Otto Schramm, mein Großvater, stammte aus einer alten Wilmersdorfer Familie. Wilmersdorf war damals ein kleines Dorf bei Berlin. Sein Vater war Gemeindevorsteher, Lehrer, Schneider und Landwirt mit 4 Söhnen und 2 Töchtern, ein tüchtiger Mann, der durch Geschick und Fleiß zu größerem Reichtum gekommen ist und der vorausschauend in der sich entwickelnden Gemeinde nicht nur Land kaufte, sondern auch einen Teil des Wilmersdorfer Sees, der einen guten Fischbestand hatte, den man nutzen konnte. Er starb im Jahre 1889. Das Erbbegräbnis auf dem Alten Wilmersdorfer Friedhof, (Abt. A West, Gräber 20 – 24) existiert noch.
Als Berlin zu wachsen begann, wurde auch Wilmersdorf immer gefragter und der Grund und Boden wertvoller. Mein Großvater war der zweitälteste Sohn, er wurde Landwirt und hatte, wie sein Vater, unternehmerisches Talent. Von den Geschwistern ist nichts bekannt. In erster Ehe hatte mein Großvater 5 Töchter. Seine Frau starb, als die Jüngste 6 Jahre alt war.
In zweiter Ehe heiratete er als 35-jähriger Anna Siering, die erst einmal die 5 Kinder erzog und dann nach 9 Jahren selbst eine Tochter bekam. Nach drei weiteren Jahren wurde der Sohn Hans Otto, mein Vater, geboren. Über den ersten Sohn nach 6 Töchtern herrschte große Freude und er wurde von seinem Vater sehr verwöhnt. Die älteren Schwestern waren inzwischen erwachsen und aus dem Haus, sodass nur wenig Kontakt zwischen den Kindern aus erster und zweiter Ehe bestand und diese Schwestern nicht als Geschwister erlebt wurden, eher wie jüngere Tanten.
Otto Schramm, mein Großvater erwarb Grundstücke am Wilmersdorfer See und errichtete auf dem Gelände eine Badeanstalt, das heute noch bekannte Seebad Wilmersdorf. Von der späteren Schrammstraße bis fast zur Kaiserallee und bis hinauf zur Hildegardstraße legte er einen terrassenförmigen Park mit schönem Baumbestand an. Er errichtete ein großes Sommer-Restaurant, einen Musikpavillon, Kegelbahnen, Ställe und Unterstände für die Pferde und Wagen. Die Berliner waren begeistert und fuhren mit ihren „Kremsern“, den Pferdekutschen, an schönen Tagen und den Wochenenden ins Grüne zu „Schramms Seebad Wilmersdorf“. Es gab gut zu essen, in einer Kaffee-Küche konnten Familien Kaffee kochen, man saß an Tisch und Stühlen im Grünen und konnte sich erholen. Im wohlgepflegten Park konnte man spazieren gehen oder im See baden und Kahn fahren. An den Sonntagen und jeden Donnerstag gab es bei schönem Wetter Militärmusik der Musikkapellen der Berliner Garderegimenter mit Tanz und donnerstags abends ein großes Feuerwerk. Auch im Winter gab es Festlichkeiten im Saal. Es wurde Walzer getanzt, Polka und Rheinländer, sowie Quadrillen und Contre. Ein Tanzmeister im Frack dirigierte die Paare. Dieser „Großbetrieb“ wurde zur Pacht von Tante Leni, einer Schwester unserer Großmutter übernommen, später von der Schlossbrauerei Schöneberg. Etwas Ähnliches in diesem Ausmaß war weit und breit nicht zu finden.
Die wilmersdorfer Lieferanten, die Bäcker, Metzger und Händler profitierten. Auch die Pacht von jährlich mehr als 100.000,- Gold-Mark, war für meinen Großvater bei der damaligen Kaufkraft enorm viel Geld. Allen ging es gut.
Ende der 80-ger Jahre entstand auf dem Grundstück auch eine große Villa, in die nicht nur die Familie mit den beiden Nachzüglern einzog, sondern auch Tante Leni mit ihrem Mann und einem Sohn und es zogen die Schwiegereltern aus Berlin dazu. Diese Großeltern waren bei den Kindern sehr beliebt. Sie hatten 9 Kinder großgezogen. Meine Großmutter war das 4. von diesen 9 Kindern. Zeitweise lebte auch eine der Töchter aus erster Ehe des Großvaters mit ihrem Mann im Haus.
Mein Großvater, war ein großzügiger, sehr gütiger, ein kluger und weitsichtiger Mann. Wilmersdorf erhielt von ihm für den Aufbau und die Entwicklung des Ortes großzügige Spenden. Er war ein liebevoller Vater, spielte Geige und vergötterte seine sehr schöne Frau, die er nach seinem frühen Tod in großer Unselbständigkeit zurückließ. Bei ihm war, als er 54 Jahre alt war, Nierenkrebs festgestellt worden. Eine Operation, bei der eine Niere entfernt wurde, ließ hoffen, dass die Krankheit überwunden werden kann, aber eine plötzlich auftretende Lungenentzündung brachte seinem Leben ein schnelles Ende. Sein Sohn, den er sehr geliebt und verwöhnt hat, war erst 10 Jahre alt.
Mein Großvater erlebte nicht mehr wie 1904, nicht weit entfernt, große Konkurrenz durch den Vergnügungspark „Terrassen am Halensee“, später Luna-Park, entstand, er erlebte nicht, wie der See anfing zu verlanden. Es waren die Wasseradern, die den See mit Frischwasser versorgt hatten umgeleitet worden. Der Senat beschloss, da die wachsende Gemeinde Wilmersdorf mit ihrem Müllproblem nicht fertig wurde., den See einfach mit dem Müll aufzufüllen. Dadurch war nicht nur das Baden unmöglich, auch das Restaurant wurde geschlossen, weil der Gestank zu groß wurde. In der Familie war niemand da, der sich wehren konnte. Sieben Jahre dauerte es, bis der See gefüllt war und der Hindenburgpark, heutige Volkspark darauf angelegt werden konnte. Auch ein Teil der Schrammstraße wurde in Hindenburgstraße umbenannt.
Mein Vater Hans-Otto ( 1892 – 1962)
wurde nach dem Tod des Vaters von der Mutter einem Erzieher, Herrn Prof. Bullrich anvertraut, der ihm eine ausgezeichnete Erziehung vermittelte und ihm mehr Freund als Erzieher war. Die ältere Schwester Käthe kam in ein Internat in Dresden. Unsere unerfahrene Großmutter lernte eine Familie Dunsing kennen, die sie beriet, wie sie ein luxuriöses Leben führen konnte. Sie fand Geschmack an diesem Leben und geriet sehr in Abhängigkeit. Schmarotzer gab es schnell zur Genüge . Der Sohn Hans Dunsing heiratete später die sehr viel jüngere Käthe und darüber wurde der eigene Sohn weitgehend vergessen. Hans Dunsing ließ sich von seiner Schwiegermutter weitreichende Vollmachten über das Vermögen geben und verstand es, das Vertrauen seiner Schwiegermutter zu festigen und meinen noch sehr jungen Vater an die Wand zu drücken
Nach dem Abitur wurde Hans Otto, mein Vater, auf Wunsch und durch die Fürsprache des Kommandierenden General Exc. von Lindenau als Fahnenjunker bei den Bruchsaler Dragonern aufgenommen. Es war die Zeit, in der sich politisches Unheil zusammenbraute und die Zeit des allgemeinen Wohlstands zu Ende ging.
Trotzdem lebte das Regiment im Bruchsaler Schloss sehr feudal, es nahm teil an den rauschenden Festen am Großherzoglichen Hof in Karlsruhe, aber es stellte auch
außerordentlich hohe Ansprüche und setzte strenge Maßstäbe an Charakter, Bildung, Erziehung und Mut der Soldaten und vor allem der Offiziere. Viele, die als Fahnenjunker, das sind Offiziersanwärter, aufgenommen waren, mussten nach einer Weile wieder ihren Abschied nehmen, da sie den Ansprüchen nicht genügt hatten. Das Dragoner-Regiment 21 war auch weithin bekannt als das mit der reiterlich besten Ausbildung.
Eine Ausbildung auf der Kriegsschule schloss sich für meinen Vater an und wurde durch den Ausbruch des ersten Weltkrieges beendet. In den Kriegsjahren kämpfte er vorwiegend in Frankreich und Belgien, zwischendurch auch in Kurland.
Als der Krieg zu Ende ging, den er Gott sei Dank ohne ernsthafte Verletzungen überstanden hatte, hatte er den Rang eines Oberleutnants und fuhr erst einmal zu seiner Familie zurück nach Berlin. Hans Dunsing hatte inzwischen die vollständige Vermögensverwaltung übernommen.
Berlin empfand mein Vater wie ein Tollhaus. Jegliche Ordnung, Disziplin und Würde war verlorengegangen. Die Menschen feierten Orgien, das Verbrechertum feierte Triumphe und die Parteien bekämpften sich mit allen Mitteln.
Nach einer Weile nahm er bei seinem Regiment seinen Abschied und begann Landwirtschaft zu studieren. Es folgten arbeitsreiche teils fröhliche, teils schwierige Jahre. 1921 heiratete er Alice Wiescher, die Tochter eines Industriekaufmannes aus Bonn, der in Brüssel lebte. Nach dem Tod des ersten Babys, welches sich auf der Entbindungsstation mit einer ansteckenden Krankheit infiziert hatte, wurde 1923 das zweite Kind, Edelgard, geboren. Ein erworbenes Gut in der Mark Brandenburg stellte sich trotz vieler Arbeit durch den zu leichten Boden als nicht genügend ertragreich heraus und wurde wieder verkauft. Die Familie wurde daraufhin von den engen Freunden Werner und Edi von Veltheim auf das Gut Stolpe in Brandenburg geholt, wo mein Vater mitarbeiten konnte. Sie verbrachten unbeschwerte Zeiten. Schließlich drängte es meinen Vater aber nach Berlin zurückzukehren, um nach seinem Erbe zu sehen.
Es hatte sich viel verändert. In der Villa lebten fremde Menschen und der Garten, sowie der Park waren verpachtet und total verkommen. Das Restaurant wurde recht und schlecht bewirtschaftet und der Park war an eine Gärtnerei und eine Gesellschaft für Flüssiggas verpachtet. Mein Vater übernahm mit Hans Dunsing , seinem Schwager, gemeinsam die Verwaltung und kündigte erst einmal alle Verträge. Er ließ sich eine Wohnung im oberen Stock der Villa ausbauen und zog ein. Die Ehe ging aber in die Brüche und seine Frau zog zu ihren Eltern zurück nach Bonn. Die Grundstücke sollten nun verkauft werden, aber der Verkauf an eine Filmgesellschaft zerschlug sich, weil zur Finanzierung die vereinbarte Summe von
M 3 Mio nicht flüssig gemacht werden konnte. Ein früheres Angebot in dieser Höhe war nicht angenommen worden. Um das Gelände zu nutzen wurden die Gebäude zu 120 Garagen umgebaut und mit einer gegründeten AG selbst verwaltet.
Wilmersdorf war stark gewachsen., von 5.000 Einwohnern in kurzer Zeit auf 100.000 EW. Es war schwierig eine Wohnung zu bekommen.
Mein Vater und Hans Dunsing beschlossen daraufhin einen Teil des Grundstücks mit 30 Häusern zu je 10 2 ½ bis 4 ½ Zimmer-Wohnungen und unterirdischen Garagen mit Einzelboxen zu bebauen. Das Geld dazu sollte der Verkauf weiterer Grundstücke an die Stadt Berlin ergeben. Der Erlös von 4 Millionen Mark reichte zum Bauen. Es sollte komfortabel und solide gebaut werden. Die Zeiten waren aber sehr unsicher. Während des Krieges waren die Staatsausgaben so hoch, dass sie von den Einnahmen nicht gedeckt waren. Es wurde zu viel Geld ausgegeben, sodass die Währung verfiel. Die Regierung forcierte diese Entwicklung wegen der hohen Reparationsleistungen, die Ihr durch den Versailler Vertrag aufgebürdet worden waren. 1923 schließlich hatte die Inflation unvorstellbare Ausmaße erreicht. 1 US $ entsprach 4 Billionen Mark. Das durch den Verkauf der Grundstücke erlöste Kapital hatte keinen Wert mehr. Im November 1924 wurde schließlich die Rentenmark eingeführt. Um den Bau beginnen zu können, musste bei der Münchner Hypothekenbank ein Darlehen von 4,2 Mio Rentenmark aufgenommen werden. Aber der Bau verteuerte sich stark durch Streiks und Geldentwertung. 1927 war der Bau vollendet. Im Nu waren alle 300 Wohnungen vermietet, auf Wunsch der Mieter und durch Auflagen der Bank, auf 10 Jahre.
Es hätte eine ruhige Zeit beginnen können, aber die Einführung der Rentenmark hatte eine Geldverknappung zur Folge und die Mieter hatten Schwierigkeiten, Ihren Verpflichtungen nachzukommen. Billige Siedlungsbauten schossen wie Pilze aus dem Boden und viele Mieter wären gerne aus ihren Verträgen entlassen worden, um sich eine billigere Bleibe zu suchen. Zwei in den Blocks lebende Rechtsanwälte gründeten einen Mieterverein und griffen die Mietverträge an. Sie rieten den Mietern, einfach keine Miete mehr zu bezahlen. Es kam zum Prozess vor dem Landgericht, der haushoch gewonnen wurde und in dessen Verlauf sich der Richter scharf gegen die Methoden der Gegenpartei aussprach. Die Mieter sollten die rückständige Miete hinterlegen und es wurde gestattet, dass die Mietergemeinschaft nicht in die Berufung gehen könne. Das Kammergericht hob das Urteil jedoch auf, die Gegenpartei konnte in Berufung gehen, ohne die Mietrückstände zu hinterlegen. Nach einem Jahr wurde auch dieser Prozess gewonnen, aber die Mieter, die inzwischen 2 Jahre umsonst in den schönen Wohnungen gelebt hatten, hatten genügend Zeit, all ihre Habe auf andere umzuschreiben, sodass die Eigentümer leer ausgingen. Die Annuitäten für die Münchner Hypothekenbank waren nicht mehr bezahlt worden, ebenso die Grundsteuer. Auch die Anwälte hatten bei diesem hohen Streitwert enorme Forderungen gestellt und so wurde auch unter Mitwirkung der Stadt Berlin die Zwangsversteigerung betrieben. Die Stadt war an diesem Grundstück außerordentlich interessiert und ersteigerte das gesamte Anwesen mit einem Wert von mindestens 8.200.000,- Mark für 4.200.000,-, genau der Summe der aufgenommenen Hypothek. Das war für die wohlhabende Familie Schramm das Ende ihres durch Fleiß und vorausschauendes kluges Unternehmertum erworbenen Vermögens. Die Häuser und die Garagen haben den Krieg überstanden und sind heute noch beeindruckend in ihrer soliden und schönen Bauweise. Sie stehen unter Denkmalschutz und sind kürzlich durch den jetzigen Eigentümer, die Firma Gesobau renoviert worden.
Im Februar 1927 hatte mein Vater zum zweiten Mal geheiratet. Er durchlebte mit seiner zweiten Frau Maria, geb. Lucius, unserer Mutter, diese schwere Zeit der Enttäuschung. Außerdem hatte er sich mit der nationalsozialistischen Partei wegen eines jüdischen Rechtsanwalts angelegt und fürchtete eine Verhaftung. Um als Angehöriger der Wehrmacht geschützt zu sein, meldete er sich bei der Luftwaffe und wurde wieder Offizier. Das hatte zur Folge, dass die Familie immer wieder umziehen musste. Trotzdem ging es uns gut und meine Eltern pflegten mit viel Liebe und Gastlichkeit alte Freundschaften. Mein Vater liebte es, seine Freunde festlich zu bewirten. Ich erinnere mich an große festlich gedeckte Tafeln, und er war nicht nur ein ausgezeichneter Gastgeber sondern auch ein viel belesener und amüsanter Unterhalter, auch ein guter Tänzer. Er war sehr weichherzig und er konnte wunderbar erzählen.
An den Kronprinzen, den ältesten Sohn des letzten Kaisers, erinnere ich mich noch sehr genau. Mit ihm verband meinen Vater eine sehr gute Freundschaft und auch ein großes Interesse am Motorsport und an Literatur. Der Kronprinz, sowie auch seine beiden jüngeren Söhne Hubertus und Friedrich, waren öfters bei uns zu Gast oder die Eltern trafen sich mit einem Freundeskreis in Potsdam im Schloss Cäcilienhof. Sie genossen sehr die anregenden und interessanten Abende. Manchmal durften wir mit nach Cäcilienhof und der Kronprinz spielte mit uns und machte uns vielerlei Geschenke. Zu Weihnachten und zu seinem Geburtstag bastelten wir mit Hilfe von Mami die schönsten unnützen Dinge für ihn. Und wir waren begeistert, wenn er sich darüber freute.
Sehr gute Freunde blieben weiterhin Edi und Werner von Veltheim aus Stolpe mit ihren inzwischen erwachsenen Kindern und Rudi von Engelhard, der das Gut Liebenberg seiner Schwiegereltern Eulenburg in der Mark Brandenburg bewirtschaftete. Dort traf man sich oft und verbrachte viele fröhliche Tage im Kreis der engelhardschen Familie und vielen Freunden. Nach dem Krieg wollten Onkel Rudi und mein Vater ein Gut an der Weichsel kaufen und es gemeinsam bewirtschaften.
Als der Krieg ausbrach wohnte unsere Familie mit den inzwischen vier Kindern in Dresden und mein Vater musste an die Front. 1942 zogen wir zu Freunden auf ein Gestüt nach Preußisch Stargard in Westpreußen.
Der Krieg in Russland ruinierte die Gesundheit meines Vaters, aber er blieb vor einer Verwundung verschont. Als wir ihn nach dem Kriegsende wiedersahen, als er aus der Gefangenschaft entlassen worden war und die Familie nach einer schwierigen Flucht vor den Russen in Niedersachsen auf einem Bauernhof Unterschlupf gefunden hatte, war er ein von Hunger, Entbehrung und Krankheit gezeichneter Mann, den wir kaum wiedererkannten.
Und trotzdem war er voller Mut und versuchte wieder sein Leben und das seiner Familie neu zu ordnen. Die Kraft gaben ihm seine Familie und die guten Erlebnisse und Erinnerungen an andere Menschen, die er im Laufe seines Lebens kennen gelernt hatte und mit denen ihn tiefe Freundschaft verband. Sie waren wie er Idealisten, Anstand und Fairness waren für sie unverzichtbar.
Durch das Kriegsende wurden alle zu mittellosen Flüchtlingen. Jeder hatte für seine Familie einen harten Überlebenskampf zu bestehen. Die Freunde behielten den Kontakt, aber sie waren weit verstreut. Der Kronprinz zog mit seinem alten Diener und seinem Schäferhund auf die unheizbare Burg Hechingen und lebte in sehr kümmerlichen Verhältnissen. Drei seiner fünf Söhne waren inzwischen tot. Mein Vater war nach einem Besuch auf der Burg tief betroffen. Die französische Besatzung hatte den Kronprinzen weiter gedemütigt und ihm gnädig erklärt, dass sie darauf verzichten, ihn gefangen zunehmen. Er war ein Gegner Adolf Hitlers gewesen und stand dem Kreisauer Kreis nahe. Aber, das interessierte nicht. Onkel Rudi fuhr für ein Straßenbau-Unternehmen Steine mit einem Lastwagen morgens um 3 Uhr zu den Baustellen, ging dann nach Hause um für seine beiden jüngsten Kinder Frühstück zu machen und sie in die Schule zu schicken. Dann ging die Arbeit weiter. Für uns war das eine seltsame Vorstellung, wenn wir an diesen hochgewachsenen eleganten Mann dachten.
Mein Vater zog 1946 mit uns in das Dorf Rimpach im Württembergischen Allgäu. Die sechsköpfige Familie hatte nicht viel mehr als das, was sie auf dem Leib trug. Mami hatte vor allem unersetzliche Dokumente und Erinnerungen mitgenommen. Aber es ging bergauf. Vater kaufte eine Kuh, die bei einem Bauern untergestellt wurde und uns täglich mit Milch versorgte, in einem gepachteten Gemüsegarten bauten wir Gemüse an und wir mästeten sogar zusammen mit Nachbarn ein Schwein. Auch um Geld zu verdienen beteiligte er sich an verschiedenen Aktivitäten.
1951 gelang es ihm in Ravensburg ein wunderbar gelegenes Grundstück in Erbpacht zu bekommen. Er baute darauf für die Familie ein sehr schönes Fertighaus mit einer Firma, für welche er auch die Vertretung übernommen hatte. Er versuchte durch große Sparsamkeit die Schulden so schnell wie möglich los zu werden, um dann mit seiner Frau endlich noch ein bisschen das Leben genießen zu können. Aber es blieb ihm verwehrt. Seinen 70. Geburtstag am 25. Juni 1962 feierte er sehr fröhlich im Kreis seiner Familie und mit Freunden, aber er starb bereits im November 1962 nach einem Herzinfarkt an einer Lungenembolie. Die Geburt von fünf Enkeln hat er noch erlebt, Stephan, Christian, Ingo, Henning und Erdmute. Die weiteren 4 Enkel und 4 Enkelinnen haben ihn nicht mehr kennen gelernt. Seine Frau überlebte ihn nur um wenige Jahre.