Sehr geehrter Herr Hoffmann!
Sehr geehrte Damen und Herren!
Als ich heute früh ins Rathaus kam, haben mich einige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gefragt, was dieses Herz bedeuten soll. Sie schienen etwas ratlos zu sein und konnten mit der Installation zunächst nichts anfangen. Ich habe ihnen geraten, den Text zu lesen und sich dann ihre eigenen Gedanken zu machen.
Ich kann gut verstehen, dass die Skulptur und der dazugehörige Text an diesem Ort zunächst auf Unverständnis stößt und Befremden auslöst.
Hier geht es um Liebe und Hass, also um die stärksten menschlichen Gefühle. Aber in einem Rathaus erwartet niemand Gefühle. Die Beschäftigten und auch die Besucherinnen und Besucher wissen: Hier geht es um Zahlen und Fakten, um Ansprüche und Bewilligungen, um Gesetze und ihre Durchführung. Wer hier arbeitet, der hat unparteiisch und neutral zu sein, der muss nach Recht und Gesetz entscheiden ohne Ansehen der Person. Gefühle haben hier keinen Platz.
Aber ist das wirklich so? Können wir unser Empfinden, unsere Anteilnahme, unsere Liebe und unseren Hass wirklich zuhause lassen, wenn wir zur Arbeit gehen? Vielleicht ist das für viele schwerer als sie zeigen. Vielleicht fällt ihnen ihre Arbeit schwer, weil sie ihren Gefühlen nicht folgen können, wenn sie zu unrecht beschuldigt werden, wenn sie Hilfe verweigern müssen, obwohl sie gerne helfen würden, wenn sie Entscheidungen gegen ihre Gefühle treffen müssen.
Vielleicht konfrontiert uns diese Installation an diesem Ort ja gerade mit dem, was wir hier sonst mit großer Mühe von unserem Arbeitsplatz fernhalten.
Aber neben dieser persönlichen Dimension hat dieses Herz ja auch eine politische Dimension – gerade hier, vor der Gedenkstätte im Rathaus Charlottenburg. Diese Gedächtnishalle wurde nach dem Ersten Weltkrieg von Heinrich Seeling geschaffen, und auf der hinteren Wand sind die Namen und Berufe der im Krieg gefallenen Charlottenburger zu lesen. Nach dem Zweiten Weltkrieg reichte der Platz nicht mehr aus, um alle Namen der Gefallenen aufzunehmen. Deshalb wurde die Halle jetzt zusätzlich ganz allgemein “Den Opfer der Gewaltherrschaft 1933 – 1945” gewidmet.
Wir werden hier also an unsere Geschichte erinnert und an die Verantwortung, die für uns daraus erwächst, uns für Frieden, Demokratie und Menschenrechte einzusetzen.
In meinem Amt als Bezirksbürgermeisterin habe ich zwar auch vor allem mit Zahlen und Fakten, häufig mit Geld und noch häufiger mit nicht vorhandenem Geld zu tun, aber es vergeht auch kaum ein Tag, an dem ich nicht mit unserer Geschichte konfrontiert werde und mit den Lehren, die daraus zu ziehen sind.
Heute zum Beispiel habe ich einen jüdischen Gast begrüßt, der in Wilmersdorf aufgewachsen ist, der seine Heimat nach 1933 verlassen musste, der vor 15 Jahren den Aufbau des jüdischen Bildungszentrums unterstützt hat und der jetzt zum ersten Mal mit seiner Familie in seine alte Heimat kommt.
Kurz danach habe ich einen Beitrittsantrag für unseren Bezirk zur Initiative “Mayors for Peace” ausgefüllt und abgeschickt. Die Konferenz der Bürgermeister für den Frieden wurde 1982 auf Initiative der Städte Hiroshima und Nagasaki in der Überzeugung gegründet, dass sich die Katastrophe der Atombombe niemals wiederholen darf. Inzwischen sind bald 5.000 Städte in aller Welt Mitglied dieser Initiative. Unsere Partnerstadt Mannheim ist seit 1990 Mitglied der Initiative und hat seinen Partnerstädten einen Aufruf des Vorsitzenden der Konferenz der Bürgermeister für den Frieden, Matsui Kazumi, Bürgermeister der Stadt Hiroshima, übermittelt und uns gebeten, ebenfalls beizutreten und damit unser Engagement für eine friedliche Welt zu bekräftigen. Das habe ich gerne getan, um damit unserem Wunsch nach Frieden und nach Abschaffung der Kernwaffen Ausdruck zu verleihen.
Wenn ich morgen nach Mannheim reise, kann ich mich bei meinem Kollegen für seine Anregung bedanken und ihm mitteilen, dass Charlottenburg-Wilmersdorf jetzt auch Mitglied ist.
Sie sehen also: Nicht nur auf der persönlichen Ebene, sondern auch auf der politischen Ebene haben wir hier im Rathaus mit Krieg und Frieden, mit unserer Geschichte – und am Ende natürlich auch mit Liebe und Hass zu tun, denn unsere Gefühle können wir nicht zuhause lassen.
Deshalb ist diese Installation hier – glaube ich – durchaus an der richtigen Stelle, und wenn sie Fragen und vielleicht manchmal auf Befremden auslöst, dann ist der Zweck erreicht, und alle, die hier vorbeikommen, können und sollen sich ihre eigenen Gedanken dazu machen.