Rede des Bezirksbürgermeisters Andreas Statzkowski zur Eröffnung des Preußenjahres in Charlottenburg-Wilmersdorf am 25.1.2001

Rede des Bezirksbürgermeisters Andreas Statzkowski

Zur Eröffnung des Preußenjahres in Charlottenburg-Wilmersdorf am 25.1.2001

Sehr geehrter Herr Prof. Börsch-Supan!
Sehr geehrte Damen und Herrn!

Über Preußen ist schon alles gesagt, habe ich diesertage gelesen. Besonders gut gefällt mir ein Gedicht des Charlottenburgers Joachim Ringelnatz:

Die Schnupftabakdose

Es war eine Schnupftabakdose,
Die hatte Friedrich der Große,
Sich selbst geschnitzelt aus Nußbaumholz.
Und darauf war sie natürlich stolz.

Da kam ein Holzwurm gekrochen
Der hatte Nußbaum gerochen.
Die Dose erzählte ihm lang und breit
Von Friedrich dem Großen und seiner Zeit.

Sie nannte den alten Fritz generös.
Da aber wurde der Holzwurm nervös
Und sagte, indem er zu bohren begann:
“Was geht mich Friedrich der Große an!”

Ist es wirklich so, dass Preußen uns nichts mehr angeht?

Der Spiegel hat in dieser Woche 300 Jahre Preußen auf das Titelblatt gesetzt, mit dem Untertitel “Das zwiespältige Erbe”. Allerdings ist er diesem Untertitel kaum gerecht geworden, denn im Heft ist dann doch ein lupenreiner Verriss zu lesen. Gewiss, niemand wird heute bestreiten, dass Preußen in der deutschten Geschichte eine problematische Rolle gespielt hat. Aber ein etwas differenzierteres Bild haben wir schon.

Der Beginn Preußens ist klar datierbar: Am 18. Januar 1701 setzte sich Kurfürst Friedrich III in Königsberg die Krone auf und wurde damit zum König in Preußen. Aus dem Kurfürstentum Brandenburg war das Königreich Preußen geworden.

Schwieriger ist es mit dem Ende. Auf den Tag 170 Jahre nach der Krönung, am 18. Januar 1871 wurde im Spiegelsaal von Versailles das Deutsche Reich proklamiert. Der preußische König Wilhelm I wurde zusätzlich deutscher Kaiser, aber er war davon nicht begeistert. Am Vorabend beklagte er sich: “Morgen ist der unglücklichste Tag meines Lebens. Da tragen wir das preußische Königtum zu Grabe.”

Damit hatte er nicht ganz unrecht, aber die meisten sehen es doch eher umgekehrt: Im Deutschen Kaiserreich spielte Preußen eine unheilvoll dominante Rolle. Es war kein Vorbild für den Föderalismus, den wir in Deutschland seit über 50 Jahren recht erfolgreich praktizieren. Es war übrigens auch kein Vorbild für die Bezirksfusion, die wir derzeit gestalten. Die Dominanz eines Partners ist bei einem Zusammenschluss immer gefährlich und meistens ungesund.

Wilhelm II wollte diese Dominanz auch außenpolitisch durchsetzen und provozierte damit eine Reihe von Krisen, die letztlich in den Ersten Weltkrieg mündeten. 1918 musste Wilhelm II als deutscher Kaiser und preußischer König abdanken. In der Weimarer Republik lebte Preußen weiter als stark verkleinerter Freistaat. Seine Regierung wurde 1932 vom Reichskanzler Franz von Papen in einem Staatsstreich gestürzt. 1933 ernannte Hitler sich zum Reichsstatthalter des Landes, und Göring wurde preußischer Ministerpräsident.

Die alliierten Siegermächte haben Preußen am 25. Februar 1947 endgültig aufgelöst mit der Begründung, Preußen sei “seit jeher der Träger des Militarismus und der Reaktion in Deutschland gewesen”. Churchill hatte es als “die Wurzel allen Übels” bezeichnet. Das entspach den Intentionen der Nationalsozialisten, die in ihrer Propaganda den NS-Staat immer wieder in die Tradition Preußens stellten.

Hat also Joachim Ringelnatz recht? Geht Preußen uns nichts mehr an? Geschichtsbilder haben fast immer mit politischen Interessen zu tun, und es ist die vornehmste Aufgabe von Historikern, hinter diese Geschichtsbilder zu schauen und den realen Kern herauszuarbeiten, der den Zweckdarstellungen zugrundeliegt. Denn wir brauchen unsere Geschichte für unsere Gegenwart. Die Geschichte ist ja nicht einfach vergangen. Sie hat die Welt, in der wir leben, geprägt. Unsere Lebensumstände, unsere staatliche Ordnung, unsere Kultur – nichts ist wirklich zu verstehen ohne die Geschichte.

Deshalb geht uns heute natürlich auch die preußische Geschichte etwas an. Wir brauchen sie, wenn wir verstehen wollen, woher wir kommen. Dabei können wir die Legenden ruhig ignorieren wie der Ringelnatzsche Holzwurm.

Aber wir haben inzwischen ein differenzierteres Bild von Preußen. Wir sehen auch den militärischen Widerstand gegen Hitler in der preußischen Tradition, und vor allem sehen wir die Leistungen preußischer Künstler, Verwaltungsreformer, Staatsrechtler und Politiker, die bis in unsere Gegenwart weiterwirken.

Mit Andreas Schlüter verbinden wir in Charlottenburg natürlich das Reiterdenkmal des Großen Kurfürsten. Vor allem aber verbinden wir Berliner mit Andreas Schlüter einen großen Verlust. Das Berliner Schloss wurde von ihm seit 1699 ausgebaut. Seine Zerstörung war ein Akt kultureller Barbarei, der durch nichts zu rechtfertigen ist. Und wir dürfen uns keiner Illusion hingeben: Diese Zerstörung ist nicht wieder rückgängig zu machen. Auch wenn das Schloss wieder aufgebaut wird, es wird nicht mehr das Schloss von Andreas Schlüter sein.

Trotzdem müssen wir gut überlegen, ob ein Neubau der Mitte Berlins gerecht werden kann, oder ob nicht ein wiederaufgebautes Schloss das kleinere Übel ist.

Wie dem auch sei: Heute abend freuen wir uns auf den Lichtbildvortrag von Prof. Börsch-Supan über Andreas Schlüter, und wir eröffnen damit das Preußenjahr in unserem Bezirk. Wir erhoffen uns von der Veranstaltungsreihe historische Aufklärung und Erinnerung, die wir nötig haben, damit wir unsere Gegenwart und uns selbst verstehen lernen.

Herr Prof. Börsch-Supan, vielen Dank für Ihre Bereitschaft, diesen Abend für uns zu gestalten.