am 20.3.2003, 16.30 Uhr im Rathaus Wilmersdorf
Sehr geehrte Frau Vorsteherin!
Sehr geehrte Bezirksverordnete!
Sehr geehrte Damen und Herrn!
Ich denke, wir empfinden heute die Probleme, die auf unserer bezirklichen Tagesordnung stehen, als gering im Vergleich zu dem Krieg, der heute früh begonnen hat. Mitglieder der amerikanischen Regierung haben die Länder, die den Krieg nicht unterstützen, als irrelevant erklärt. Ich kann dies nicht akzeptieren. Und auch wenn ich angesichts der gewaltigen Kriegsmaschinerie Ohnmacht empfinde, so bin ich doch überzeugt davon, dass wir Position beziehen müssen. Die Bürgerinnen und Bürger unseres Bezirks, unsere Wählerinnen und Wähler haben einen Anspruch darauf.
Deshalb sage ich klar und deutlich: Ich verstehe diesen Krieg nicht. Ich akzeptiere diesen Krieg nicht. Ich halte diesen Krieg nicht für gerechtfertigt.
Es fällt mir nicht leicht, dies unseren Freunden zu sagen. Gerade Polen, Engländer und Amerikaner haben aus der Deutschen Geschichte die Lehre gezogen, dass nie wieder ein Diktator so weit kommen darf wie Hitler. Auch ich akzeptiere diese Lehre. Aber ich akzeptiere nicht, dass sie auf die heutige Situation im Irak angewendet wird. Sadam Hussein ist ein Diktator, der bewiesen hat, wozu er fähig ist – gegen Kuwait, gegen den Iran und gegen die eigene Bevölkerung. Aber als die Alliierten gegen Hitler in den Krieg zogen, da ging es darum, einen Angriffs- und Eroberungskrieg und den Völkermord an den Juden zu stoppen.
Jetzt war die Internationale Gemeinschaft dabei, am Beispiel des Irak zu zeigen, dass sie dazu fähig ist, einen Diktator auch mit friedlichen Mitteln zu entwaffnen und letztlich auch zu entmachten. Die UN-Waffeninspektoren waren auf einem guten Weg. Sie hatten um etwas mehr Zeit gebeten.
Warum also gerade jetzt Krieg? Warum setzt die amerikanische Regierung gerade jetzt wieder das Recht des Stärkeren an die Stelle der Stärkung des Rechts?
Krieg ist immer furchtbar. Krieg kann nötig sein, um ein noch schlimmeres Übel zu verhindern, um Völkermord zu stoppen oder um sich gegen Angreifer zu verteidigen. Aber Krieg darf immer nur das letzte, das äußerste Mittel sein, wenn alles andere versagt hat.
Die Stellungnahme gegen unsere amerikanischen und britischen Freunde fällt mir auch deshalb nicht leicht, weil ich weiß und nicht vergessen werde, was wir ihnen zu verdanken haben. Gerade wir in Berlin haben ihnen in hohem Maße unsere Freiheit, unsere Demokratie und schließlich auch die Wiedervereinigung unserer Stadt zu verdanken. Wir haben uns mit den Amerikanern solidarisch erklärt nach dem Terroranschlag am 11. September 2001, und wir wollen mit ihnen gemeinsam und mit der Weltgemeinschaft den internationalen Terrorismus bekämpfen.
Dieser Krieg aber ist ein Rückschlag in diesem gemeinsamen Kampf. Dieser Krieg trifft nicht Terroristen, sondern unschuldige Menschen. Meine Gedanken sind jetzt bei den unschuldigen, bedrohten Familien im Irak, aber auch bei den amerikanischen und britischen Soldaten und bei ihren besorgten Familien.
Ich weiß nicht, welche Folgen dieser Krieg für die Welt haben wird, welche Folgen er auch für uns in Deutschland haben wird. Die amerikanische Regierung ist uns bisher die Antwort schuldig geblieben auf die Frage, wie sie sich in Zukunft die Welt vorstellt. Ist der Krieg gegen den Irak nur der Auftakt zu weiteren Kriegen gegen Länder, in denen Diktatoren herrschen und Massenvernichtungswaffen entwickeln? Treten wir am heutigen Tag ein in ein neues Zeitalter der Kriege? Soll in Zukunft nur noch das Recht des Stärkeren gelten?
Wir wollen und müssen auch und gerade unseren Freunden diese Fragen stellen. Wir haben uns am vergangenen Freitag dem Aufruf des Europäischen Gewerkschaftsbundes angeschlossen und gemeinsam mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern demonstriert: Krieg ist keine Lösung! Nachdem der Krieg nun begonnen hat, appelliere ich an den amerikanischen Präsidenten: Beenden Sie diesen Krieg! Kehren Sie zurück zu einer gemeinsamen Friedenspolitik mit den Vereinten Nationen auf der Basis des Völkerrechts!
Wir wollen uns nicht denjenigen beugen, die uns für irrelevant erklären. Im Gegenteil: Wir beanspruchen, relevant zu sein. Wir beanspruchen, uns zu den jetzt entscheidenden Fragen von Krieg und Frieden zu äußern. Wir kämpfen auch auf unserer kommunalen Ebene für Frieden und Freiheit, für Menschenrechte und Demokratie.