Thema des Monats März 2004

Kultur - bald Mangelware im Bezirk?

Die Bezirksverordnetenversammlung diskutiert

Bezirksbürgermeisterin Monika Thiemen hat in der letzten Ausgabe der Rathausnachrichten im Interview Fragen zu den Sparvorgaben des Senats beantwortet, nach denen die so genannten freiwilligen Leistungen gestrichen werden sollen, aus denen vor allem die kulturellen Einrichtungen des Bezirks finanziert werden. Zur existenziellen Krise, in die sie dadurch geraten, nehmen in diesem Monat Mitglieder der vier Fraktionen und die fraktionslosen Bezirksverordneten der Charlottenburg-Wilmersdorfer BVV Stellung.

SPD-Fraktion

Über zwei Beispiele privater Kulturförderung für Charlottenburg-Wilmersdorf konnten wir uns in letzter Zeit freuen: Für den Joachimstaler Platz spendierte der Bauunter-nehmer Grothe einen Obelisken des Künstlers Karl Schlamminger, und im ältesten Bürgerhaus in der Charlottenburger Schustehrusstraße wurde das Keramikmuseum eröffnet. Auch sonst ist unser Bezirk mit vielen Einrichtungen der Hochkultur, wie z.B. dem Bröhan-Museum und der Sammlung Berggruen nicht gerade eine Kulturwüste.
In anderen Berliner Regionen gäbe es jedoch ohne kommunale Kulturämter, denen die dezentrale Kulturarbeit übertragen wurde, kein Kulturangebot. Diese hochange-sehene, bezirkliche Kultur hat sich zum Nährboden für die Hochkultur entwickelt und wird aus dem Landeshaushalt mit dem “Bezirkskulturfonds” unterstützt. SPD und PDS haben sie im Koalitionsvertrag fixiert, denn allen Menschen soll der Zugang zu Kultur und Bildung offen stehen – schon 1920 eines der Ziele bei der maßgeblich von Sozialdemokraten gestalteten Gründung der Einheitsgemeinde Berlin.
Insofern überraschte die Empfehlung des Finanzsenators vom 22. Dezember 2003 an den Hauptausschuss, die freiwilligen Leistungen der Bezirke, insbesondere für die Kultur massiv zu kürzen, da sie gesetzlich nicht begründet seien und den Ansprüchen des Verfassungsgerichtshofsurteils nicht entsprächen.
Der Hauptausschuss hält diese Ausgaben zwar für verfassungsgemäß und notwen-dig für die soziale Infrastruktur in den Bezirken, will aber grundsätzlich an Kürzungen festhalten! Ein Teilerfolg, um die Kürzungen im Kulturbereich zu verhindern? Es wird zwangsläufig Einschnitte für unsere Kultur geben müssen, da es in allen Bereichen bei weniger bezirklichen Mitteln immer enger wird.
Bei Zustimmung des Abgeordnetenhauses zu den Kürzungen müssten 100.000 Euro im Kulturbereich 2004 eingespart werden. Der Finanzsenator will die Einsparsumme weiter erhöhen. Das bedeutet wohl nach 2004 die Schließung von Kultureinrichtungen. Dies ist bedrückend, insbesondere für diejenigen, die jahrelang mit hohem Einsatz die Kulturarbeit gestalten.
Es wäre zu früh, eine Rangfolge der vier zentralen Kultureinrichtungen des Bezirkes zu benennen. Alle vier Institutionen, die Kommunale Galerie, das Heimatmuseum, das “Forum für Kunst, Kultur und Medien” in der Villa Oppenheim und das Kulturbüro City-West leisten eigentlich unverzichtbare Arbeit für den Bezirk.
Die SPD Charlottenburg-Wilmersdorf setzt sich deswegen auch eindeutig gegen die Kürzungen ein.
Gisela Meunier

CDU-Fraktion

Der rot-rote Senat lässt es weiter knirschen und quietschen: In diesem und im nächsten Jahr verlangt der Senat von den Berliner Bezirken, das Kulturangebot so drastisch zu reduzieren, dass die bezirkliche Kulturszene in ihrer Vielfalt bald nicht mehr existieren kann. Charlottenburg-Wilmersdorf wird mit dem Doppelhaushalt für 2004 und 2005 gezwungen werden, Personalstellen im Kulturbereich nicht wieder zu besetzen und kulturelle Einrichtungen schließen zu müssen. Auch die Musikschule ist von den anstehenden Kürzungen betroffen.
Die aktuelle Diskussion über wirkliche oder vermeintliche Problemgebiete in Berlin sollte aber dem Senat deutlich machen, dass nach dem in den letzten Jahren auf Kosten der Bezirke erfolgten umfänglichen Mitarbeiterabbau und den Finanzmittelreduzierungen die Frage, wie die Bezirke mit ihren Kiezen lebenswert bleiben können, im Vordergrund stehen muss. Die sozialen und kulturellen Aufgaben bleiben, sie können aber von den Bezirken nicht mehr ausreichend wahrgenommen werden.
Der rot-rote Senat wischt die kulturelle Vielfalt in den Bezirken weg. Dagegen wehrt sich die CDU-Fraktion in der Bezirksverordnetenversammlung Charlottenburg-Wilmersdorf und hat beispielsweise die Abgeordneten im Berliner Abgeordnetenhaus aufgefordert, den Kahlschlag zu verhindern.
Die CDU-Fraktion setzt sich auf Bezirks- wie auf Landesebene gegen eine Haus-haltssanierung auf Kosten der Bezirke ein. Wenn auch in der Bezirksverordnetenversammlung unseres Bezirks eine solche Haltung geteilt wird, ist doch festzustellen, dass es der bezirklichen SPD wie auch der PDS nicht gelingt, sich gegen die Landesebene ihrer Parteien und gegen den rot-roten Senat durchzusetzen. Wenn einer-seits die der SPD angehörende Bezirksbürgermeisterin in der letzten Ausgabe dieser Zeitung sich gegen den kommenden Leistungsabbau im Kulturbereich ausspricht und sich für eine kulturelle Vielfalt im Bezirk einsetzt, ist andererseits leider zu ver-zeichnen, dass diese Haltung innerhalb der SPD verhallt und wirkungslos bleibt.
Durch ihre Fraktion im Abgeordnetenhaus hat die CDU immer wieder Möglichkeiten aufgezeigt, wie der Landeshaushalt und auch die bezirklichen Haushalte saniert werden können, ohne die Lebensqualität für die Berlinerinnen und Berliner grundlegend zu schädigen. Es gibt Wege, eine Haushaltssanierung nicht auf dem Rücken der Bezirke durchzuführen; der rot-rote Senat lässt es aber lieber weiter knirschen und quietschen.
Joachim Dannert

Fraktion Bündnis 90/Die Grünen

Neue Herausforderungen für die Kultureinrichtungen des Bezirks
Die erneuten Sparauflagen des Senats sollen den Bereich Bildung und Kultur beson-ders hart treffen: Hier sollen bei geplanten Ausgaben von 719.000 Euro für das laufende Jahr 102.000 Euro wegfallen, für 2005 von 724.000 Euro bereits 204.000 Euro, denn diese Einsparungen sollen sich auch noch jährlich verdoppeln.
Einziger Lichtblick zur Zeit: Der Bezirk muss die Kürzungen nicht in der beschriebenen Weise sofort umsetzen, er kann sie als pauschale Minderausgabe ansetzen und dann erst im Lauf des Jahres zu Lasten bestimmter Bereiche verteilen.
Was bleibt zu tun?
- Politischer Widerstand, der auf die Veränderung dieser Beschlüsse zielt
- Verteilung der vorgegebenen Sparauflagen auch auf andere Abteilungen des Be-zirks
- Intensivierung der Arbeit der Kultur- und Bildungseinrichtungen im Bezirk.
Bei diesen Handlungsperspektiven sind Innovationen, Mut, Phantasie und Engagement gefragt. Besonders wichtig sind diese Eigenschaften für die Stärkung der Kul-tur- und Bildungseinrichtungen im Bezirk. Hier geht es darum, neue Wege der Ausweitung von Angeboten und der Gewinnung von Nutzer- und Unterstützergruppen zu gewinnen. Bildung und Kultur im Bezirk meinen eben nicht nur und nicht einmal pri-mär die Förderung renommierter Ausstellungen und Museen. Bildung und Kultur müssen insbesondere in einer Zeit umfassender passiver Mediennutzung eine Kultur zum Mitmachen und eine Kultur vielfältiger sozialer Erfahrungen sein. Erzählen, vorlesen, schreiben, gestalten, musizieren, Theaterspiel – auch multikulturell und altersgruppenübergreifend – sollten in allen Kultur- und Bildungseinrichtungen verstärkt werden durch die Öffnung für freie Gruppen und ehrenamtliche Angebote.
Dr. Jürgen Hess

FDP-Fraktion

Klares Konzept für Kultur ist erforderlich
Der hervorragende Platz, den Charlottenburg- Wilmersdorf in der Berliner Kulturlandschaft einnimmt, muss erhalten und ausgebaut werden. Die FDP begrüßt die kulturpolitischen Aktivitäten von Bund und Ländern, die kulturellen “Leuchttürme” wie Schloss Charlottenburg, Stülerbau oder die Festspiele zu stärken. Die Sicherung der Spielstätte in der Schaperstraße geht ja auf eine FDP- Initiative zurück.
Die Pflege des städtischen Kulturangebots (Deutsche Oper, Theater des Westens, Boulevard-Bühnen) bleibt unverzichtbar für den bürgerlichen Charakter der City West. Solche Besucher-Magnete dienen auch der Wirtschaft im Bezirk, seien es Zuzüge aus dem Bundesgebiet oder touristische Besucherströme, die sich zukünftig nicht nur auf Berlin-Mitte konzentrieren dürfen.
Zur Erweiterung des Angebots brauchen wir auch ein neues Nutzungskonzept für das Schiller-Theater und eine gesicherte Heimstatt für das jüdische Theater.
Ebenso wichtig sind kiezbezogene Einrichtungen für interessierte Bürger, auch solche nichtdeutscher Herkunft. Deshalb kritisiert die FDP die drastischen Kürzungsforderungen des Finanzsenators auf diesem Feld. Errechnete Einsparungen und der absehbare “Flurschaden” stehen in einem eklatanten Missverhältnis. Wir wollen uns aber nicht in eine destruktive Verweigerungshaltung flüchten, sondern fordern das Bezirksamt auf, intelligente Lösungen zum Erhalt der wesentliche Einrichtungen wie z.B. Heimatmuseum und Villa Oppenheim vorzulegen. Für jedes Haus ist eine klare Positionierung und ein Controlling nötig. Die Steuergelder müssen so effizient verwaltet werden, dass die Bürger bereit sind, eigenes Kapital, sei es in Form von Geld oder ehrenamtlichem Engagement, einzubringen.
Die Zukunft der einzelnen Kultureinrichtungen darf nicht jedes Jahr zur Disposition gestellt werden. Überfällig ist die Entwicklung eines langfristigen Konzepts unter Beteiligung der Institutionen und der Bürgerinnen und Bürger. Die FDP will sich daran aktiv beteiligen und lädt alle Kulturinterressenten der Stadt ein, am 12. März mit Frau Ruth Wagner und Senator Flierl in der Hessischen Landesvertretung über Lösungswege zu diskutieren.
Dr. Wilfried Fest

Fraktionslose Bezirksverordnete (Die Linkspartei.PDS)

Kultur ist keine Ware
Nachrichten über bevorstehende Schließungen von öffentlichen Kultureinrichtungen, von Galerien, Theatern, Bibliotheken, Musikschulen, kommunalen Kinos und Kieztreffs häufen sich – auch in diesem Bezirk. Sie sind jedoch kein spezifisches Berliner Problem. Aufgrund der Finanznot in den Ländern und Kommunen sind Bildungs- und Kulturstätten vielerorts betroffen. Dies ist höchst bedenklich, da es gerade in der gegenwärtigen schwierigen wirtschaftlichen und sozialen Situation erforderlich wäre, die kommunale Kulturarbeit stärker zu fördern statt die Leistungen in diesem Bereich abzubauen. Kultur ist keine Ware. Sie ist unverzichtbare kommunale Daseinsvorsorge und Garant für Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Kultur fördert die Attraktivität unseres Bezirks nach innen und außen, sie ist zudem Wirtschafts- und Standortfaktor.
Berlin ist eine “Mehrkommunengroßstadt”. Ihren besonderen Reiz bezieht sie aus dem Neben- und Miteinander sehr unterschiedlicher kultureller Milieus und aus der Vielgestaltigkeit ihrer kulturellen Infrastruktur, die von den “Leuchttürmen” über die Off-Szene bis zu soziokulturellen Angeboten in den einzelnen Kiezen reicht. Solche Vielfalt und Grenzüberschreitungen sind auch Basis für Lebendigkeit und Erneuerungsfähigkeit. Kürzungen in der kommunalen Kulturarbeit, Schließungen von Kieztreffs, Veranstaltungsorten oder Galerien in den Bezirken beschädigen die Kultur dieser Stadt als Ganzes.
Berlin braucht eine breite Debatte über die Aufgaben und Perspektiven städtischer und kommunaler Kultur. Kultur ist keine Ware und darf deshalb auch nicht zur Mangelware werden.
Benjamin Apeloig, Jürgen Hornig