. Zwischen Malerei und Literatur schwankend, beschloss sie, Schriftstellerin zu werden und zog nach Berlin, wo sie schrieb und Privatstudien betrieb. Bald lernte sie in der Jugendbildung der Gewerkschaft den Dozenten Paul Bernstein kennen, den sie 1932 heiratete. 1935 und 1937 kamen die beiden Wunschkinder Barbara und Thomas zur Welt. Paul Bernstein konnte, da er als Jude zu dieser Zeit bereits Arbeitsverbot hatte, nur noch Hilfsarbeiten machen und bereitete sich mit dem Erlernen eines Handwerks auf die Auswanderung vor. Damit Johanna Moosdorf eine Arbeit finden und für die Kinder und sich selbst aufkommen konnte, liessen sie sich scheiden. 1943/44 wurde Paul Bernstein verhaftet und im KZ Auschwitz umgebracht. Johanna Moosdorf flüchtete mit den Kindern in die
Tschechoslowakei. Von 1945 bis 1950 lebte Moosdorf zusammen mit den Kindern und mit ihrer Freundin Grete Ebert in Leipzig. Johanna Moosdorf arbeitete in der Literaturzeitschrift März und ihre Freundin Grete Ebert als Redaktorin bei der Leipziger Zeitung. Als Moosdorf politische gewarnt wurde, zog 1950 Moosdorf mit ihren beiden Kindern nach West-Berlin, wo sie bis am 21. Juni 2000 als freie Schriftstellerin lebte.
Ausgezeichnet, aber nicht berühmt
Johanna Moosdorf hat verschiedene renommierte Literaturpreise erhalten, allen voran den Nelly-Sachs-Preis der Stadt Dortmund im Jahr 1962 – als erste Preisträgerin nach der Namensgeberin Nelly Sachs.
Gleichwohl ist Johanna Moosdorf nicht allgemein bekannt geworden, auch bei literarisch interessierten ZeitgenossInnen nicht. Dies hat, so vermute ich, vor allem drei Gründe: Die gewählten Themen, die literarische Darstellungsweise und die Verlagspolitik.
1) Die gewählten Themen : Johanna Moosdorf hat tabuisierte Themen literarisch umgesetzt, beziehungsweise unübliche Verbindungen zwischen heiklen Themen hergestellt. In den 50er und 60er Jahren hat sie die “Auseinandersetzung mit (…) der Kontinuität des Faschismus in der Bundesrepublik” verbunden mit “der Position und Perspektive der Frau” und dem “Bereich des Dämonisch-Magischen” (so Regula Venske). Besonders eindrücklich für mich sind hier die Romane “Flucht nach Aufrika” (1952) und “Nebenan” (1961). Geschildert wird das alltägliche Leben von Mördern und Opfern des Nationalsozialismus in den 50er Jahren.
Später, in den sechziger Jahren, hat Moosdorf Frauengeschichte (archaische Göttinnen, aber auch Hexen-Verfolgung) mit der Liebesbeziehung zweier Frauen im Roman “Die Freundinnen” verbunden (darauf werde ich genauer eingehen).
2) Die literarische Darstellungsweise: In der frühen Prosa, z.B. “Schneesturm in Worotschau”, hat Moosdorf sehr realistisch erzählt. Die späteren Texte oszillieren sehr stark zwischen verschiedenen Zeitebenen, zwischen äusserem und innerem Erleben, zwischen Traum und Wirklichkeit. Als LeserIn werde ich da zuweilen irritiert, aus dem Erzählfluss herausgeworfen und muss mich wieder zurechtfinden und auf eine neue Ebene oder Perspektive einlassen.
3) Die Verlagspolitik: Johanna Moosdorf hat bei renommierten Verlagen publiziert, u.a. bei der Büchergilde Gutenberg und dem Suhrkamp Verlag – insgesamt bei 13 Verlagen. Kein Verlag hat jedoch ihr literarisches Schaffen mit einer kontinuierlichen Veröffentlichung ihrer Werke begleitet und unterstützt.
Zwei Verlage haben sich dann in den 80er und 90er-Jahren mit Publikationen von Johanna Moosdorf engagiert:
Ende der achtziger Jahre der Fischer-Taschenbuch-Verlag, bzw. die Lektorin Ingeborg Mues mit ihrer Reihe “Die Frau in der Gesellschaft”. Sie hat den Roman “Die Freundinnen” auf Empfehlung von Regula Venske1987 neu aufgelegt und danach den autobiografischen Roman “Jahrhundertträume” (1989) und die Erzählungen “Franziska an Sophie” (1993) als Originalausgabe veröffentlicht. Ingeburg Mues hat zudem den Gedichtband “Fahr ins Nachtmeer” und den Erzählband “Die Tochter” herausgebracht, in denen Texte aus mehreren Jahrzehnten vereinigt sind. Neu aufgelegt wurde zudem der Roman“Die Andermanns”.
In den neunziger Jahren traten dann die beiden jungen Verleger der Achilla-Press auf Moosdorf zu und legten zwei Bücher von Moosdorf in schön gestalteten Ausgaben neu auf, nämlich den Roman “Die Nachtigallen schlagen im Schnee” (Erstveröffentlichung: 1953) und die Erzählung “Die lange Nacht” (1963). Danach publizierten sie die Erzählung “Flucht aus der Zeit” (1997) als Erstausgabe.
Im “Verzeichnis lieferbarer Bücher” aufgeführt sind heute:
Alle drei Bücher der Achilla-Press sowie im Fischer-Taschenbuch der Gedichtband “Fahr hinaus ins Nachtmeer” und der Roman “Die Freundinnen”, auf den ich mich in meinem Vortrag konzentrieren werde.
Persönlicher Einstieg
Drei Jahre nach meiner Entdeckung der “Freundinnen”, also 1986, sah ich im Arche-Literatur-Kalender, dass Johanna Moosdorf am selben Tag Geburtstag hat wie ich und offensichtlich noch lebte. Von der Literaturprofessorin Inge Stephan erhielt ich Regula Venskes Porträt über Johanna Moosdorf, welches ihre Wiederentdeckung als Autorin einleitete. (Regula Venske wird im nächsten Frühling hier in Charlottenburg über das Gesamtwerk von Moosdorf sprechen.)
So schickte ich vor 20 Jahren meinen ersten Brief an Johanna Moosdorf in die Kastanienallee 27 und gratulierte ihr zum 75. Geburtstag. Darin kündigte ich einen Artikel über ihren Roman “Die Freundinnen” an und erwähnte meine Idee zu einer Doktorarbeit zur literarischen Darstellung von Lesben, die damals erst in meinen Träumen schwebte.
Johanna Moosdorf antwortete mit einer Karte:
“ Für eine Kopie Ihres Artikels bin ich dankbar. Überhaupt: dass da wieder eine jener nicht eben zahlreichen jungen Frauen in mein Blickfeld rückt, die meine Bücher lesen und ein bisschen Interesse und Gefallen daran finden, ist für mich eine ebenso reine wie seltene Freude. “
Später schickte sie mir vier Gedichte, von welcher zwei in der Zeitschrift “Frau Ohne Herz” in Zürich veröffentlicht wurden. Es ist das drittletzte Gedicht im Band “Fahr hinaus ins Nachtmeer”
Traum
Auf verwunschenen Pfaden
geh ich unter dem Wind
Blumenkelche im Dickicht
glühen mich an
ein urweltlicher Vogel
mit wildgelbem Blick
das schuppige Federkleid
scharlachrot
schlägt mir die grausamen Fänge ins Herz
Ich klage laut
mit verhülltem Gesicht
meine dunkle Traumschwester
steigt herauf von nachtblauen
Ufern steigt wächst
schwarze Un-Gestalt
Kreischend
mit zornigem Flügelschlag
stürzt sich das Scharlachtier
steil in den hohen
Luftraum
Zum Vortrag
Ich werde nun auf den Roman “Die Freundinnen” und danach kurz auf den autobiografischen Roman “Jahrhundertträume” eingehen. Zum Abschluss habe ich zwei Gedichte ausgewählt und möchte Ruth Ellerbrock nach ihrer Begegnung mit Johanna Moosdorf fragen.
Die Freundinnen
Thema
Johanna Moosdorf hat mit “Die Freundinnen” den ersten deutschsprachigen Roman nach 1945 geschrieben, in dem eine lesbische Frau in ihrem Lebenszusammenhang und damit lesbische Liebe als grundsätzlich selbstverständlich lebbar dargestellt wird.
Es ist die Liebesgeschichte zwischen Stefanie und Irina. Stefanie arbeitet als Büroangestellte, ist geschieden und Mutter eines halbwüchsigen Sohnes (der jedoch beim Vater lebt). Irina übt keinen Beruf aus, streunt herum und heiratet später den Antiquar Kross, und geht schliesslich mit Stefanies Exfreund Peter weg. Doch Stefanie ist überzeugt, dass Irina wieder zu ihr zurückkommen wird.
Verlagspolitik
An “Die Freundinnen” hat Johanna Moosdorf sieben Jahre gearbeitet, von 1963 bis 1970, also bevor die neue Frauenbewegung entstanden ist. Moosdorf war 59 Jahre alt und hatte bereits ein eindrückliches literarisches Werk veröffentlicht, als sie dem Suhrkamp Verlag, ihr Manuskript anbot. Suhrkamp hatte zuvor ihre beiden Bücher (“Nebenan” und “Die lange Nacht”) sowie ein Theaterstück publiziert. Doch “Die Freundinnen” lehnte der Verlagsleiter Siegfried Unseld zweimal ab, zuerst mit dem Hinweis auf den Roman “Malina” von Ingeborg Bachmann und dann mit dem Verweis auf Djuna Barnes:
“Djuna Barnes “Nachtgewächs” sei einfürallemal der gültige Massstab für eine Schilderung weiblicher Liebespaare, und diesem Massstag genüge mein Buch nicht. (…) “(Brief an Madeleine Marti, 15.11.1986)
Moosdorf kommentierte dazu:
“(…) so sollte man mir nicht einen Djuna Barnes- Massstab vor die Nase halten, den ich nicht annehmen kann, weil er noch Männerphantasien über lesbische Liebe allzu stark entspricht.” (Brief an M.M., 1.8.1988)
Vergleicht man die literarische Qualität der beiden Bücher von Moosdorf, welche bei Suhrkamp publiziert wurden, mit “Die Freundinnen”, so bewegen sich diese zweifellos auf demselben Niveau. Die Ablehnung von Unseld zeigt, dass die positive, selbstverständliche Darstellung einer lesbischen Liebesbeziehung von Johanna Moosdorf für den Suhrkamp Verlag 1970 zu früh kam.
Über zehn Jahre später publizierte Suhrkamp beispielsweise die autobiografischen Aufzeichnungen “Sonja. Eine Melancholie für Fortgeschrittene” von Judith Offenbach (1983), indem die lesbische Liebesgeschichte von Selbstmord, Alkoholismus und Körperbehinderung überschattet ist.
Thema
Anfangs der 70er Jahre war es also für lesbische Darstellungen in der deutschsprachigen Literatur noch zu früh. Die neue Frauen- und die Lesbenbewegung waren erst im Entstehen begriffen. Diese schufen dann mit der Gründung von Frauen- und Lesbenzentren, der Organisation von Demonstrationen und Diskussionen, der Gründung von Zeitschriften und Selbstverlagen eine neue Öffentlichkeit und durchbrachen damit das gesellschaftliche Totschweigen von Lesben. 1975 erzielte der neu gegründete Verlag Frauenoffensive mit dem Text “Häutungen” von Verena Stefan – übrigens einer ausgewanderten Schweizerin – einen sensationellen Verkaufs-Erfolg. Prominentes Thema darin war der Übergang der Protagonistin von heterosexuellen Beziehungen in eine lesbische Beziehung. Dies war der Durchbruch zur Publikation vieler Texte von Autorinnen und einiger Texte auch mit lesbischer Thematik.
Danach war die Zeit auch reif für die Publikation von Moosdorfs “Die Freundinnen”. Der katholische Nymphenburger Verlag aus München brachte das Buch 1977 heraus. Offenbar wurde es aber nur kurze Zeit und in kleiner Auflage verkauft, denn bereits 1980 war es bei meiner Suche nicht mehr erhältlich. Erst zehn Jahre später (1987) wurde es in der Frauen-Reihe des Fischer Taschenbuchs neu herausgegeben und verkaufte sich nun – 17 Jahre nach Vollendung des Manuskripts – “wie frische Weggli”. Heute ist die 7. Auflage von 1994 im Handel erhältlich.
Darstellungsweise
Als ich jetzt für diesen Vortrag “Die Freundinnen” nochmals gelesen habe, war ich verblüfft, wie aktuell und frisch die Darstellung der Liebesbeziehung wirkt. Die Geschichte wird aus der Perspektive und mit der Empathie für die lesbische Hauptfigur Stefanie erzählt, was zu Beginn der siebziger Jahre eine besondere Leistung darstellte. So hat beispielsweise auch die lesbische Autorin Christa Reinig berichtet, wie schwierig es war, eine weibliche Erzählposition zu entwickeln und lesbische Aspekte zum Thema zu machen (Marti S. 321 f.), was ihr selbst erst in der zweiten Hälfte der 70er Jahre gelang.
Johanna Moosdorf verbindet in “Die Freundinnen” die lesbische Liebe mit der Suche nach Spuren von lesbischen Frauen in der Geschichte und mit Visionen für die Zukunft. Diese Erweiterung der zeitlichen Dimension über die Gegenwart hinaus stellt sie mit Gesprächen von Stefanie, Irina und der befreundeten Wissenschaftlerin Lene Andras dar. Sie diskutieren miteinander über die massenhafte Vernichtung von Frauen als “Hexen” sowie die Spuren der matriarchalen Kultur mit den Göttinnen und den Frauenpaaren. Zuweilen fliessen Gegenwart, Verfolgungsgeschichte, matriarchale Urgeschichte und Utopie ineinander, so beispielsweise am Schluss des ersten Kapitels. Verbunden mit diesen Wechseln der Zeitebenen sind auch starke emotionale Wechsel, so hier z.b. zwischen erotischem Knistern zwischen den beiden Frauen und der Gewalt von Männern an Frauen: “Ich beobachte sie gespannt. Schweigend, die Hände unter dem Kopf verschränkt, liegt sie auf dem Bett und
bedrängt mich, greift mich an mit der Einfalt ihrer Stirn. Ich habe noch nie eine so weisse Stirn gesehen. Ich weiss, es bedeutet nichts, hinter dem Glanz einer Stirn kann sich Krauses verbergen, Wirrnis, eine konfuse Welt. Aber ich fühle ihr Fluidum, ihren herben Irina Geschmack. Ich bin voll einer grossen Hoffnung. Wir werden frei sein, ganz neu werden wir sein. Die Masken werden von uns abfallen. Unsere verborgene Schönheit wird hervorbrechen, unsere Kraft, die aus der Tiefe stammt. Ich spüre die Tiefe unter unseren Füssen. Wir bewegen uns über ihr, lärmend in blinder Überheblichkeit.
Der Gedanke verfolgt mich bis tief in den Schlaf. Ich möchte ihn zu Ende träumen, aber da ist wieder die versunkene, die in der Zeit, in der Vergangenheit versunkene Stadt mit ihrem Blut- und Foltergeruch, ihrem Kuttengemurmel und scharlachroten Ornatsgepränge, ihrer Beterinbrunst, ihrer Furcht vor Pestilenz und Brandschatzung, ihren Markt- und Hinrichtungsfesten, dem Lauern in Winkeln, dem Huschen von Haus zu Haus, dem hämischen Flüstern und Hecheln hinter erhobener Hand.
Irina streift mit einer feierlichen Gebärde ihr Hemd von der Schulter. Sie wendet mir ihren Rücken zu, ihren schmalen, glatten Rücken mit dem Mal auf dem linken Schulterblatt: einer bräunlichen Hautwucherung, die manchmal rötlich schimmert. Jetzt. Ich küsse sie sanft.” (67/68)
Daneben wird auch immer wieder der Arbeitsalltag von Stefanie im Büro geschildert, wo die Mitarbeitenden zwar freundlich sind, doch Lesbischsein tabuisiert wird und Stefanie sich deshalb immer etwas gefährdet fühlt. Die Schilderung der Atmosphäre und der Mitarbeitenden sind sehr präzis, die Übergänge der Erzählebenen jedoch anspruchsvoll für die Leserin.
Johanna Moosdorf hat diesem Roman ursprünglich den Titel “Sappho” gegeben und damit ein deutliches Signal gesetzt, dass lesbische Liebe ein zentrales Thema ist. “Die Freundinnen” dagegen ist ein versteckt lesbischer Code, der in der Weimarer Republik innerhalb der lesbischen Subkultur eindeutig lesbische Bedeutung trug. (Fast den gleichen Titel, nämlich “Freundinnen” trug Caroline Muhrs Roman (1974))
Am Schluss dieses Romans verlässt die Geliebte ihre Freundin wegen eines Mannes und das letzte Kapitel ist als Epilog (also als Nachspiel) konzipiert. Darin erfährt Irinas Ehemann Kross eine wunderbare Wandlung und begreift die Liebe zwischen Irina und Stefanie. Dass der Mann die Frauen versteht, folgt nicht schlüssig aus dem Roman, doch das utopische Schlussbild, welches sein inneres Bild der liebenden Frauen zeigt, war Moosdorf sehr wichtig:
“Da ist auch wieder das Bild, das ihn nun nicht mehr loslässt: Umschlungen, die Köpfe einander zugeneigt, fest aneinander gelehnt, die äusseren Arme unter den Brüsten ineinander verschränkt, gehen sie in ihren hellen Kleidern langsam die Landstrasse entlang und dann den Weg zum Fluss hinunter durch den sommerlichen Wald, in dem der Tag verdämmert.” (297)
Jahrhundertträume
Die Neuauflage von “Die Freundinnen” wurde 1987 ein Verkaufs-Erfolg. Auf dieser Basis gelang es der Lektorin Ingeborg Mues, den autobiografischen Roman “Jahrhundertträume” von Johanna Moosdorf, direkt nach Abschluss des Manuskripts im Jahr 1989 als Originalausgabe im Fischer Taschenbuch zu veröffentlichen. (Heute jedoch ist es vergriffen.) Darin erzählt Moosdorf anhand der Schriftstellerin Jenny Meininger ihre eigene Geschichte, die sie mit Träumen und Visionen verbindet.
Es ist die Liebesgeschichte von Jenny mit dem jüdischen Intellektuellen Karl, den sie anfangs der dreissiger Jahre in Berlin kennen lernt. Die Rollenteilung ist zunächst unkonventionell. Sie heiraten, 1935 und 1938 werden ihre Wunschkinder geboren. Später lassen sie sich scheiden, damit zumindest Jenny Arbeit finden und für die Kinder und sich selbst sorgen kann. Zu Kriegsbeginn werden die Grenzen geschlossen, Karl kann nicht mehr emigrieren. Er wird in Auschwitz ermordet. Jenny überlebt mit den Kindern und zusammen mit ihrer Freundin Thilde. Dann geht Jenny mit den Kindern nach Berlin. Jenny erzählt in der Gegenwart der achtziger Jahre und erinnert sich an ihre Vergangenheit und ihre beiden grossen Geliebten, Karl und Thilde, die für sie gegenwärtig sind. “Das Schreckliche lässt sich nicht wirklich mitteilen” stellt Jenny resigniert fest, doch Johanna Moosdorf hat sich auch diesem Thema gestellt und die Geschichte geschrieben, die sie nicht schreiben wollte,
aber schreiben musste. Und sie hat dieses Buch beendet, obwohl sie seit Ende 1987 grosse Schwierigkeiten mit ihren Augen hatte und nur noch mit grosser Mühe lesen konnte. Für mich ist dieser Roman besonders interessant, weil darin genau geschildert wird, wie die nationalsozialistische Herrschaft im Alltag dieser Familie Gewalt ausgeübt hat, und schliesslich Karl ermordet hat. Und wie Jenny überlebt, weiter lebt und weiter schreibt.
Gedichte
Zum Abschluss möchte ich zuerst zwei Gedichte vortragen und danach drei Fragen an Ruth Ellerbrock richten.
Die beiden Gedichte habe ich gemeinsam mit Josefine Ulmi ausgewählt – Sie ist die Mutter meiner Freundin, wird heute 85 Jahre alt, hat selbst viele Gedichte geschrieben und war spontan von Moosdorfs Gedichten begeistert.
Klaglos
Im Geröll der Moräne
bei grossen schlafenden Steinen
lieg ich mit wunder Kehle
verlacht
von der Möwenbrut
Fische schnappen nach mir
mit wabernden Mäulern
Seeschwalben kreisen mich ein
im Lichtnetz der grossen Sonne
sirren Fliegen
eine reglose Echse starrt
auf die langsamer pulsende Ader
in meiner Stirn
Ringsum Wellengekicher
in den grünen Fesseln des Tang
erstickt meine Brust eine Kruste
aus körnig-bitterem Salz
verschliesst mir die Lippen
klaglos verendet mein Wort
im Zischeln des Schilfs
Das letzte Gedicht, das ich vorlese, zeigt Johanna Moosdorfs grosse Hoffnung auf ein menschenwürdiges Zusammenleben. Eine Hoffnung, die sie sich bewahrt hat und für die sie gekämpft hat, entgegen all dem Leid, das sie persönlich erlebt hat.
Trauernd hüte ich
Wenn zwischen Mitternacht
und Morgen
in den Adern der Stadt
Stille pulst
und die Schläfer den Atem
anhalten
stehn die Toten
im grauen Halblicht
rufen mich
wecken meinen Traum
von befriedeter Erde
lebendigen Wäldern und Strömen
der unverbrüchlichen Bruder-
und Schwesterschaft
aller Menschen
Unaufhaltsam aber der Tag
klirrend gerüstet
walzt das gefährliche Feuer
meines Traums nieder
Trauernd hüte ich dann
einsam
mit meinen sterblichen Händen
die noch knisternde Glut
einer unsterblichen
Hoffnung.
Fragen an Ruth
Ruth Ellerbrock, du hast Johanna Moosdorf in den letzten 14 Jahren ihres Lebens regelmässig besucht:
Was hat dich an ihr besonders beeindruckt?
Dein Liebglingstext von Johanna Moosdorf?