Thema des Monats Juni 2020

Pop-up-Radwege im Bezirk: Temporäre Maßnahme oder Teil einer Mobilitätswende?

Neue Wege für neue Mobilität? Die Zunahme des Fahrradverkehrs erfordert ein Überdenken bisheriger Konzepte. In den folgenden Beiträgen nehmen die Fraktionen der BVV zu dem Thema Stellung.

SPD-Fraktion

Die SPD hat das Mobilitätsgesetz maßgeblich vorangetrieben, damit durch neue Qualitätsstandards Radfahren sicherer und attraktiver wird, doch die Umsetzung ist unbefriedigend. Es kann nicht sein, dass für die Realisierung eines neuen Radweges 6 bis 10 Jahre benötigt werden. Temporäre Radwege haben Hoffnungen geweckt und vom Bezirk wurden viele Straßen beim Senat angemeldet, doch das Resultat ist enttäuschend: Nur die Kant- bzw. Neue Kantstraße wurde genehmigt und auch nur bis zum 31. Mai 2020. Es würden nur Straßen berücksichtigt, wo Planungen schon (fast) abgeschlossen seien oder wo kaum Ampeln umprogrammiert werden müssten. Die SPD-Fraktion befürchtet, dass es erstmals in dieser Wahlperiode überhaupt keine neuen Radwege im Bezirk geben wird. Eine dauerhafte Lösung für die Kantstraße ist weiterhin nicht in Sicht.

Das liegt nicht nur am Personalmangel, sondern an der zunehmenden Bürokratisierung der Planungsprozesse zwischen Bezirk und Senat mit immer neuen Akteuren. Wir erwarten vom für Verkehr zuständigen Stadtrat eine Initiative, damit Radwege schneller realisiert werden können. Ansonsten kommen wir nicht über temporäre Maßnahmen hinaus, obwohl die Umsetzung der Mobilitätswende in Berlin dringend geboten ist.

Dr. Jürgen Murach

CDU-Fraktion

Ungeachtet der Tatsache, dass der Senat die Corona-Pandemie instrumentalisiert, um die bisher nicht in Gang gekommene selbsterdachte „Verkehrswende“ ohne weitere Aussprache zu beschleunigen, darf an der Sinnhaftigkeit gezweifelt werden. Gerade die jetzige Situation zeigt, wie wichtig der Individualverkehr sein kann, will man sich nicht im in den vergangenen Jahren vernachlässigten ÖPNV drängeln. Die einseitige Ausrichtung auf den Radverkehr wiederum wägt die Bedürfnisse der Bevölkerung nicht ab, sondern ist auf eine ideologische Verbotspolitik hin ausgerichtet. Seit langem setzen wir uns für eine sinnvolle Verteilung der Verkehrsflächen u. a. durch ein durchdachtes Radwege- und Fahrradstraßenkonzept auf den Seitenstraßen oder neu geschaffenen Fahrradschnellwegen ein. Die bloße Umverteilung der vorhandenen Fahrspuren zu Lasten des motorisierten Wirtschafts- und Individualverkehrs dient weder der Sicherheit noch einer leistungsfähigen Verkehrsinfrastruktur. Das Experiment Kantstraße sollte Geschichte bleiben. Hier wird ohne Beteiligung der bezirklichen Gremien und Betroffenen Geld und Zeit in eine kurzfristige Aktion gesteckt, anstatt endlich ein durchdachtes Konzept für eine dauerhafte Umgestaltung vorzulegen.

Gerald Mattern

B‘90/Grünen-Fraktion

Auf der Kantstraße entstand der erste Corona-begründete Radstreifen im Bezirk. Damit wurde eine grüne Idee umgesetzt, was in normalen Zeiten unendlich lang zu dauern schien. Mit dieser Maßnahme wird die Mobilitätswende angeschoben. Unser Ziel ist, dass dieser Radstreifen dauerhaft eingerichtet wird, denn wir brauchen #MehrPlatzFürsRad. Für Radfahrende und zu Fuß Gehende steht bisher trotz ihres großen Anteils im Verkehr wesentlich weniger Platz zur Verfügung. Gerade in der Corona-Pandemie zeigt sich: Wir können kaum mit genügend Abstand unterwegs sein. Dabei ist gerade das Fahrrad ein effektives Fortbewegungsmittel in der Stadt: mit ihm sind wir kontaktlos unterwegs und unser Immunsystem wird gestärkt.

Mit den Pop-up-Bike-Lanes lassen sich Straßen schneller radfreundlich gestalten. Sie sind flexibel und können schneller angepasst werden. In der Regel sind Straßenbauverfahren unter einem bis zwei Jahren nicht abzuschließen. Um mit baulichen Maßnahmen für Rad- und Fußverkehr schneller ans Ziel kommen zu können, wünschen wir uns kürzere Verfahren. Der bestehende Straßenraum ist fairer zu verteilen, damit wir auf dem Rad und zu Fuß ausreichend Platz haben.

Alexander Kaas Elias / Ansgar Gusy

FDP-Fraktion

Man kann nur hoffen, dass die „Pop-up“-Radwege, insbesondere in der Kantstraße, bloß eine temporäre Maßnahme bleiben. Einen Teil der Mobilitätswende stellen sie jedenfalls nicht dar. Die Radwege sind nicht durchdacht und berücksichtigen nicht die weiteren Herausforderungen, die uns im Straßenverkehr begegnen. Die Anordnung gefährdet in der Kantstraße sogar teilweise Radfahrer, da Autos, Busse und Lieferdienste zukünftig den Radweg queren müssen, um zur Park- und Busspur zu gelangen. Die FDP-Fraktion hält daher einen ganzheitlichen Ansatz und eine Neuaufteilung des Straßenraums in der Kantstraße für unbedingt erforderlich, um die Verkehrssicherheit für alle zu erhöhen. Rot-Grün-Rot muss endlich das Mobilitätsgesetz ernst nehmen und den Verkehrsfluss insgesamt verbessern. Hierzu gehören neben einem Radweg eben auch eine Busspur, ein Parkleitsystem und Lieferzonen. Bereits vor der Corona-Pandemie forderte die FDP-Fraktion mit einem umfangreichen Antrag den Umbau der Kantstraße und schlug darin u. a. den Wegfall des Mittelstreifens vor, um mehr Platz für alle zu schaffen.

Es muss auch die Frage gestattet sein, ob es sonderlich demokratisch ist, in einer Pandemie ohne Abstimmung mit Initiativen und bezirklichen Gremien Fakten zu schaffen und das dann auch noch dauerhaft erhalten zu wollen.

Felix Recke

AfD-Fraktion

Gewöhnlich landen doch Pop-ups im Blocker? Scherz beiseite. Verkehrsplanerisch bewirken Pop-up-Radwege weder temporär noch permanent mehr Mobilität, denn:

  1. das Fahrrad kann die Mobilität des Autos nicht erreichen,
  2. eine „freiwillige“ Abnahme des Autoverkehrs (hygienisch am sichersten) ist weder generell noch wegen Corona zu erwarten,
  3. temporäre Steigerungen des Fahrradverkehrs wiegen, wo überhaupt vorhanden, die Demobilisierung und Abgase durch Staus (auch von Bussen etc.) nicht auf, und
  4. selbst das real vorhandene Mehr an Platz und Sicherheit kann nicht nachhaltig überzeugen.

Weil es wegen des Parkens und durch Liefertätigkeiten stets gefährlich bleibt, das Fahrrad zwischen fließenden und ruhenden Verkehr zu sortieren – gerade bei hohem Verkehrsaufkommen wie z. B. in der Kant-, Kaiser-Friedrich- und Konstanzer Straße.

Das Problem wird nur durch Radwege auf dem oder direkt neben dem Bürgersteig gelöst. Wo aber bleiben diese Radwege?

Muss man bei Platznot umsortieren – am besten zwischen Bürgersteig und ruhenden Verkehr – so braucht es auch Lieferzonen, Parkhäuser/-inseln sowie flankierend eine Steigerung im Verkehrsfluss, um bei weiterhin zunehmender Verkehrsbelastung unsere heutige Mobilität auch nur annähernd aufrecht zu erhalten.

Jan von Ertzdorff-Kupffer

Linksfraktion

Klare Antwort: Pop-up-Radwege müssen in dauerhafte geschützte Radfahrstreifen umgewandelt werden, um die Mobilitätswende endlich voranzubringen und das Klima zu schützen. Das Bezirksamt handelt viel zu zögerlich und verhindert damit die dringend notwendige Verkehrswende. Andere Bezirke haben innerhalb kürzester Zeit Pop-up-Radwege installiert, um den erforderlichen Abstandsregeln in Corona-Zeiten gerecht zu werden. Doch Charlottenburg-Wilmersdorf hinkt wie immer hinterher, wenn es um den Schutz der Radfahrenden und die gerechte Flächenverteilung des öffentlichen Raumes geht. Die vom Senat bereitgestellten Mittel für Sanierung und Neubau von Radwegen werden nicht vollständig abgerufen. Falschparkende lässt man ungehindert bereits bestehende und den neu markierten Radfahrstreifen auf der (Neuen) Kantstr. zustellen.

Jetzt und auch nach Corona muss gelten: gefahrloses Radfahren endlich durch geschützte Radfahrstreifen ermöglichen, Mittel vom Senat vollständig abrufen, Parkflächen frei machen für Radfahrende und Fußgänger*innen sowie Kieze umwandeln in Begegnungszonen, Flächen gerecht verteilen. Sicherheit für Radfahrende und Fußgänger*innen sowie nachbarschaftliches Miteinander und Klimaschutz statt autogerechter Stadt!

Frederike-Sophie Gronde-Brunner