Lilli Lehmann war als Opernsängerin bereits weltweit gefeiert, als sie 1891 zusammen mit ihrem Ehemann, dem weniger bekannten Hofopernsänger Paul Kalisch, in die gerade neu gegründete Villenkolonie Grunewald zog.
Sie war gerade von einem mehrjährigen Aufenthalt in New York nach Berlin zurückgekehrt. Obwohl ihre Freunde skeptisch waren, genoss sie das ruhige Leben in Grunewald und schrieb fast dreißig Jahre später ihre Memoiren in ihrem “Grunewald-Heim, dem ich trotz mancher Prophezeiung, ich würde es nicht vier Wochen darin aushalten, seit 29 Jahren treu geblieben bin und wo ich mich sehr glücklich fühlte.”
Über ihren Entschluss für die Villenkolonie Grunewald schrieb sie:
“‘Im Grunewald, im Grunewald ist Holzauktion’, so hieß das schöne Lied, das man in Berlin auf allen Straßen hörte, dessen tiefe Bedeutung mir erst klar werden sollte, als uns Regierungsbaumeister Solf einlud, ein soeben für Friedrich Dernburg von ihm vollendetes Landhaus im Grunewald zu besichtigen. Ohne dass wir ahnten, was sich hier in aller Stille entwickelt hatte, sahen wir staunend den Grunewald, den ich früher so oft zu Fuß durchwanderte, plötzlich für Koloniezwecke nutzbar gemacht, in Bauparzellen und Straßen eingeteilt. Hier also spielte sich die Grunewalder Holzauktion ab!
So schnell fanden wir Gefallen an dem noch ganz idyllischen Platz, dem hohen Waldbestand, dass es nur der Frage: ob noch Bauplätze unverkauft, und der bejahenden Antwort Solfs bedurfte, um mir zwei Parzellen zu sichern, die ich am nächsten Mittag bereits mein eigen nannte. Und ebenso schnell, als der Kauf abgeschlossen ward, zeichnete Solf die Pläne zu unserem Landhaus…”
Lilli Lehmann war in Prag aufgewachsen und hatte 1865 ihr Debut in der “Zauberflöte” am Prager Landestheater gegeben. 1870 wurde sie als Koloratursopranistin Mitglied der Berliner Hofoper. 1876 sang sie auf persönlichen Wunsch Richard Wagners bei der Welturaufführung des “Rings der Nibelungen” die Partien der Rheintöchter Woglinde und Helmwige sowie des Waldvogels. 1885 bis 1890 sang sie an der Metropolitan Opera in New York, danach auf persönlichen Wunsch Kaiser Wilhelms II wieder an der Berliner Hofoper. Seit dieser Zeit gab sie auch Gesangsunterricht. 1902 veröffentlichte sie das Buch “Meine Gesangskunst”. Es wurde in aller Welt gelesen. Seit 1916 hatte sie einen Lehrstuhl für Stilgesang inne. Als Konzert- und Liedsängerin trat sich noch bis 1920 auf. Ihre Stimme ist auf Schallplattenaufnahmen der Jahre 1905 bis 1907 überliefert.
Hier in der Villenkolonie freundete sich Lilli Lehmann mit dem Schriftsteller und Politiker Friedrich Dernburg und mit dem Philosophen Fritz Mauthner an. Durch ihn lernte sie auch Maximilian Harden kennen, der um 1900 die Villa des Ehepaares Lily und Heinrich Braun in der Wernerstraße 16 kaufte und dort einzog. Die drei Schriftsteller und Lilli Lehmann bildeten einen der vielen Freundeskreise in der Villenkolonie. Oswald Kohut hat darüber geschrieben:
“Diese vier kamen nun in regelmäßigem Wechsel in ihren Häusern zusammen. Wenn dann die Artikel fertig und von den Druckereien abgeholt waren, atmeten die Freunde auf und ergingen sich bis in späte Nachtstunden hinein in witzigen und geistvollen Gesprächen. Hierbei redete Harden Mauthner stets intim-respektvoll mit “Meister” an.”
Wenn man die vielen Berichte über Abendgesellschaften, Wohltätigkeitesveranstaltungen und Hauskonzerte in den großen Villen dazunimmt, dann stellt man fest, dass die Villenkolonie ein kommunikatives Zentrum war, nicht nur ein Wohnort zum Abschalten sondern eine kreative kulturelle Oase, in der Menschen zusammenkamen, oft bedeutende Persönlichkeiten, die ähnliche Interessen und Ambitionen hatten. Auffällig ist dabei, dass man oft über seine Fachkompetenzen hinausschaute und interdisziplinär interessiert war. Die Opernsängerin am Schriftsteller, der Physiker am Musiker und der Bankier am Künstler. Ob das heute hier auch noch so ist?
Das von Hermann Solf gebaute Wohnhaus wurde aufwendig restauriert und steht unter Denkmalschutz. Lilli Lehmann hatte in Amerika die dortige Landhausarchitektur kennen und schätzen gelernt und wollte Elemente davon in ihr Grunewalder Landhaus übertragen wissen. So sollte die Küche im Erdgeschoss liegen, das Treppenhaus zur Wohndiele erweitert sein, und viele, aber nur knapp vortretende Fenstererker sollten Räume und Fassaden beleben. Hermann Solf ließ dem leicht ansteigenden Gelände die Treppung der geklinkerten Einfriedungs- und Stützmauer mit überdachtem Eingang folgen und setzte in Korrespondenz dazu das geklinkerte Sockelgeschoss des Baus. Ebenso klar wie behutsam wirkt die funktionale Organisation der Wohnung nach außen – in knappen Wandvorsprüngen, sandsteinernen Fensterrahmungen, Erkerverdachungen und dem an die Außenwand gerückten Kamin der Diele. Als Blickfang wirkt das ebenfalls zu Wohnzwecken genutzte Dach, das in seinen Aufbauten lebhaft gestaltet ist.
Solf gehört zu den vielbeschäftigten Grunewwald-Architekten wie die prominenten Alfred Messel, Hermann Muthesius, Otto March, Ernst Ihne, Franz Schwechten oder die weniger bekannten Eduard Bangert, Arnold Hartmann, Ewald Becher und Heinrich Franßen.