Thema des Monats Mai 2005

Discounter auf dem Vormarsch - Gefahr für Charlottenburg-Wilmersdorf?

Die Bezirksverordnetenversammlung diskutiert

Die FDP-Fraktion hat in der letzten BVV am 28. April eine Große Anfrage zur Situation von Handel und Gewerbe in Charlottenburg-Wilmersdorf gestellt. Dabei geht es vor allem um das zunehmende Angebot von Discountern und Einkaufszentren, die den alteingesessenen Handel in den Einkaufsstraßen gefährden. Aktuell ist das Gewerbegebiet auf dem ehemaligen Güterbahnhof Halensee in den Blick gerückt, während auf dem ehemaligen Bahngelände an der Heilbronner Straße bereits einige Discounter in Betrieb sind.

SPD-Fraktion

Inzwischen gehört es zum Alltag und ist zum regelrechten Volkssport geworden: Billig einkaufen um jeden Preis! Doch dieser Trend zum Discounter hat eine bittere Seite: Kleinere Geschäftsstraßen verlieren an Bedeutung und auch die für einen Innenstadtbezirk notwendige Lebendigkeit der Kieze verliert sich zunehmend.
Denn die Ansiedlung von Billiganbietern führt zur zunehmenden Verdrängung des traditionellen, mittelständischen Einzelhandels und damit zu leider meist negativen Strukturveränderungen ganzer Straßen.
Natürlich gibt es auch positive Beispiele: So hat der Media Markt in der Wilmersdorfer Straße einen wichtigen Impuls für die Einkaufsstraße insgesamt gegeben.
Doch in der Regel bleiben die Gefahren der Überkonzentration von solchen Märkten am Rande von Wohngebieten. Die Ansiedlung von Discountern oder Großmärkten, so erwünscht Arbeitsplätze sind, wird zum negativen Nullsummenspiel, wenn dadurch ansässige mittelständische Gewerbebetriebe verdrängt werden.
Die Bezirkspolitik ist hier seit langem aktiv. Wir unterstützen die Bündnisse der Gewerbetreibenden in den Einkaufsstraßen und versuchen den engen Rahmen des Planungs- und Baurechtes auszuschöpfen, ohne dass die öffentlichen Kassen belastet werden. Letztendlich sind aber wir als Verbraucherinnen und Verbraucher diejenigen, die sich zu entscheiden haben und damit beeinflussen, ob sich der nächste Discounter immer noch rechnet.
Wolfgang Brandt

CDU-Fraktion

Die Frage, ob und in wieweit die zunehmende Verbreitung von Discountmärkten in Charlottenburg-Wilmersdorf eine Gefahr darstellt, kann man nicht undifferenziert und pauschal mit ja oder nein beantworten. Damit würde man es sich zu einfach machen. Vielmehr kommt es nach Auffassung der CDU-Fraktion wie in anderen Fällen auch auf eine Einzelfallbetrachtung an. Discountmärkte haben dort ihre Berechtigung, wo sie zum einen der Nahversorgung der umliegenden Anwohner dienen, sich in das bauliche Umfeld einfügen und zum anderen die gewachsene Einzelhandelsstruktur nicht zerstören. Gerade aus wirtschaftspolitischer Sicht ist der CDU-Fraktion der Erhalt und die Sicherung der bestehenden, über viele Jahre hinweg entstandenen mittelständischen Strukturen ein besonderes Anliegen. Die Eröffnung eines neuen Discountmarktes darf somit nicht dazu führen, dass im näheren Umfeld kleinere Betriebe wie zum Beispiel Bäckereien, Fleischereien oder Elektrogeschäfte schließen müssen. Die Folge davon wäre ja nicht nur die Vernichtung von bestehenden Existenzen, sondern auch eine Zunahme von leer stehenden Gewerbeimmobilien. All dieses würde zu einer nachhaltigen und von der CDU-Fraktion nicht gewünschten Veränderung der Stadtquartiere führen. Dort, wo die vorbeschriebenen Veränderungen aber nicht zu befürchten sind, können Discountmärkte eine durchaus sinnvolle Ergänzung zu den bereits bestehenden Leistungsangeboten sein.
Stefan Häntsch

Fraktion Bündnis 90/Die Grünen

Jüngstes Beispiel der Ansiedlung ist an der Gervinus-/Heilbronner Straße auf ehemaligen Bahnflächen: Lidl, Plus & Aldi, wo eigentlich im Flächennutzungsplan ein übergeordneter Grünzug vorgesehen war?! Es wurde viel geredet, und vielleicht haben einige Bezirksverordnete alles in ihrer Macht stehende versucht; doch der Bezirk kapitulierte vor den Ansiedlungs-Strategien der Einzelhandels-Ketten.
Als “Schadensbegrenzung” oder aus Ignoranz gegenüber dem klar artikulierten Anliegen der Anwohner wird dann ein zwischen dem verbleibenden Bahndamm und der Discounter-Wand eingezwängter Fußweg mit öffentlichem Wegerecht noch als Erfolg dargestellt. Den unzufriedenen Wählern wird erklärt, dass “Sachzwänge” kein anderes Handeln zuließen, dass “bestehendes Baurecht” dem Ansinnen nach mehr Lebensqualität und Stadtökologie einen Riegel vorschiebe.
Was ist uns eine Frischluftschneise oder der Blick auf nicht verwertbares Grün wert? Stadtplanung kostet Geld. Das Verwertungsinteresse der Bahn darf nicht im Vordergrund stehen. Was bleibt aber von der Stadt, wenn die Billigmärkte mit Parkplätzen die kleinen Geschäfte im Kiez verdrängen? Vielleicht das Versprechen beim nächsten “Fall” gemeinsam an einem Strang zu ziehen. Eine neue Herausforderung gibt es schon – den alten Güterbahnhof Halensee. Und diesmal sind die politischen Mehrheiten vielleicht andere.
Sibylle Centgraf

FDP-Fraktion

Die Zeiten ändern sich, und die Politik kann es nicht aufhalten. Die Tante-Emma-Läden starben aus, verdrängt von Supermärkten – selbst Udo Jürgens war dagegen machtlos. Nun entstehen Einkaufszentren, und sie wiederum gefährden die gesamte überkommene Handelsstruktur. Mehr noch – die hässlichen Zweckbauten für die Discounter verschandeln traditionelle Stadtbilder. Was soll die Politik tun? Den Strom aufhalten kann sie nicht, wohl aber auf ihm steuern. Für die FDP heißt das: Einerseits kann der Bezirk nicht wollen, dass die gesamte Kaufkraft ins Umland wandert, wo die Zentren auf der grünen Wiese wachsen. Andererseits sollen traditionelle Einkaufsgebiete wie die Reichs-, die Wilmersdorfer oder die Uhlandstraße geschützt und erhalten werden. Außerdem kann der Bezirk nicht zulassen, dass sein Stadtbild von 08/15-Einkaufstempeln verschandelt wird. Also bedarf es einer vorsichtigen Ansiedlungspolitik mit Augenmaß: Die Discounter und ihre Kunden sollen auch im Bezirk ihre Chance haben – aber dort, wo sie traditionellen Einzelhandel nicht durch unmittelbare Nähe gefährden und dort , wo sie ohnehin keinen Schaden fürs Stadtbild anrichten. So unideologisch gedacht, kann sich die FDP vorstellen, dass beispielsweise der Standort Spandauer Damm für Discounter realisiert wird.
Jürgen Dittberner

Fraktionslose Bezirksverordnete (Die Linkspartei.PDS)

Discounter stehen zuerst einmal für Wettbewerb und Preis-Dumping. In vieler Politiker und Wirtschaftsweiser Augen ja das einzig probate Mittel, um Deutschland wieder auf die Siegerstraße zu führen…
Aber selbstverständlich sind die meisten Discounter keine ästhetische Bereicherung – weder architektonisch noch atmosphärisch. Und selbstverständlich schaden Discounter dem Einzelhandel. In Charlottenburg gab es im Jahr 2002 mehr als doppelt so viel Verkaufsfläche pro Einwohner als – nach Einschätzung der IHK – rentabel wäre. Am gewerblichen Leerstand lassen sich die Folgen dieses Ungleichgewichts längst erkennen.
Allerdings muss man auch die Kehrseite sehen: Charlottenburg-Wilmersdorf gehört wahrlich nicht zu den reichen Bezirken Berlins. Im city-nahen Bereich liegt die Arbeitslosigkeit laut bezirklichem Sozialbericht 2004 sehr deutlich über 10 %. Die meisten dieser Menschen sind vermutlich froh, dass sie nicht im Feinkosthandel ihr täglich Brot erstehen müssen.
Nur treiben die Discounter diese Spirale stets weiter nach unten: Sie zahlen niedrige Löhne – meist nicht einmal an Fachpersonal – und zerstören so die gewachsenen Strukturen des Einzelhandels. Sie verschwenden keinen Gedanken an die Menschen, deren Arbeitsplätze sie vernichten. Aber sind Discounter deshalb gleich Heuschreckenschwärme? Viele Berliner sind darauf angewiesen, wenig Geld auszugeben.
Benjamin Apeloig, Jürgen Hornig