Sehr geehrter Herr Ruschin!
Sehr geehrter Herr Prof. Elsner!
Sehr geehrter Herr Müntzer!
Sehr geehrte Damen und Herren!
Herzlichen Dank für die Einladung zu dieser Gedenktafelenthüllung. Ich habe mich sehr darüber gefreut, und ich freue mich, dass ich dabei sein kann.
Den meisten von uns ist Steffie Spira noch präsent von ihrer großen Rede am 4. November 1989 auf dem Alexanderplatz und von ihren Diskussionsbeiträgen in den Tagen und Wochen danach. Sie hat an der Bürgerrechtsbewegung in der DDR großen Anteil genommen.
Weniger bekannt war zumindest uns im Westteil Berlins ihre frühere Lebensgeschichte, und viele waren überrascht darüber, dass sie wie Ernst Busch und Erich Weinert auch einmal hier in der Künstlerkolonie gelebt hat. Dabei ist sie in gewisser Weise eine typische Vertreterin dieser Künstlerkolonie. Die Künstlerkolonie wurde gleich nach ihrem Bau seit 1927 durch die Bühnengenossenschaft und den Schutzverband deutscher Schriftsteller zu einem bedeutenden kulturellen Zentrum, und die Nationalsozialisten wussten sehr wohl, weshalb sie eine ihrer ersten Razzien und Bücherverbrennungen am 15. März 1933 hier veranstalteten.
Die meisten der hier lebenden Künstler und Intellektuellen waren aktive Gegner der Nationalsozialisten. Sie verstanden sich als links und hatten sich für eine Einigung der gespaltenen Linken eingesetzt. Viele von ihnen wurden damals verhaftet. Die meisten sind noch im gleichen Jahr 1933 aus der Künstlerkolonie und aus Deutschland geflohen.
Viele von ihnen kehrten nach dem Krieg zurück und gingen voller Hoffnung in die DDR, um dort beim Aufbau eines besseren, sozialistischen Deutschlands zu helfen, gerieten aber nach einigen Jahren mit dem Staatssozialismus in Konflikt und verließen ihr Heimatland erneut, um in der Bundesrepublik Zuflucht zu finden. Alfred Kantorowicz gehörte dazu, Wolfgang Leonhardt, Ernst Bloch und Peter Huchel. Andere starben in der Emigration wie Walter Hasenclever oder kamen nach dem Krieg gleich in die Bundesrepublik wie Axel Eggebrecht.
Als Linke, die sich zwar vom doktrinären Kommunismus abgewandt aber ihre sozialistischen Grundüberzeugungen keineswegs aufgegeben hatten, saßen sie zwischen allen Stühlen und wurden nach 1945 in Ost und West gleichermaßen misstrauisch bis ablehnend beobachtet.
Viele ehemalige Bewohner der Künstlerkolonie wurden zu überzeugten Verfechtern menschlicher Freiheit und zu scharfen Kritikern jeder totalitären Ideologie, die diese Freiheit einzuschränken sucht.
Steffie Spira wurde am 2. Juni 1908 in Wien als Tochter eines Schauspielerehepaares geboren. Sie spielte seit 1928 an der Berliner Volksbühne. 1931 heiratete sie den Regisseur Günther Ruschin, trat in die KPD ein und zog hierher in die Künstlerkolonie, wo sie bis zur ihrer Emigration in die Schweiz 1933 lebte.
Sie emigrierte 1933 von hier über die Schweiz und Frankreich nach Mexiko, kehrte 1947 nach Deutschland zurück und wurde zur erfolgreichen Theater- und Filmschauspielerin in der DDR. Als Volksschauspielerin prägte sie die Theater- und Filmkultur der DDR.
Sie war eine überzeugte Kommunistin. Aber gerade deshalb fiel es ihr wohl immer schwerer zu ertragen, was die DDR aus ihrem Kommunismus machte. Und so kritisierte die 81jährige Schauspielerin am 4. November 1989 auf dem Alexanderplatz vor rund einer Million Menschen die Arroganz der Macht und verlangte Freiheit für ihre Nachkommen: “lch wünsche für meine Urenkel, dass sie aufwachsen ohne Fahnenappell, ohne Staatsbürgerkunde, und dass keine Blauhemden mit Fackeln an den hohen Leuten vorübergehen”. Sie forderte die “hohen Leute” der DDR zum Abtreten auf und wurde dafür bejubelt.
Ich bin froh, dass wir heute an ihrem früheren Wohnhaus in der Künstlerkolonie eine Gedenktafel für Steffie Spira enthüllen können. Und ich danke allen, die das möglich gemacht haben, vor allem Prof. Dr. Jürgen Elsner, dem Vorsitzenden des Freundeskreis Ernst Busch e.V., der vor einem Jahr die Spendenaktion für diese Tafel initiiert und sie dann auch erfolgreich durchgeführt hat.