Paula Fürst wurde am 6. August 1894 als zweites Kind eines jüdischen Kaufmanns in Glogau geboren. Nach dem frühen Tod des Vaters siedelte die Witwe mit ihren beiden Kindern 1906 nach Berlin über.
Die zwölfjährige Paula besuchte zunächst eine “Höhere Töchterschule”, die Margaretenschule in der Ifflandstraße, und wechselte dann zum Victoria-Luise-Oberlyceum in Wilmerdorf, wo sie 1914 ihre erste Lehrerinnenprüfung ablegte. Alle Bemühungen, eine Stelle als Lehrerin im Staatsdienst zu finden, schlugen fehl und so entschloß sie sich , an der Friedrich-Wilhelm-Universität zu Berlin Geschichte und Französisch zu studieren. Durch diese höhere Qualifikation versprach sie sich bessere Aussichten für den ersehnten Beruf als Lehrerin. 1923 beendete sie ihre Studien, jedoch wurde sie nicht im öffentlichen Dienst angestellt.
Während ihres Studiums hatte sie die Montessori – Pädagogik kennen gelernt , absolvierte Ausbildungskurse auf diesem Gebiet in Berlin und Rom und erwarb ein Diplom, das sie zur Führung von Montessori – Heimen und – Schulen berechtigte. Sie besuchte auch zu Informationszwecken Montessori – Schulen in Holland. 1925 war sie in einem Kinderhaus in Lichtenberg tätig, und als 1926 in Wilmersdorf die erste öffentliche Montessori – Klasse Berlins an der 9. Volksschule eröffnet wurde, übertrug man ihr deren Leitung. Sie engagierte sich auch in dem “Verein Montessori Pädagogik Deutschland”, der die Verbreitung dieser Pädagogik zum Ziel hatte. Im Rahmen dieser Tätigkeit hielt sie auch öffentliche Vorträge. Ihre berufliche Laufbahn fand 1933 ein jähes Ende, da die Montessori – Pädagogik von den Nazis verboten wurde, und Paula Fürst als Jüdin ihre Stellung an der Schule aufgeben musste.
Im gleichen Jahr wurde ihr die Leitung der Theodor – Herzl – Schule angetragen, die ihren endgültigen Sitz am Kaiserdamm gefunden hatte. Diese bereits 1922 vom jüdischen Schulverein gegründete Schule war die einzige zionistisch ausgerichtete Privatschule Berlins, die bis 1933 wie alle jüdischen Schulen in Berlin von untergeordneter Bedeutung war. Doch durch den schlagartig ausbrechenden Antisemitismus erfolgte ein Ansturm auf die wenigen jüdischen Schulen, der die Schulabteilung der “Reichsvertretung”, der Repräsentanz der deutschen Juden, und die leitenden Pädagogen vor große organisatorische und pädagogische Probleme stellte .
Hatte z.B. die Theodor – Herzl – Schule 1932 knapp 200 Schüler/innen, so schnellte diese Zahl auf 600 hoch. Diese organisatorische Problematik war relativ leicht zu bewältigen, doch schwieriger waren die pädagogischen Probleme. Der größte Teil der Kinder stammte aus assimilierten Familien, die kaum Verbindung zum Judentum und zum Zionismus gehabt hatten. Diese galt es zu integrieren. Auch galt es, das Lehrpersonal zu vergrößern und auszubilden, um den neuen pädagogischen Aufgaben sowohl quantitativ als auch qualitativ gewachsen zu sein. Das geschah alles in einer von Jahr zu Jahr immer feindlicher werdenden Umwelt. Es ist eine der größten Leistungen der jüdischen Selbstverwaltung – wie von den heute noch lebenden Schülern und Schülerinnen der jüdischen Schulen immer wieder bestätigt wird –, daß es dank der Einsatzbereitschaft der Pädagogen gelang, zumindest bis 1938 den jüdischen Kindern nicht nur eine humanistische Erziehung zuteil werden zu lassen,
sondern ihnen auch in den Schulen eine “Insel der Geborgenheit” zu verschaffen.
Paula Fürst als Leiterin der bedeutendsten und größten jüdischen Schule in Berlin hat einen entscheidenden Beitrag zu dieser positiven Entwicklung geleistet. Alle Zeitzeugen bestätigen, mit welcher Souveränität ,mit welchem Geschick und Einfühlungsvermögen es ihr gelang, nicht nur die Lehrkräfte zu einem neuen Lehrkörper umzubilden, dessen Hauptaufgabe – der Tradition der Schule entsprechend – die zionistische Erziehung war, sondern wie sie sich persönlich um die Integration der aus den verschiedensten Schichten stammenden Kinder kümmerte, enge Verbindung zu den Eltern hielt. So entstand – mit der Unterstützung ihrer engagierten Mitarbeiter – eine einmalige schulische Atmosphäre, die von gegenseitiger Achtung und Vertrauen geprägt war. Diese Schule war nicht nur Zufluchtsstätte, sondern ein Ort, wo die Kinder und Jugendlichen eine lebenslange Prägung erhielten und der sie sich mit Dankbarkeit erinnern, soweit sie in den nachfolgenden Jahren noch
aus ihrer Heimat Deutschland entkommen konnten. –
Der Pogrom von 1938 brachte auch eine entscheidende Wende in der Schulpolitik der Nationalsozialisten: sämtliche jüdischen Privatschulen mussten geschlossen werden, der neu gebildeten “Reichsvereinigung der Juden”, die unter unmittelbarer Aufsicht der Gestapo stand, wurde die alleinige Verantwortung für die Beschulung aller jüdischen Kinder übertragen. Leo Baeck, der Vorsitzende der” Reichsvereinigung”, bat Paula Fürst die Leitung der Schulabteilung in dieser Institution zu übernehmen. Sie war in dieser Stellung verantwortlich für sämtliche jüdischen Schulen in Deutschland. –
In den Monaten nach dem Pogrom befand sich das jüdische Schulwesen in einem chaotischen Zustand. Viele Eltern mit ihren Kindern versuchten dem Terror durch Emigration zu entkommen, auch Lehrer/innen flohen ins Ausland. Einzelne Schulen, besonders in der Provinz, mussten geschlossen werden, Lehrpersonal fehlte. Andererseits mussten die jüdischen Kinder, die bisher noch nicht jüdische öffentliche Schulen besucht hatten, in die bestehenden jüdischen eingegliedert werden. Auch die Binnenwanderung, d.h. der verstärkte Umzug jüdischer Familien aus der Provinz in die Großstädte, vorwiegend nach Berlin, nahm zu und warf schulische Probleme auf.
Paula Fürst gelang es dank ihrer Erfahrungen und eines herausragenden Organisationstalents, auch ihres Durchsetzungsvermögens, bis zum Herbst 1939 das jüdische Schulwesen neu zu strukturieren und die Beschulung der jüdischen Kinder zu gewährleisten. Sie war außerdem verantwortlich für die Aus – und Fortbildung der Lehrer/innen und deren Besoldung, für die Gestaltung der Lehrpläne, für den Ausbildungsetat, für die Festsetzung des Schulgeldes etc.
Alles musste unter der stringierenden Aufsicht der Gestapo geleistet werden. Jede einzelne Maßnahme musste genehmigt, jede Verfügung der Schulabteilung vorgelegt und jedes Zugeständnis abgerungen werden. Dabei hatte sich sicher auch das Verhandlungsgeschick von Paula Fürst bewährt, das schon in ihrer Zeit als Leiterin der Theodor – Herzl – Schule gerühmt wurde.
Im August 1939 begleitete Paula Fürst einen Kindertransport nach London. England hatte seine Einwanderungsbestimmungen gelockert und so konnten 10.000 jüdische Kinder einreisen. Obwohl ihre bereits emigrierten Freunde und Kollegen/Kolleginnen wie z. B. ihr ehemaliger Verwaltungsdirektor an der Theodor – Herzl – Schule, Dr. Deutschkron, ihr dringend rieten, die Chance zu nutzen und in England zu bleiben, kehrte sie nach Deutschland zurück. –
Mit dem Kriegsausbruch am 1.September 1939 begann eine neue Phase im Bereich des jüdischen Schulwesens. Zu dieser Zeit waren noch in Deutschland ca. 9.000 Kinder im schulpflichtigen Alter, die auf ca. 129 Volksschulen , einer Mittelschule und 6 Höheren Schulen unterrichtet wurden. Seit Jahren schon hatte sich das Erziehungsziel der jüdischen Schulen durch die Erkenntnis gewandelt, daß die deutschen Juden unerwünscht seien und Deutschland nach Möglichkeit zu verlassen hätten. Die Vorbereitung zur Auswanderung und eine entsprechende Berufsausbildung standen im Mittelpunkt der schulischen Bemühungen. Obwohl Paula Fürst in Aufsätzen im “Jüdischen Nachrichtenblatt” diese Leitsätze propagierte, standen der praktischen Umsetzung nach dem Kriegsausbruch erhebliche Schwierigkeiten im Wege. Nur wenigen gelang es noch, aus Deutschland zu entkommen und im August1941 wurde die Auswanderung verboten. –
Die immer bedrückender werdenden Lebensverhältnisse in den jüdischen Familien, die verstärkte Armut und die täglichen Erniedrigungen drangen auch in die Schulwelt ein. Wenn sich auch Paula Fürst mit ihren Mitarbeitern aufopfernd bemühte, ein geordnetes Schulwesen aufrecht zu erhalten – was im großen ganzen auch bis zum Herbst 1941 gelang – so waren die pädagogischen Ansprüche kaum noch durchzusetzen. Die Stigmatisierung der Juden durch den “Gelben Stern”, den auch die Kinder ab dem 6. Lebensjahr tragen mussten und vor allen Dingen die im September 1941 beginnenden Deportationen leiteten auch das Ende des jüdischen Schulwesens ein. Für Paula Fürst und ihre Mitarbeiter brach jetzt eine Zeit an, die höchste Anforderungen an ihre psychische und physische Verfassung stellte. Die Gestapo verlangte ständig, die Personalausgaben für das Erziehungswesen zu senken, so daß u.a. die Schülerzahlen pro Klasse drastisch erhöht wurden ( bis 50 ).
Ständig mussten Berichte und Statistiken vorgelegt werden, jeder einzelne, noch so unbedeutende Vorgang musste in persönlichen Rücksprachen mit den zuständigen Gestapobeamten erörtert werden. Paula Fürst hatte längst erkannt, daß eine pädagogische Arbeit nicht mehr möglich war. Trotzdem kämpfte sie gegen die Auflösungserscheinungen der Schulen an, weil sie den Kinder, deren Eltern in den Fabriken Zwangsarbeit leisten mussten, wenigstens in den Schulen einen Hort geben wollte, wo sie zeitweise geschützt und behütet waren. So erließ sie noch im März 1942 eine Verordnung, der den Unterricht am Sabbat einführte, um die Kinder damit länger in den Schulen halten zu können. Doch alle Bemühungen waren vergeblich: Das Regime verfügte die Schließung aller jüdischen Schulen zum 30.6.1942 . Die zu diesem Zeitpunkt noch schulpflichtigen jüdischen Kinder wurden wohl alle in den Vernichtungslagern getötet, auch ihre Lehrer/innen wurden durch einen besonderen Erlaß des
Reichsicherheitshauptamtes deportiert. –
Paula Fürst hat das Ende des jüdischen Schulwesens nicht mehr erlebt: Am 19.Juni 1942 umstellte die Gestapo das Gebäude der “Reichsvereinigung” in der Kantstr. und wählte etwa 50 Mitarbeiter für die Deportation aus, darunter führende Mitglieder wie Dr. Lilienthal, Paula Fürst und Cora Berliner. Wenige Tage später – vermutlich am 24.Juni – ist Paula Fürst zusammen mit den anderen Angehörigen der Reichsvertretung mit dem 16. sog. Osttransport deportiert worden. Das Bestimmungsziel dieses Transports ist nie bekannt geworden, und man hat nie wieder etwas von den 202 Insassen dieses Zuges gehört. Ihr Leben endete irgendwo in der blutgetränkten Erde Polens.
- Martin-Heinz Ehlert: Paula Fürst. Aus dem Leben einer jüdischen Pädagogin, Berlin 2005