Rede der Bezirksbürgermeisterin Monika Thiemen zum 20. Juli am 20.7.2007

Rede der Bezirksbürgermeisterin Monika Thiemen

Zur Kranzniederlegung am 20.7.2007 am Gedenkstein für die Opfer des Nationalsozialismus am Steinplatz

Sehr geehrte Frau Vorsteherin!
Sehr geehrte Frau Dr. Rehfeld!
Sehr geehrte Damen und Herrn!

“Man kann nun sagen, daß ich ein Landesverräter bin, aber das bin ich in Wirklichkeit nicht, ich halte mich für einen besseren Deutschen als alle die, die hinter Hitler herlaufen. Mein Plan und meine Pflicht war es, Deutschland und die Welt von dieser Pest zu befreien.”
Diese Sätze stammen von Generalmajor Hans Oster, der mit seiner Familie in der Bayerischen Straße 9 in Wilmersdorf lebte, wo seit 1990 eine Gedenktafel an den Widerstandskämpfer erinnert.
Das Zitat macht eindringlich den Gewissenskonflikt deutlich, in dem die Widerstandskämpfer sich befanden, die das Attentat auf Hitler planten und schließlich vor 63 Jahren am 20. Juli 1944 durchführten. Als Militärs waren sie dazu verpflichtet, notfalls mit ihrem Leben für ihr Land einzustehen. Dass dies auch bedeuten konnte, sich gegen die eigene Regierung, gegen den Diktator zu stellen, der das Land in die Katastrophe geführt hatte, das war eine äußerst schmerzhafte Erkenntnis, und wir wissen nicht, wie wir uns damals verhalten hätten.
Im Juli 1944 war die militärische Niederlage nur noch eine Frage der Zeit. Eine Abwendung der Katastrophe war auch durch die Beseitigung Hitlers kaum noch denkbar. Entsprechende Kontakte der Widerstandskämpfer mit den Alliierten blieben erfolglos.
Henning von Tresckow hat Anfang Juli in dieser verzweifelten Situation dennoch dafür plädiert, an den Attentatsplänen fest zu halten, “um der Welt zu beweisen, daß die deutsche Widerstandsbewegung den entscheidenden Wurf gewagt hat.”
Tresckow hat gemeinsam mit Erich Hoepner in dem Militärverwaltungsgebäude an der Bundesallee 216, dem späteren Bundeshaus, gearbeitet. Auch dort erinnert eine Gedenktafel an die beiden Widerstandskämpfer.
Die Widerstandskämpfer sind letztlich erfolglos geblieben. Aber ihre Tat war nicht vergebens. Sie haben der Welt bewiesen, dass es auch ein anderes Deutschland gab, und sie sind Vorbilder geworden als mutige Menschen, die auch in einer verzweifelten Situation auf ihr Gewissen hörten und ihr Leben eingesetzt haben.
Wir erinnern an sie als Vorbilder, auf die sich nicht nur unsere Bundeswehr, sondern unsere Gesellschaft insgesamt berufen kann.
Es ist schön, dass auch Hollywood sich jetzt mit einem großen Filmprojekt dem Widerstand gegen Hitler widmet und ihn voraussichtlich weltweit bekannt machen wird. Als weniger schön empfinden wir es, dass Graf Stauffenberg ausgerechnet von einem Schauspieler verkörpert werden soll, der an führender Stelle für die Scientology-Organisation arbeitet und bei jeder sich bietenden Gelegenheit Werbung für sie betreibt. Die Scientology-Organisation mit ihrer autoritären Struktur und ihren abstrusen Welteroberungsplänen ist bestimmt keine arme, verfolgte Kirche, als die sie sich gerne darstellt. Deshalb müssen wir entschieden widersprechen wenn Tom Cruise oder andere Scientology-Vertreter den Widerstand gegen Hitler für ihre eigenen Ziele instrumentalisieren wollen.
Der 20. Juli steht für uns heute nicht nur für den militärischen Widerstand und das Attentat auf Hitler, sondern er steht für den Widerstand insgesamt, der sehr vielfältig war, wie wir inzwischen wissen. Und er war keineswegs immer erfolglos.
Die schwedische Gemeinde hat beispielsweise an ihrer Kirche in der Landhausstraße in unserem Bezirk eine Gedenktafel enthüllt, die an zwei mutige Polizisten des Wilmersdorfer Polizeireviers 155 erinnert, “die Verfolgten des NS-Regimes aufopferungsvoll geholfen haben”, wie es auf der Tafel heißt.
Hans Rosenthal und Inge Deutschkron haben eindringlich darüber berichtet, wie ihnen als verfolgten jüdischen Deutschen von mutigen nichtjüdischen Deutschen geholfen wurde. Diese beiden Beispiele aus unserem Bezirk ließen sich durch viele andere ergänzen.
Viele Menschen haben diese Beweise der Menschlichkeit für selbstverständlich gehalten, aber sie waren in der damaligen Situation lebensgefährlich und sie waren Akte des Widerstands gegen ein menschenverachtendes Regime.
Wir dürfen die nationalsozialistischen Verbrechen nicht vergessen, aber wir müssen auch die Erinnerung an den Widerstand wach halten. Deshalb erinnern wir am 20. Juli an die Menschen, die im Widerstand gegen die NS-Diktatur ihr Leben verloren haben, und an diejenigen, die ihr Leben riskierten und gegen die Unmenschlichkeit des Regimes Menschlichkeit bewiesen.
Die Erfahrung des Widerstands lehrt uns, dass eine freiheitliche Demokratie keine Selbstverständlichkeit ist, sondern dass sie von engagierten, aktiven Demokraten lebt. Die Widerstandskämpfer des 20. Juli waren keine Landesverräter.
Im Gegenteil: Wir verneigen uns heute vor den mutigen Menschen, die ihrem Gewissen gefolgt sind und vor aller Welt für das bessere Deutschland eingestanden sind.