Berlin 1987
Bereits im November 1932 beschließt der Berliner Magistrat, die erst zwölf Jahre zuvor geschaffene Verwaltungsstruktur radikal zu verändern: Aus 20 Bezirken sollen 9 werden, die Bezirksversammlungen sollen durch kleinere Bezirksräte ersetzt werden. Diesem Beschluß war eine heftige Diskussion vorausgegangen, in der vor allem einige Bezirksbürgermeister sich gegen die geplanten Zusammenlegungen gewehrt hatten. Am 28.9.1932 beschrieb die Berliner Morgenpost erstmals in einem großen Leitartikel die Pläne des Magistrats:
“ Statt 20 nur noch 9 Bezirke – Berlin vereinfacht!
Die große Verwaltungsreform – Bezirksparlamente fallen fort
Seit es ein Groß-Berlin gibt, hat man sich mit der Frage beschäftigt, wie diese aus so vielen und verschieden gearteten Städten und Gemeinden entstandene Großstadt, die drittgrößte der Welt, am besten verwaltet werden kann. Nun hat jeder Berliner es wohl schon am eigenen Leibe gespürt, welche Mängel unser Verwaltungsapparat hat. Berlin hat nicht nur einen Oberbürgermeister und zwei stellvertretende Bürgermeister, sondern auch 20 Bezirksbürgermeister. Es hat nicht nur ein Stadtparlament mit 225 Stadtverordneten, sondern jeder der 20 Bezirke besitzt sein Parlament. Wir haben 215 Stadträte in den Bezirken und wir haben ein ganzes Regiment von Bezirksverordneten, nämlich 1005 Mann. Jetzt – endlich! – soll das alles anders werden. Der Magistrat hat den Entwurf einer neuen Verfassung für Berlin ausgearbeitet und den Stadtverordneten vorgelegt. Dieser Entwurf leistet, wenn man so sagen kann, ganze Arbeit. Kein Stein bleibt auf dem anderen. Statt der 20 Bezirke
werden wir künftig nur noch 9 Bezirke haben. Je zwei oder drei benachbarte Bezirke werden zusammengelegt. Berlin wird also völlig neu eingeteilt. Aber auch die Bezirksverwaltung wird von Grund aus reformiert. Die Bezirksversammlungen werden abgeschafft, an ihre Stellt tritt ein kleiner Kreis von Bezirksräten. Sie können vom Bezirksbürgermeister einberufen werden, wenn er es für notwendig erachtet, und sie werden gewiß nicht allzu häufig einberufen werden. Ferner wird auch die Zahl der Stadträte in den Bezirken reduziert. Statt der bisherigen 215 Bezirksstadträte werden wir künftig etwa 63 haben….
Die neuen Bezirke
Die Berliner Bezirke werden künftig im Amtsverkehr keine Namen, sondern nur eine Nummer haben. Der Berliner wird also, wenigstens aktenmäßig, nicht mehr in Friedenau oder Neukölln wohnen, sondern im VII. oder VI. Bezirk. Erster Bezirk: besteht aus den alten Bezirken Mitte, Tiergarten und Kreuzberg. Er umfaßt also einen großen Teil Alt-Berlins und vor allem die sogenannte City… Zweiter Bezirk: setzt sich aus Wedding und Reinickendorf zusammen… Dritter Bezirk: Prenzlauer Berg, Pankow, der alte Ortsteil Weißensse und Malchow… Vierter Bezirk: Friedrichshain, Lichtenberg und die südwestliche Hälfte des Bezirks Weißensee, bestehend aus Hohenschönhausen und einem Teil von Malchow… Fünfter Bezirk: Köpenick und Treptow, aber nur der südliche Teil von Treptow… Sechster Bezirk: Neukölln und der nördliche Teil von Treptow… Siebenter Bezirk: Zehlendorf, Steglitz und Tempelhof… Achter Bezirk: Wilmersdorf und Schöneberg… Neunter
Bezirk: Charlottenburg und Spandau… Statt 20 Bürgermeister nur noch 9 Wir werden also in den neun Bezirken statt der früheren 20 Bürgermeister nur 9 Bürgermeister haben. Der Bürgermeister führt die Geschäfte, ernennt die Beamten und wird auf zwölf Jahre gewählt und angestellt.”
An den folgenden Tagen wurden die Berliner Zeitungen beherrscht von der Diskussion über diese geplante Bezirksreform. Im Berliner Westen vom 29.9.1932 war unter der Überschrift “Bürgermeister zur Bezirksreform” unter anderem folgendes zu lesen:
“ Wilmersdorf – Schöneberg ein Widersinn!
Zweifellos hat nun Wilmersdorf im westlichen Abschnitt des Zusammenlegungsplanes eine Schlüsselstellung. Man will es mit Schöneberg zusammenlegen, ohne Rücksicht darauf, daß es von der Peripherie abgeschlossen ist. Wie Wilmersdorf Bürgermeister Dr. Francke unserem Redaktionsmitglied gegenüber ausführte, schafft man so eine neue "City-Enklave", ein für sich abgeschlossenes, wurstartiges Gebilde, wie es die gestern von uns veröffentlichte Skizze veranschaulicht. Dr. Francke ist von diesem Plan, wie er betont, völlig überrascht worden, denn bisher war immer davon die Rede, daß es Zehlendorf sei, das zu Wilmersdorf kommen müsse. wenn nun der Stadtrat Heuer dafür die Rücksichtnahme auf die vorhandenen Verkehrsverbindungen geltend macht, so ist Dr. Francke sehr richtig der Ansicht, daß der Verkehr, nämlich die BVG, sich nach dem Publikum und der Entwicklung eines Bezirks richten müsse, nicht umgekehrt! Leider hat die BVG gerade in der Versorgung der
Ortsteile Schmargendorf und Grunewald bekanntlich bisher völlig versagt. Unverständlich ist es daher, wieso sich Stadtrat Heuer ausgerechnet auf den Verkehr beruft.”
Im gleichen Artikel wird ein Beschluß der Spandauer Bezirksversammlung zitiert, in dem energischer Widerspruch gegen die Absicht erhoben wird, Spandau und Charlottenburg zu vereinen. Die Spandauer bestehen darauf, ein selbständiger Verwaltungsbezirk zu bleiben.
Am 1. Oktober 1932 erteilt der Westen dem Wilmersdorfer Bezirksbürgermeister Dr. Francke das Wort:
“Ich bin durch die Neuregelung, die uns mit Schöneberg vereinigen will, völlig überrascht worden. Bisher galt immer der Grundsatz, daß Bezirke mit mehr als 200.000 Einwohnern selbständig bleiben sollten. Bei so großen Bezirken wie sie z. B. durch die Zusammenlegung von Wilmersdorf und Schöneberg entstehen, muß der Leiter des Bezirks die Übersicht verlieren. Einen Bezirk von über 200.000 Einwohnern kann ein Bezirksbürgermeister nicht übersehen. Er wird auf untergeordnete Organe angewiesen, und so muß es innerhalb der Bezirke wieder zur Dezentralisation kommen. Oberbürgermeister Dr. Sahm hat schon bei Beratung des Heuer-Plans diese Gesichtspunkte anerkannt und seinerseits noch besonders unterstrichen. Ich erblicke in diesem Plan eine Einschränkung der Selbstverwaltung, er könnte auch nur gegen den Willen unserer Bezirksversammlung durchgeführt werden. Durch die Zusammenlegung von Schöneberg und Wilmersdorf wird gewissermaßen eine "City des
Westens" geschaffen, eine richtige Enklave, vor die sich der Riesenbezirk Zehlendorf-Steglitz-Tempelhof im Süden wie ein Riegel vorschiebt. Diese Regelung setzt Wilmersdorfs Entwicklung den Leichenstein. Wenn man uns schon nicht selbständig lassen wollte, hätte man uns mit Zehlendorf zusammenlegen sollen, mit dem wir vor allem durch die U-Bahn gute Verbindungen haben. Bei der jetzigen Regelung kann von Ersparnissen keine Rede sein, im Gegenteil werden uns für die Betriebs-Verwaltung aus dem Enklaven-Charakter des projektierten Bezirks Schwierigkeiten erwachsen.”
Einen ganz anderen Aspekt der Zusammenlegung der Bezirke hatte das Berliner Tageblatt in seiner Ausgabe vom 30.9.1932. angesprochen. Es wies daraufhin, dass nicht alle Bezirke ein eigenes Rathaus besitzen und schrieb:
“ 14 Rathaus-Türme
Wilmersdorf, das nun mit Schöneberg vereinigt werden soll, besitzt dagegen gar keins, denn das Gebäude an der Berliner Straße, daß sich so nennt, kann kaum als Rathaus angesprochen werden. Wie die Verhältnisse dort liegen, beweist die Tatsache, daß schon in den Zeiten, als Wilmersdorf noch selbständige Stadt war, die Stadtverordnetenversammlung zur Miete außerhalb des Rathauses untergebracht werden mußte. Eine Zeitlang tagte sie im Auguste-Viktoria-Lyzeum in der Gasteiner Straße, der “schönsten Schule Preußens”, dann in der Cäcilien-Schule am Nikolsburger Platz und schließlich im Hindenburg-Gymnasium am Stadtpark. Jetzt ist die Verwaltung Wilmersdorfs zum großen Teil im ehemaligen Joachimsthalschen Gymnasium an der Kaiserallee untergebracht…”
Der Wilmersdorfer Bezirksbürgermeister Dr. Francke hatte also allen Grund, zu befürchten, dass bei einer Zusammenlegung von Wilmersdorf und Schöneberg die neue Zentrale des Gesamtbezirks in Schöneberg liegen würde, denn Schöneberg besaß damals wie heute ein großes, repräsentatives Rathaus. Ende November 1932 beschloss der Berliner Magistrat endgültig die Bezirksverwaltungsreform. Wie geplant wurden aus 20 Bezirken 9 Bezirke geschaffen. Den Wilmersdorfer Bedenken gegen eine Zusammenlegung mit Schöneberg wurde allerdings Rechnung getragen. Der zukünftige 8. Bezirk sollte sich nun zusammensetzen aus Wilmersdorf, Zehlendorf und Steglitz. Als Hauptgründe für den Beschluss zur Bezirksverwaltungsreform wurden genannt Sparsamkeit und das Ziel der Entpolitisierung der Arbeit der Bezirksverwaltungen.
Die Vossische Zeitung begrüßte am 29.11.1932 diesen Beschluss, meinte, die kommunale Selbstverwaltung in den Berliner Bezirken sei überholt und schrieb:
“Wer kennt sein Rathaus?
Es ist tatsächlich ein Ausnahmefall, daß ein Wilmersdorfer oder Lichtenberger, ein Neuköllner oder Reinickendorfer sein Rathaus oder gar seinen Bezirksbürgermeister kennt … Die Interessen innerhalb der einzelnen Bezirke sind nicht mehr genügend verschieden, als daß man es verantworten könnte, ein und denselben Gegenstand in 20 Bezirken 20mal öffentlich beraten zu lassen … Auch zu der Zeit, als die Bezirksversammlungen noch öffentlich tagten, interessierte sich kaum noch ein Mensch für die Vorgänge in diesen Gremien, über die man im allgemeinen nur noch etwas erfuhr, wenn es Krach gab. Man wird dieser Institution nicht viele Tränen nachweinen.”
Am gleichen Tag plädierte der Berliner Westen unter der Überschrift “Der kommende Grunewald-Bezirk” für Wilmersdorf als Sitz der neuen Bezirksverwaltung und für Dr. Francke als neuen Bürgermeister des großen Bezirks. Am 19. Januar 1933 meldeten die Berliner Zeitungen fast übereinstimmend unter der Überschrift “Bezirksreform gescheitert”, dass der Magistratsbeschluß vom Preußischen Innenministerium abgelehnt worden war, und zwar wegen der geringen Ersparnismöglichkeiten und wegen der fast einmütigen Ablehnung der Reform durch die Bezirke, die Berufsvertretungen und die Bevölkerung. Die Zeitungen kommentierten diese Ablehnung des Magistratsbeschlusses durch das Preußische Innenministerium als Ohrfeige für den Berliner Magistrat und als Untergang eines völlig verfehlten Projekts des Magistrats. Die Nationalsozialisten, die wenige Tage später am 30. Januar 1933 an die Macht kamen, schafften zwar sehr schnell die kommunale Selbstverwaltung der Berliner Bezirke ab, änderten aber ansonsten an der Verwaltungsstruktur Berlins wenig. Berlin behielt seine 20 Bezirke.
(Nachtrag: Erst 2001 trat eine Bezirksgebietsreform in Kraft, nach der nun aus 23 Bezirken 12 wurden.)