Sehr geehrte Frau Vogt! (Süddeutsche Zeitung)
Sehr geehrter Herr Ismer!
Sehr geehrte Schülerinnen und Schüler!
Sehr geehrte Lehrerinnen und Lehrer!
Sehr geehrte Damen und Herrn!
Wird Zeitunglesen langsam altmodisch? Wir das gedruckte Wort und Bild verdrängt durch die neuen Medien im Internet? Hinke ich meiner Zeit hoffnungslos hinterher, wenn ich mir ein Frühstück ohne Zeitungslektüre nach wie vor kaum vorstellen kann?
Solche Fragen wurden immer wieder gestellt, wenn neue Medien den Journalismus revolutioniert haben, also vor allem bei der Erfindung und Durchsetzung des Radios und des Fernsehens. Und immer wieder hat sich herausgestellt, dass die neuen Medien die Zeitung nur ergänzt aber nie verdrängt haben. Ich vermute, dass es auch diesmal so sein wird, wenn das Internet sich vollends durchgesetzt haben wird als neues Informations- und Kommunikationsmedium.
Für uns als Verwaltungsbehörde ist das Internet zunehmend wichtig, und gerade im Bereich der öffentlichen Verwaltung eröffnen sich im Internet wichtige Perspektiven. Wir haben in Charlottenburg-Wilmersdorf die anerkannt beste Website aller Berliner Bezirke, wollen uns aber nicht auf den Lorbeeren ausruhen, sondern auch in Zukunft unsere Angebote in diesem Medium weiterentwickeln. Es eignet sich hervorragend dafür, Transparenz in die Verwaltung zu bringen und viele Verwaltungsvorgänge zu vereinfachen. Aber das hat natürlich mit Journalismus nichts zu tun, auch wenn es für die Bürgerinnen und Bürger manchmal interessant sein mag, unsere Pressemitteilungen im Internet zu vergleichen mit dem, was die Zeitung daraus macht.
Weshalb also sind Zeitungen heute noch wichtig? Schon aus der Berufsbezeichnung Journalist ergibt sich, dass das Journal, also die Zeitung, die Basis der Berichterstattung ist und – wie ich glaube – auch bleibt. Die meisten Zeitungsverlage haben das erkannt und fördern das Medium Internet, indem sie ihre Produkte dort anbieten – meistens sogar noch kostenlos. Aus eigener Erfahrung kann ich berichten, dass ich die meisten interessanten Websites im Internet über die Zeitungslektüre kennengelernt habe.
Umgekehrt kann das Internetangebot einer Zeitung eine wundervolle Ergänzung zum gedruckten Exemplar sein, schon wegen der unerschöpflichen Archive, aber auch wegen der Vernetzungen, die es ermöglichen, in kürzester Zeit einen Überblick über die verschiedensten Publikationen zum gleichen Thema zu erhalten.
Warum daneben dennoch das Abonnement einer gedruckten Zeitung? Ist es die Gewohnheit des Blätterns am Frühstückstisch oder in der U-Bahn, das Bedürfnis etwas in der Hand zu halten? Die Möglichkeit, auf einer großformatigen Zeitungsseite mit einem Blick einen Überblick über viele Themen zu erhalten und auswählen zu können, welches einen interessiert? Das Vertrauen in die Seriösität der Berichterstattung durch den Verlag, für den man sich entschieden hat? Die anregenden Kommentare und Reflexionen der Journalisten, von denen man weiß, dass sie einen bestärken in seinen Ansichten, manchmal auch provozieren oder verblüffen, in jedem Fall aber anregen und weiterbringen? Es ist wohl eine Mischung aus all diesem. Es ist vor allem die Erfahrung, dass kein elektronisches Medium sich besonders dazu eignet, konzentriert Hintergründe und tiefere Zusammenhänge zu studieren. Die Wahrnehmung in den elektronischen Medien ist oberflächlicher. Sie verlangt weniger Anstrengung, bleibt aber auch entsprechend weniger haften und regt weniger zu eigener Aktivität an.
Damit möchte ich diese Medien in keiner Weise herabwürdigen. Sie haben ihre wichtige Funktion und gehören mittlerweile zur Grundausstattung fast jedes Haushalts in unserer Gesellschaft. Sie vermitteln uns mit ungeheurer Schnelligkeit eindrucksvolle Bilder und oft perfekt aufbereitete Fakten aus aller Welt. Daneben haben sich Talk-Shows durchgesetzt als unterhaltsame Präsentation von Argumenten, Meinungen, Diskussionen, Streitkultur.
Am 11. September haben Millionen Menschen in aller Welt die Bilder von der Zerstörung des World-Trade-Centers gesehen. Aber gerade ein Ereignis wie dieses zeigt auch: Wenn wir die Bilder gesehen haben, wenn wir die sich ständig wiederholenden Meldungen oft genug gehört haben, dann haben wir das Bedürfnis nach Erklärung, nach Reflexion und Einordnung in größere Zusammenhänge. Und dieses Bedürfnis kann uns vor allem die Zeitung stillen. Dort beginnen wir dann auch in den Feuilletons zu suchen nach Stellungnahmen von integren Persönlichkeiten, die wir für kompetent halten, uns zu erklären, was da eigentlich geschehen ist, was die Ursachen und Hintergründe sind, mit welchen Folgen wir rechnen müssen, welches die richtigen Konsequenzen wären.
Die Tageszeitung ist also nach wie vor unverzichtbar für Menschen, die ein tieferes Verständnis für politische, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Zusammenhänge erlangen wollen. Aber mehr als andere Medien verlangt die kritisch-effektive Nutzung der Zeitung eine entsprechende Kompetenz. Wer Schülerinnen und Schülern das Zeitunglesen näher bringen will, der muss sie zuerst dafür qualifizieren, ihnen Kriterien zur persönlichen Auswahl ihrer Zeitung und zum selektiven Lesen vermitteln. Besonders günstig sind die Voraussetzungen dafür, wenn die Jugendlichen selbst Erfahrungen machen können mit journalistischer Arbeit. Deshalb bin ich der Süddeutschen Zeitung dankbar für ihre Initiative für dieses fächerübergreifende längerfristige Projekt “Zeitung in der Schule”.
Ich hoffe, dass hier auch gelernt wird, sorgfältig zwischen Nachricht und Kommentar zu unterscheiden. Denn bei vielen Zeitungen und anderen Medien in unserem Land habe ich den Eindruck, dass sie in dieser Hinsicht nicht besonders vorbildlich sind. Zu oft siegt bei Journalisten das Bedürfnis, den Menschen eine Meinung nahezubringen über die Aufgabe, möglichst sachlich und objektiv zu berichten.
Ich wünsche dem Projekt viel Erfolg und unseren Zeitungen viele neue junge Leserinnen und Leser.