am 17.5.2002, 17.00 Uhr vor dem Haus Kaiserdamm 16, 14057 Berlin
Sehr geehrte Frau Botschafterin!
Sehr geehrte Damen und Herrn!
Als Alfred Döblin Deutschland im Jahr 1953 ein zweites Mal enttäuscht verließ, schrieb er an den damaligen Bundespräsidenten Theodor Heuss: “Es war ein lehrreicher Besuch, aber ich bin in diesem Land, in dem ich und meine Eltern geboren sind, überflüssig.”
Als Jürgen Serke im Jahr 1976 bei Recherchen für sein Buch den 90jährigen Schriftsteller Armin Theophil Wegner in Rom besuchte, um ihn zu interviewen, da reagierte dieser mit den Worten: “Ich war der einsamste Mensch. Ich habe noch so viel zu sagen. Bleibt doch. Warum seid ihr denn nicht früher gekommen?”
Wie kann man Alfred Döblin und Armin T. Wegner vergleichen? Alfred Döblin ist ein Klassiker der deutschen literarischen Moderne. Seinen “Berlin Alexanderplatz” kennt fast jeder zumindest dem Titel nach oder aus einer Verfilmung. Er gehört zur Schullektüre. Dagegen ist Armin T. Wegner fast vergessen. Kaum eines seiner Bücher ist derzeit im Buchhandel in unserem Land erhältlich.
Döblin und Wegner aber haben eines gemeinsam: Sie gehören zu den vielen Deutschen, denen Hitler ihre Heimat genommen hat. Viele von ihnen waren auch nach 1945 nicht in ihrer alten Heimat willkommen, und viele haben wir bis heute nicht wieder in unser historisches Bewusstsein eingebürgert. Armin T. Wegner wurde sogar zeitweise für tot gehalten. Jürgen Serke erinnerte 1977, ein Jahr vor seinem Tod an ihn in seinem Buch “Die verbrannten Dichter”. Aber auch dieses Porträt konnte Wegner nicht die öffentliche Aufmerksamkeit verschaffen, die er verdient.
Weshalb ist es wichtig, dass wir heute, an seinem 24. Todestag an Armin T. Wegner erinnern und dass wir diese Erinnerung auch für die Zukunft lebendig halten? Zum einen denke ich: Wir sind es den von den Nationalsozialisten aus ihrer Heimat Vertriebenen schuldig, sie zumindest in unser historisches Bewusstsein wieder einzubürgern. Zum anderen ist gerade Armin T. Wegner nicht nur ein wichtiger Autor, sondern auch ein großes Vorbild, ein Verfechter der Menschenrechte und ein mutiger Demokrat, der unmittelbar nach Hitlers Machtübernahme im Jahr 1933 Zivilcourage bewiesen hat, wie kaum ein anderer. Das ist im Ausland bekannter als bei uns. In Israel und in Armenien zählt er nicht von ungefähr zu den “Gerechten der Völker”.
Der 1886 in Elberfeld geborene Armin Theophil Wegner wurde im Ersten Weltkrieg Augenzeuge des Völkermords an den Armeniern. Er berichtete über diesen Völkermord und schuf darüber seine beeindruckendsten literarischen Werke, besonders “Weg ohne Heimkehr” und “Der Knabe Hüssein”. Seit 1925 lebte er hier in dem Haus am Kaiserdamm 16, und hier schrieb er auch seinen wohl bemerkenswertesten und mutigsten Text, den heute jeder in unserem Land kennen sollte: Am Ostermontag, dem 11. April 1933, schrieb Armin T. Wegner einen Brief an Adolf Hitler, in dem er ihn aufforderte, die antisemitischen Maßnahmen in Deutschland einzustellen: “Ich wende mich an Sie als ein Deutscher, dem die Gabe der Rede nicht geschenkt wurde, um sich durch Schweigen zum Mitschuldigen zu machen.”
Wenn wir diesen Brief heute lesen, dann wissen wir nicht, was wir mehr bewundern sollen, den Mut des Autors, seine klare, unmissverständliche Sprache, seine Menschlichkeit und moralische Integrität, seine Parteinahme für die verfolgten jüdischen Bürgerinnen und Bürger in Deutschland, die Selbstverständlichkeit, mit der er die Menschenrechte in Deutschland einfordert oder die Naivität, mit der er glaubt, den Diktator mit Argumenten überzeugen zu können. Er schreibt: “Gerechtigkeit war stets eine Zierde der Völker, und wenn Deutschland groß in der Welt wurde, so haben auch die Juden daran mitgewirkt… Wir haben das Blutopfer zwölftausend jüdischer Männer im Kriege angenommen, dürfen wir mit einem Rest von Billigkeit im Herzen ihren Eltern, Söhnen, Brüdern, Enkeln, ihren Frauen und Schwestern verwehren, was sie sich durch viele Geschlechter erworben haben, das Recht auf Heimat und Herd?”
Der Brief an Hitler endet mit den Worten: “Ich beschwöre Sie! Wahren Sie den Edelmut, den Stolz, das Gewissen, ohne die wir nicht leben können, wahren Sie die Würde des deutschen Volkes!”
Wir wissen, dass Wegners Brief keinen Erfolg hatte. Wir wissen, dass die Nationalsozialisten sich um das Gewissen und die Würde der Deutschen nicht scherten. Wir wissen, dass sie gegen jede Moral und Menschlichkeit handelten. Umso mehr beeindruckt uns heute der Brief von Armin T. Wegner. Die Antwort der Nationalsozialisten war brutal: Wegner wurde verhaftet und in Konzentrationslagern misshandelt, bevor er 1934 nach England fliehen konnte. Anschließend emigrierte er nach Italien und lebte bis zu seinem Tod am 17.Mai 1978 in Rom.
Sein Brief an Hitler ist vor wenigen Wochen in einer dreisprachigen Buchausgabe mit einem Vorwort von Bundestagspräsident Wolfgang Thierse veröffentlicht worden. Aber wir haben Wegner – wie viele andere – bis heute in unser historisches Bewusstsein nicht wieder eingebürgert.
Wir werden heute eine Gedenktafel enthüllen, mit der wir einen bescheidenen Betrag dazu leisten wollen, dass diese Einbürgerung – wenn auch mit großer Verspätung – vielleicht doch noch geschieht. Wir sollten Alfred Döblin und all den anderen entschieden widersprechen: Sie waren und sind für uns nicht überflüssig.
Ich danke allen, die dabei mitgeholfen haben, diese Gedenktafel herzustellen. Sie ist ein Gemeinschaftsprojekt, das von einer Reihe von Sponsoren und vom Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf gemeinsam finanziert worden ist. Vielleicht ist das ein gutes Zeichen: Der Staat und seine Bürgerinnen und Bürger kümmern sich gemeinsam um die Erinnerung an einen zu Unrecht aus Deutschland vertriebenen und vergessenen Autor.
Bedanken möchte ich mich herzlich beim Freundeskreis Armin T. Wegner. Peter Gralla vom Freundeskreis hat die Entstehung der Tafel von Anfang bis Ende aktiv begleitet und auch beim Einwerben der Sponsorengelder geholfen.
Herzlichen Dank auch Herrn Dr. Günter Morsch, Stiftungsdirektor der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten, Herrn Dr. Wolfgang Hering, Herrn Klaus Voigt, Herrn Dr. Rolf Hosfeld, Herrn Dr. Andreas Nachama, Frau Christiane Hoss vom Verein Aktives Museum, Frau Dr. Tessa Hofmann von der Gesellschaft für bedrohte Völker und Herrn Dr. Martin Rooney. Sie alle haben sich für diese Gedenktafel eingesetzt, und wenn ich jetzt weitere Unterstützer und Spender nicht genannt habe, dann bitte ich sie um Entschuldigung. Ihnen allen sei herzlich gedankt.
Der Bildhauer Reinhard Jacob hat die Tafel gestaltet und in Zusammenarbeit mit unserem Tiefbauamt aufgestellt. Auch dafür herzlichen Dank. Leider nicht bedanken kann ich mich bei den Hauseigentümern. Sie haben nicht erlaubt, dass eine Gedenktafel für Armin T. Wegner an ihrem Haus angebracht wird. Sie begründeten die Weigerung mit Platzmangel – ich überlasse jedem selbst, diese Ablehnung zu bewerten. Als Konsequenz haben wir uns entschieden, die Tafel auf dem Gehweg aufzustellen. Und ich glaube, wir haben gemeinsam mit Herrn Jacob eine gute Lösung gefunden.
Bedanken möchte ich mich auch beim Gottfried-Keller-Gymnasium, besonders bei der Lehrerin Frau Siegert, die die gute Idee hatte, eine Patenschaft für diese Gedenktafel zu übernehmen, das heißt regelmäßig für den guten Zustand der Tafel zu sorgen und zum Beispiel am Geburts- und Todestag Wegners besondere Zeichen der Erinnerung zu setzen. Mit dieser Idee hat das Gottfried-Keller-Gymnasium einen Vorschlag des damaligen Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, Dr. Andreas Nachama aufgegriffen. Dies könnte ein guter Anlass sein, sich mit unserer Geschichte auseinander zu setzen, und, wie die Schule betont, gerade für die große Gruppe türkischer Schülerinnen und Schüler auch mit der türkisch-armenischen Geschichte.
Herzlichen Dank auch der armenischen Gemeinde, die sich ebenfalls für diese Gedenktafel eingesetzt hat, und heute im Anschluss an die Enthüllung zu einem Empfang einlädt.
Zuletzt gilt mein Dank Herrn Jörg Aufenanger, von dem wir im heutigen Berlin-Teil der Frankfurter Allgemeinen Zeitung einen Beitrag über Armin T. Wegner lesen konnten. Ich werde ihm jetzt das Wort übergeben, denn er hat sich auf Vorschlag des Freundeskreises Armin T. Wegner bereit erklärt, uns den Schriftsteller in einem Redebeitrag näher zu bringen.