Wer wohnte also nun in diesen Villen? Wenn wir die prominenten Bewohner Revue passieren lassen, an die heute zum Teil mit Gedenktafeln erinnert wird, dann waren das Bankiers und bedeutende Mäzene wie Felix Koenigs, Carl Fürstenberg, Robert und Franz von Mendelssohn, Verleger und Intellektuelle wie Samuel Fischer, die Brüder Franz, Hermann, Louis und Hans Ullstein, Alfred Kerr, Maximilian Harden und Walther Rathenau, Schriftsteller wie Gerhart Hauptmann, Hermann Sudermann, Vicki Baum und Lion Feuchtwanger, Wissenschaftler wie Max Planck, Adolf von Harnack, Werner Sombart, Hans Delbrück, Karl Abraham, Karl Bonhoeffer und Ferdinand Sauerbruch, Film- und Theaterleute wie Max Reinhardt, Albert Bassermann, Friedrich Murnau, Isadora Duncan und Engelbert Humperdinck.
Brigitte Bermann Fischer, die 1905 geborene Tochter des Verlegers Samuel Fischer hat in ihren Lebenserinnerungen ausführlich das Haus ihrer Familie als Ort intellektueller Gastlichkeit beschrieben. Nicht nur die berühmten Fischer-Autoren waren hier zu Gast. Thomas Mann traf hier Albert Einstein, Gerhard Hauptmann Walther Rathenau, und manchmal spielten die Berliner Philharmoniker hier in kleiner Besetzung.
Nicolaus Sombart hat in seinem Buch “Jugend in Berlin” den großbürgerlichen Lebensstil in den Grunewaldvillen eindrucksvoll beschrieben. Konstitutiv für diesen Lebensstil waren in seinem Erleben die Dienstboten, die einen nicht unerheblichen Teil der Bewohnerinnen und Bewohner der Villenkolonie Grunewald ausmachten.
Sombart hat den großbürgerlichen Lebensstil nicht nur erlebt im Haus seiner Eltern, des berühmten Soziologen Werner Sombart und seiner als Gastgeberin berühmten jungen rumänischen Mutter:
“Was ich an Reichtum, an kostbaren Sammlungen, an gepflegter Geselligkeit, an vornehmer Lebensform erlebt hatte, hatte ich in den Häusern der jüdischen Familien gesehen, in denen meine Eltern verkehrten und in denen ich, als aufgeweckter, frühreifer Knabe … Zutritt fand.
Das begann in den Jahren, in denen ich eine Privatklasse im Mendelssohnschen Palais besuchte, wo ich zwar noch nicht die Rembrandts und van Dycks in der großen Halle zu identifizieren wusste, aber sehr beeindruckt war von der Livree der würdigen Diener, die uns in den Unterrichtssaal führten, und endete mit meinen Besuchen bei der alten Edith Andreae, der Schwester von Walther Rathenau, in dessen Haus an der Koenigsallee, die mich zum Tee einlud, um mir – noch 1938 – ihre unermesslichen Schätze an bibliophilen Kostbarkeiten zu zeigen.”
Aber es war nicht nur die gepflegte Geselligkeit, die aus der Villenkolonie Grunewald einen Ort der Kreativität machte, es war insbesondere auch das Mäzenatentum des meist jüdischen Bürgertums. So stellte etwa der Bankier Hermann Rosenberg für mehrere Jahre dem damals noch nicht so populären Maler Walter Leistikow eine Holzvilla auf seinem Grundstück am Dianasee zur Verfügung, wo die meisten von Leistikows berühmten Grunewald-Bildern entstanden.
In der schlossartigen Villa Franz von Mendelssohns am Herthasee fanden häufig Wohltätigkeitskonzerte statt, und es gab in den Jahren vor 1933 wohl kaum einen Künstler von Rang, der in Berlin konzertiert hätte und hier nicht zu Gast war: Edwin Fischer, Bruno Eisner, Rudolf Serkin, der junge Yehudi Menuhin, und auch Albert Einstein demonstrierte hier seine musikalischen Talente für gute Zwecke. Selbst Kaiser Wilhelm II war hin und wieder zu Gast bei Veranstaltungen in der Mendelssohn-Villa.
Die wichtigste Rolle bei der Organisation des geselligen und gesellschaftlichen Lebens in der Villenkolonie spielten die Frauen. Sie gestalteten gemeinsam mit den Dienstboten, die sie beaufsichtigten, die repräsentativen Haushalte und kümmerten sich als Gastgeberinnen um alle Details, die für das Gelingen der Nachmittage und Abende wichtig waren. Aniela Fürstenberg beispielsweise, die Frau des Bankiers Carl Fürstenberg, war berühmt für ihre originellen Tischordnungen, bei denen sie Persönlichkeiten aus den verschiedensten Bereichen miteinander in Kontakt brachte. Auch bei ihr war die Organisation des gesellschaftlichen Lebens eng verbunden mit sozialem Engagement. In Westend gründete sie ein Säuglings- und Mütterheim für mittellose und ledige Mütter.
Wenn man die vielen Erinnerungsbücher aus Grunewalder Villen ließt, dann bekommt man nicht den Eindruck, dass ein beruflich erfolgreiches Finanz- und Bildungsbürgertum sich hier in Ruhe in seine Privatsphäre zurückziehen wollte. Im Gegenteil: In den privaten Häusern wurde ein reges, gesellschaftliches Leben inszeniert und häufig geradezu zelebriert. Man handelte nicht zuletzt nach der Devise: Tue Gutes und rede davon.
Gelegentlich wird dieses außerordentliche mäzenatische, sozial- und kulturpolitische Engagement des arrivierten und assimilierten jüdischen Großbürgertums erklärt mit der trotz aller finanziellen Erfolge ungestillten Sehnsucht nach Anerkennung und vollständiger Integration durch Gesellschaft und Staat des Deuten Kaiserreichs und der Weimarer Republik. Aber vielleicht kommt auch Nicolaus Sombart einer Erklärung nahe, wenn er für sich selbst erklärt, welche Lebenshaltung er in der Villenkolonie Grunewald gelernt hat: “Ich kann sagen, dass ich im Salon meiner Mutter und der Bibliothek meines Vaters aufgewachsen bin. Seitdem ist mir die Beschäftigung mit Büchern und der Umgang mit geistig bedeutenden, interessanten Menschen eine Lebensnotwendigkeit.”