Rede der Bezirksbürgermeisterin Monika Thiemen zur Einbürgerungsfeier am Donnerstag, dem 6.3.2008, um 19.00 Uhr im BVV-Saal im Rathaus Wilmersdorf

Rede der Bezirksbürgermeisterin Monika Thiemen

Zur Einbürgerungsfeier am Donnerstag, dem 6.3.2008, um 19.00 Uhr im BVV-Saal im Rathaus Wilmersdorf

Sehr geehrte Damen und Herren!

Herzlich willkommen im Rathaus Wilmersdorf und herzlich willkommen als deutsche Bürgerinnen und Bürger im Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf. Ich freue mich, dass Sie sich dafür entschieden haben, die deutsche Staatsbürgerschaft anzunehmen. Sie haben damit zum Ausdruck gebracht, dass Sie gerne in unserem Land leben, dass Sie sich in Berlin und wie ich hoffe auch in unserem Bezirk wohl fühlen.
Ich hoffe, dass Sie sich als deutsche Staatsbürger auch aktiv in diese Gesellschaft einbringen und in unserer Demokratie mitwirken. Das heißt, dass Sie wählen gehen, wenn eine Wahl ansteht.
Es heißt aber auch, dass Sie sich einmischen, mitdiskutieren, uns Politikern auf die Finger schauen. Aber wenn Sie sich in unserer Gesellschaft engagieren wollen, dann gibt es natürlich nicht nur die Politik. Es gibt Vereine, Bürgerinitiativen und viele andere Organisationen in denen ehrenamtlich für das Gemeinwohl gearbeitet wird. Und es gibt auch ganz private Initiativen, sich für seine Umgebung einzusetzen.
Wir unterstützen ehrenamtliches Engagement auf vielfältige Weise. Wir verleihen unsere Bürgermedaille oder auch den Ehrenamtspreis für besonderes ehrenamtliches Engagement. Wir wissen aber auch, dass viele sich im Stillen engagieren, ohne dass wir davon erfahren und ohne dass Lob und Anerkennung dafür gegeben wird.
Unsere Gesellschaft wäre um vieles ärmer, wenn es diese vielfältigen Aktivitäten nicht gäbe, sei es im Sport, im sozialen Bereich, in der Kultur, für die Umwelt oder eben auch in der Politik.
Leider hat Politik bei vielen in unserem Land insgesamt einen schlechten Ruf, und Politiker sind meist nicht sehr beliebt. Vielleicht hängt das damit zusammen, dass Politik immer mit Streit verbunden ist, mit dem Streit um den richtigen Weg. Aber dieser Streit ist das Grundelement der Demokratie. Und wenn dieser Streit mit guten Argumenten ausgetragen wird, dann führt er meistens zu einem Kompromiss. Mit dem Kompromiss sind zwar oft beide Seiten nicht mehr ganz zufrieden. Aber am Ende sind Kompromisse fast immer die besseren Lösungen, besser jedenfalls als die radikalen Lösungen der Ideologen.

Streitkultur ist eine der wichtigsten Grundlagen unserer Gesellschaft. Denn erst durch den Streit der Argumente werden Lösungen gefunden, die für alle akzeptabel sind. Unser Grundgesetz und unsere Rechtsordnung bieten eine gute Grundlage für den friedlichen Meinungsstreit.
Wir sollten für unsere Demokratie eintreten und – wenn nötig – mit friedlichen Mitteln kämpfen. Wir sollten sie uns nicht nehmen lassen von Extremisten, die meinen, sie seien im Besitz der absoluten Wahrheit und die ihre Kultur und ihre Lebensauffassung mit Gewalt allen Menschen aufzwingen wollen.
Deshalb braucht jede Demokratie aktive Demokraten. Sie braucht die Unterstützung der Bürgerinnen und Bürger.
Wir haben in unserer Geschichte gelernt, dass Demokratie nichts Selbstverständliches ist, sondern dass wir uns immer aktiv für sie einsetzen müssen.
Demokratie bedeutet nicht nur die Herrschaft der Mehrheit, sondern Demokratie bedeutet auch Rechtsstaatlichkeit, Schutz der Minderheiten, Toleranz und Vielfalt der Kulturen. Berlin hat sich nicht zuletzt deshalb so erfolgreich entwickelt, weil hier schon seit Jahrhunderten verschiedene Kulturen friedlich zusammen existieren. Die Nationalsozialisten haben diese Entwicklung mit ihrer brutalen Politik der Ausgrenzung unterbrochen.
Aber wir wissen: Berlin hat einen großen Teil seiner erfolgreichen Entwicklung den Ausländerinnen und Ausländern zu verdanken, die sich hier angesiedelt haben, die sich integriert haben, die unsere Stadt mit geprägt haben.
Die ersten Bewohner Charlottenburgs waren die Kammertürken Ali und Hassan. Sie haben die ersten Häuser gebaut in der Stadt, die 1705 von König Friedrich I. gegründet wurde.
Auch heute ist das friedliche Neben- und Miteinander der verschiedenen Kulturen in unserem Land eine entscheidende Grundlage für unser Wohlergehen und für eine erfolgreiche wirtschaftliche, kulturelle und gesellschaftliche Entwicklung.
In unserem Land sollen sich die Menschen mit ihrem jeweils unterschiedlichen kulturellen Hintergrund frei entfalten können. Für uns alle ist es wichtig, dass wir gemeinsam die Regeln des Zusammenlebens akzeptieren, wie sie in unserem Grundgesetz festgelegt sind. Dazu gehört die Gleichberechtigung von Mann und Frau, und dazu gehört die Freiheit der Religionsausübung.
Alle Menschen sind gleich viel wert – völlig unabhängig davon, ob sie sich einer Religion verpflichtet fühlen oder nicht.
Der türkische Ministerpräsident Erdogan hat vor einigen Tagen bei seinem Besuch in Deutschland Assimilation als ein “Verbrechen gegen die Menschlichkeit” bezeichnet. Ehrlich gesagt habe ich nicht verstanden, was er damit meinte: Wir erwarten bei der Einbürgerung keine Assimilation sondern freuen uns im Gegenteil über die kulturelle Vielfalt, die unser Grundgesetz ausdrücklich schützt. Unser Land kann er also nicht gemeint haben. Andererseits ist es sicherlich auch kein Verbrechen, wenn jemand aus freien Stücken den Entschluss fasst, sich der Kultur des Landes, in dem er lebt, weitgehend anzupassen.
Wen also hat Herr Erdogan gemeint? Wer sollte sich angesprochen fühlen? Wenn er seine Bemerkung als Mahnung an sein eigenes Land formuliert hätte, dann wäre sie für mich verständlich gewesen.
Der Umgang der Türkei mit Minderheiten wie den Kurden oder den Armeniern war und ist nicht gerade vorbildlich. Selbst Muslime können ihre Religion in mancher Hinsicht bei uns in Deutschland freier ausüben als in der Türkei.
Zu den Garantien unseres Grundgesetzes gehört die Gleichberechtigung von Mann und Frau. Übermorgen, am 8. März wird weltweit der Internationale Tag der Frau begangen. Und bei uns in Charlottenburg-Wilmersdorf gibt es im gesamten Monat März eine große Zahl von Veranstaltungen speziell für Frauen. Dieser “Frauenfrühling” wird von unserer Frauenbeauftragten organisiert, und eine der Veranstaltungen ist der Kiezspaziergang, den ich am Sonnabend, dem 8. März durchführe. Treffpunkt ist um 14.00 Uhr auf dem Breitscheidplatz an der Gedächtniskirche. Und natürlich wird es um starke Frauen in Charlottenburg-Wilmersdorf gehen.
Ziel ist das Unternehmerinnen- und Gründerinnenzentrum Charlottenburg-Wilmersdorf UCW, wo an diesem Tag eine Frauenmesse und ein Unternehmerinnentag stattfindet. Sowohl beim Kiezspaziergang als auch bei der Frauenmesse sind selbstverständlich auch Männer willkommen, und ich lade Sie alle herzlich dazu ein.
Die Kiezspaziergänge mache ich einmal im Monat, immer am zweiten Sonnabend, ab 14.00 Uhr. Sie sind sehr beliebt, und ich kann sie Ihnen sehr empfehlen, wenn Sie Ihren Bezirk möglichst genau kennen lernen wollen und wenn Sie vor großen Menschenmengen nicht erschrecken, denn wir sind meistens zwischen 200 und 300 Personen, und ich brauche einen Lautsprecher, damit ich verstanden werde.

Sie haben sich für die deutsche Staatsbürgerschaft entschieden und damit vermutlich nicht für den Abschied von Ihrer Kultur. Ich hoffe, dass aus dem uninteressierten Nebeneinander ein informiertes Miteinander wird, dass aus Toleranz Neugierde wird und aus Gleichgültigkeit Anteilnahme. Wir wollen zusammenleben, ohne unsere Unterschiede zu verleugnen. Wir wollen keinen Kampf der Kulturen, sondern wir wollen eine multikulturelle Gesellschaft, in der die verschiedenen Kulturen miteinander ins Gespräch kommen, sich gegenseitig bereichern und im Gespräch bleiben. Lassen Sie uns gleich heute damit beginnen. In diesem Sinne wünsche ich uns allen noch einen schönen Abend und Ihnen alles Gute für Ihre Zukunft als Deutsche.