Erstveröffentlichung: NATURFREUNDiN, Mitgliedermagazin der NaturFreunde Deutschlands e.V. (Ausgabe 4-2005, Rubrik Zeitsprung, Seite 22)
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Autor: Oliver Kersten, Vorsitzender des historischen Beirates der NaturFreunde Berlin
ZEITSPRUNG
Charlotte Eisenblätter (1903-1944)
Eine mutige NaturFreundin, Arbeitersportlerin und Widerstandskämpferin “Wer seinem eigenen Volke im Kriege in den Rücken zu fallen sucht, muß unter allen Umständen damit rechnen, daß er sein Leben verwirkt hat. Dies muß insbesondere auch für die Angeklagte Eisenblätter gelten, die es vermocht hat, im dritten Kriegsjahr eine derart üble und gemeine Hetzschrift zu vervielfältigen, wie es der, Informationsdienst’ gewesen ist. Wenn die Angeklagte Eisenblätter nur das getan hätte, wäre sie schon deswegen allein des Todes würdig.” So urteilte der nationalsozialistische Volksgerichtshof und ließ sie am 25. August 1944 durch das Fallbeil im berüchtigten Zuchthaus Berlin-Plötzensee hinrichten.
Charlotte Eisenblätter wurde am 7. August 1903 in Berlin-Charlottenburg geboren. Vom Laufmädchen bei Siemens arbeitete sie sich zur Stenotypistin empor und erwarb sich in einem Berliner Anwaltsbüro eine Vertrauensstellung. Im Jahre 1922 brach sie mit der Kirche und soll sich der Sozialistischen Arbeiterjugend (SAJ) angeschlossen haben. Außerdem sympathisierte sie mit der Freidenkerbewegung und trat dem Berliner Touristenverein “Die Naturfreunde” bei, wo sie sich stark engagierte. Sie wurde dort schließlich ausgeschlossen und wechselte später zur Naturfreunde- und späteren Wandersparte im Arbeitersportverein “Fichte”, der von sich behauptete, der “größte rote Sportverein der Welt” zu sein. Eine enge Beziehung hatte sie zu Hans Schwalm, der später unter dem Pseudonym Jan Petersen mit seinem antinazistischen Buch “Unsere Straße” Weltberühmtheit erlangte und ebenfalls den Weg von den Naturfreunden zur “Fichte”
gefunden hatte.
Als konsequente Gegnerin des NS-Systems hörte Charlotte Eisenblätter heimlich “Feindsender” und las illegale Literatur, bevor sie zur Widerstandsgruppe um Beppo Römer und Robert Uhrig stieß. Hier erledigte sie Schreibarbeiten für den “Informationsdienst”. Dieser wurde von Römer herausgegeben und sollte die Leser über die Verbrechen des NS-Unrechtssystems aufklären. In ihrer Wohnung wurden Flugblätter verfasst und Briefe und Flugschriften, als Feldpostbriefe getarnt, an die Ostfront geschickt. Hierbei arbeitete sie eng mit dem Arbeitersportler Werner Seelenbinder zusammen, mit dem sie eine tiefe Freundschaft verband.
Im Sommer 1941 konnte die aus Schweden kommende Auslandsbeauftragte der KPD, Charlotte Bischoff, in Berlin mit Charlotte Eisenblätter in Verbindung treten und ihr geheimes Material überbringen. Für den illegal aus den Niederlanden eingereisten Instrukteur der KPDAuslandsleitung Alfred Kowalke beschaffte sie ein geheimes Quartier. Darüber hinaus ermöglichte sie ein geheimes Zusammentreffen von Alfred Kowalke mit Werner Seelenbinder, der Kowalke die Kontaktaufnahme mit Robert Uhrig ermöglichte. Durch Verräter wurde letztendlich das deutschlandweite Widerstandsnetz zerschlagen. Zahlreiche Personen, darunter auch Charlotte Eisenblätter, wurden durch die Gestapo festgenommen. Da sie bei den Verhören die alleinige Verantwortung für das Schreiben des “Informationsdienstes” auf sich nahm, rettete sie damit der Widerstandskämpferin Martha Butte das Leben. Nach monatelanger Untersuchungshaft musste sie im Frauenkonzentrationslager Ravensbrück Schwerarbeit
verrichten. Die KZ-Lagerleitung zwang sie außerdem, fremdsprachige Zeitungen für sie zu übersetzen.
Im Juni 1944 begannen schließlich die Prozesse gegen die Uhrig/Römer-Gruppe. Den Tod vor Augen, verfasste Charlotte Eisenblätter im Berliner Frauengefängnis in der Barnimstraße vor dem Prozess einen bewegenden Abschiedsbrief, der sich der Nachwelt erhalten hat. Dort versuchte sie, den Verwandten Mut zuzusprechen und forderte sie auf, nicht um sie zu trauern. Sie habe ein reiches Leben gehabt, “? wie es viele nicht haben, die 60 Jahre oder noch älter werden. Ich habe so viele glückliche Stunden genossen bei der Arbeit, im Freundeskreis und auf meinen Reisen. So ging mein Kampf letzten Endes nur dahin, allen Menschen zu solchen glücklichen Stunden zu verhelfen. Diese Erkenntnis gewann ich auf meinen vielen Wanderungen und Reisen, und glaubt mir, so sehr ich das Leben liebe, so gerne sterbe ich für diese meine Idee”. Eine Grabstätte hat das NS-Regime ihr verweigert.