Thema des Monats März 2005

Beförderung von schwerstmehrfachbehinderten Schülern an Sonderschulen

Die Bezirksverordnetenversammlung diskutiert

Bei dem Sonderfahrdienst Telebus für Menschen mit Behinderung kommt es zu einigen Änderungen: In § 9 Abs. 2 des Landesgleichberechtigungsgesetzes für Menschen mit und ohne Behinderung heißt es: „Für Personen, die wegen der Art und der Schwere ihrer Behinderung nicht am öffentlichen Personennahverkehr teilnehmen können, wird ein besonderer Fahrdienst vorgehalten, auf den die Vorschriften des § 145 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch keine Anwendung finden.“ Unter dem aktuellen Sparzwang hat sich die zuständige Senatsverwaltung für Gesundheit, Soziales und Verbraucherschutz daran gemacht, Einsparpotenziale beim Sonderfahrdienst zu ermitteln.
Die so genannten Freizeitfahrten werden am 1. Juli 2005 vom bisherigen Betreiber BZA (Berliner Zentralausschuss e. V.) in die Regie der BVG übergeben. Die Fahrleistungen werden neu ausgeschrieben, und in einer neuen Telebus-Verordnung sollen unter anderem die Zuzahlungen durch die Telebus-Nutzer neu geregelt werden.
In einem ersten Akt waren die so genannten Kostenträgerfahrten (Kranken- und Arbeitsfahrten) ausgegliedert worden. Diese waren bisher aus dem gleichen Haushalt finanziert worden. Jetzt hat man erkannt, dass hier „eine verdeckte Subvention“ stattgefunden hat. Des weiteren wurden die Sonderfahrten für Schülerinnen und Schüler mit schwersten und mehrfachen Behinderungen von den Schulämtern neu ausgeschrieben. Gegen die Leistungen des für den Bezirk zuständigen Fahrdienstes regt sich Kritik in der Elternschaft.

SPD-Fraktion

Am Anfang stand die Kritik des Landesrechnungshofes: Der Fahrdienst für schwerstmehrfachbehinderte Schülerinnen und Schüler an Sonderschulen muss alle drei Jahre neu ausgeschrieben werden, um einen gerechten Wettbewerb zu gewährleisten. Der Schulträger hat eine Ausschreibung zur Neuvergabe dann auch umgehend über das Landesverwaltungsamt vorgenommen. Das Vorgehen bei einem Ausschreibungsverfahren ist genau vorgeschrieben, das Verfahren war transparent und alle bewerteten Anbieter hatten die gleichen Bedingungen zu erfüllen. Den Zuschlag bekamen der Malteser-Hilfsdienst, die das günstigste Angebot abgaben und eine anerkannte Hilfsorganisation sind. Natürlich werden dennoch bei einer Neuvergabe Sicherungen eingebaut: So gibt es angesichts der Bedeutung dieses Fahrdienstes eine vertraglich abgesicherte dreimonatige Qualitätssicherungsphase. Jeder in der Anfangsphase der Umstellung vorgekommene unglückliche Fall wird bei der nach dieser Phase erfolgenden Auswertung mit den Schulen und der Elternschaft eine Rolle spielen. Die Malteser haben zugesichert, Einzelfall-Probleme individuell zu lösen. Natürlich sind sie sich der Sensibilität ihres Auftrages bewusst. Die Umstellung war und ist für alle Beteiligten eine Herausforderung, die es gilt zum Wohlbefinden der Kinder und Jugendlichen zu lösen.
Brigitte Hoffmann

CDU-Fraktion

Berlin hat wenig Geld. So geht kein Weg daran vorbei, dass eingespart werden muss. Aber muss das auch bei den Schwächsten sein ? Neuausschreibungen für Leistungen des Bezirksamtes müssen sein. Müssen dann aber auch schwerstmehrfachbehinderte Schüler unter verringerten Leistungsbedingungen leiden ? Wir sagen Nein !
Der SPD-Jugendstadtrat behandelt die geistigbehinderten Schüler der Arno-Fuchs und Finkenkrug-Schule schlechter als Sonderschüler der Comenius-Schule, um ein paar Mark zu sparen. Die Folge sind lange Wartezeiten für die Schüler von bis 45 Minuten (!), wechselnde Bezugspersonen, ungeklärte Fragen ob der Qualifikation der Fahrer und deren Beschäftigungsumfang beim neuen Vertragspartner. Zwar hat der Stadtrat Beschäftigungsbedingungen mit dem neuen Unternehmen ausgehandelt, doch lassen Anzeigen des neuen Unternehmens die Vermutung zu, dass diese nicht oder nur teilweise eingehalten werden. Werden hierfür vielleicht sogar Spendenmittel verwandt?
Der Höhepunkt schlechter Leistung des SPD-Stadtrates auch am Steuerzahler ist dann eine “vergessene” Kündigung des alten Fuhrunternehmens durch das Bezirksamt. Ohne die Kulanz des bisherigen und nunmehr geschassten Geschäftspartners hätte ein immenser Schaden für die Öffentlichkeit entstehen können.
Wir fordern die sofortige Prüfung aller vereinbarter Rahmenbedingungen mit dem neuen Unternehmen, ggf. sofortige Kündigung des Vertrags und eine Neuausschreibung bei dem die Bedürfnisse der Kinder im Vordergrund stehen.
Ein Antrag der CDU-Fraktion auf Neuausschreibung wurde in der letzten Sitzung der Bezirksverordnetenversammlung abgelehnt.
Andreas Statzkowski

Fraktion Bündnis 90/Die Grünen

Ende 2004 wurde die Schülerbeförderung in Charlottenburg-Wilmersdorf neu ausgeschrieben.
Den Zuschlag erhielt in fast allen Fällen eine gemeinnützige Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Ab dem 1.Februar wechselten die Betreiber und es herrschte Chaos, SchülerInnen wurden nicht abgeholt oder mussten längere Fahrzeiten in Kauf nehmen.
Obwohl die Ausschreibung von vornherein die Leistungsfähigkeit mit genauen Angaben abfragte, d.h. Fahrzeuge und Fahrer mussten genau aufgeführt werden, hatte der neue Anbieter nicht genug Fahrpersonal zur Verfügung (in einer Anzeige wurden noch im Dezember Mini-Jobber gesucht). Der Fuhrpark reicht ebenfalls nicht aus. Die alten Fahrdienste mussten und müssen die Lücken ausfüllen, damit die behinderten SchülerInnen weiterhin die Schulen besuchen können. Hier wird ein Preiskampf, für die Entscheidung war offensichtlich nur der Preis entscheidend, auf dem Rücken von geistig- und schwerstmehrfachbehinderten Menschen ausgetragen. Das neue Personal verfügt nicht über die Personenbeförderungsscheine und die Fahrzeuge nicht über die Zulassung zur gewerblichen Personenbeförderung.
Manch ein Schüler ist jetzt je Richtung 90 min. unterwegs, eine Zeit, die vor allem für Schüler mit Anfallsleiden, unzumutbar ist.
Das alles ficht das Schulamt nicht an, Hauptsache scheinbar billig, Qualität zählt hier wohl nicht.
Andreas Koska

FDP-Fraktion

Wenn die Kassen leer sind, muss alles auf den Prüfstand, zumal wenn der Rechnungshof Kritik übt. Eine öffentliche Ausschreibung war erforderlich, aber nur vor dem Hintergrund des Landesverwaltungsamts? Wichtig ist doch, dass in diesem sensiblen Bereich das Grundprinzip der fürsorglichen Förderung gewahrt bleibt. Dazu gehörte, dass ein fester Rhythmus durch immer dieselben Fahrer beim Abholen das Sicherheitsgefühl stärkte.
Nun sind langjährig tätige, mittelständische Beförderungsunternehmen abgelöst worden von einem Großanbieter. Der Wechsel ist Fakt geworden, ohne dass die betroffenen Eltern rechtzeitig informiert und ihre Bedenken berücksichtigt wurden. Das stellt eine Belastung dar, die zumindest in der Form hätte vermieden werden sollen.
Das gilt auch für die Zukunft, wenn die Therapeuten, die stundenmäßig lange Zeit in der Schule tätig sind, abgelöst werden sollen zugunsten freier Praxen. Wir Liberale setzen uns dafür ein, dass ein neuer Schnellschuss
hier unterbleibt und es zu keiner Verschlechterung in der Versorgung dieser Kinder kommt.
Dr. Wilfried Fest

Fraktionslose Bezirksverordnete (Die Linkspartei.PDS)

Abgelaufene Verträge werden neu ausgeschrieben, um in einem transparenten Verfahren kostengünstige Anbieter zu ermitteln. Soweit so gut. Nicht immer allerdings sind günstige Kosten ihren Preis auch wirklich wert. Wenn, wie im Falle der Beförderung behinderter Kinder in Charlottenburg-Wilmersdorf, nicht die erwartete Leistung erbracht wird – zu Lasten eben dieser Kinder – dann ist die getroffene Entscheidung mehr als fragwürdig. Unzumutbare Wartezeiten für die Schüler, nicht fachgerechte Fahrzeuge, fehlendes Personal… Wieso wird ein solcher Preiskampf auf den Schultern der Betroffenen ausgetragen? Eigentlich sollte es doch um deren Belange gehen!
Nicht erst mit Hartz IV wurde das Sparen zum Dogma erhoben. Schon die “Gesundheitsreform” erzwang Einsparungen und Kürzungen, die alle mit mindestens zehn Euro im Quartal zu spüren bekommen. Noch deutlicher wirken sich diese Maßnahmen auf unverzichtbare Leistungen für Schwerst- und Mehrfachbehinderte aus: Sparbeschlüsse entsprechen drastischen Einschnitten in die Lebensqualität.
Auch soziale Leistungen müssen finanzierbar sein – das steht außer Frage. Ebenso klar sollte jedoch sein, dass Politik Entscheidungen zum Wohle der Menschen zu treffen hat. Eine Politik aber, die derart auf Kosten von Bedürftigen spart, kann man nicht anders nennen als kurzsichtig und unsozial.
Benjamin Apeloig, Jürgen Hornig