Thema des Monats Februar 2006

Wahlrecht ab 16

Die Bezirksverordnetenversammlung diskutiert

Am 17. September dürfen erstmals in Berlin Jugendliche ab 16 an der Wahl teilnehmen, allerdings nur für die Bezirksverordnetenversammlungen, nicht für das Abgeordnetenhaus. Die Bezirksverordneten sehen diese Änderung des Berliner Wahlrechts aus verschiedenen Perspektiven.

SPD-Fraktion

“Die wissen doch gar nicht mit ihrer Stimme richtig umzugehen.” So lautet eines der gängigen Vorurteile nach dem Beschluss des Berliner Abgeordnetenhauses, bei den kommenden Wahlen zur BVV am 17. September erstmals auch 16 bis 18jährige mitwählen zu lassen.
Der SPD-geführte Berliner Senat hat mit der Absenkung des Wahlalters einen wichtigen Beitrag zur Demokratisierung geleistet. Das Vorhaben war und ist uns wichtig. Auch deshalb wurde es bereits in die Koalitionsvereinbarung des rot-roten Senats aufgenommen. Und die SPD hielt Wort. Mit Ausnahme der CDU stimmten alle Mitglieder des Berliner Abgeordnetenhauses im letzten Jahr einem entsprechenden Antrag zu. Berlin ist damit das sechste Bundesland, das eine solche Initiative umsetzt.
Auch in Charlottenburg-Wilmersdorf kämpft die SPD stets für mehr Demokratie. Sei es bei der Einrichtung der Bürgerfragestunden zu Beginn einer jeden BVV, dem Kampf um die Umsetzung des Informationsfreiheitsgesetzes oder auch durch die Einrichtung des Kinder- und Jugendparlaments (KJP) – alles Initiativen, die auf die SPD zurückgehen. Das KJP war dabei ein wichtiger Meilenstein. “Die wissen doch gar nicht…”, lautete auch damals eines der gängigen Vorurteile. Die Jugendlichen haben durch ihr Engagement und ihre Ernsthaftigkeit allen Skeptikern das Gegenteil bewiesen. Ihre Initiativen und Anträge haben den Bezirk voran gebracht. Sie interessieren sich wohl mehr für Politik als es manchem lieb ist.
Fréderic Verrycken

CDU-Fraktion

Vor ungefähr einem halben Jahr wurde ein Antrag in die Bezirksverordnetenversammlung eingebracht, mit dem die Herabsetzung des Wahlalters auf 16 Jahre bei den Kommunalwahlen erreicht werden sollte. Eigentlich war dieser Antrag gegenstandslos, da eine Mehrheit im Abgeordnetenhaus sicher war.
Die CDU-Fraktion hat dann als einzige Fraktion einen neuen Ansatz gewählt, indem sie die Herabsetzung des aktiven Wahlrechts auf 16 Jahre auch für die Abgeordnetenhauswahlen forderte. Wir freuen uns, dass sich der CDU-Antrag durchgesetzt hat. Schade, dass gerade SPD und Grüne lange gebraucht haben, um sich zu einer Zustimmung zu entscheiden.
Konsequent unterstützt die CDU-Fraktion auch sehr viele Anträge des Kinder- und Jugendparlaments oder auch des Bezirksschülerausschusses. Wo Kinder und Jugendliche sich ernsthaft in politische Belange einbringen wollen, werden wir sie ernst nehmen und als seriöse Partner behandeln.
Problematisch sind Informationen, dass bei den “Probewahlen” zum Deutschen Bundestag Mitarbeiter des Bezirksamtes in Charlottenburg-Nord einseitig Kinder und Jugendliche bei der Abgabe ihrer Stimme beeinflusst haben. Hier gilt es, gerade für Mitarbeiter strikte Neutralität zu wahren, die die CDU-Fraktion mit aller Entschiedenheit einfordern wird!
Andreas Statzkowski

Fraktion Bündnis 90/Die Grünen

Seit Jahren setzen sich Bündnis 90/Die Grünen für ein Wahlrecht unter 18 ein. Immer schon erschien es unverständlich, warum Jugendliche, die Verantwortung in ihrem Beruf, in der Schule oder in Sportvereinen übernehmen, von politischen Prozessen ausgeschlossen bleiben sollen. Dass Jugendliche teilhaben möchten an Entscheidungen, die ihr unmittelbares Lebensumfeld betreffen, zeigt das Engagement des Kinder- und Jugendparlaments in unserem Bezirk. Wenn Schule auch zum Ziel hat, politische Meinungsbildung zu entwickeln und voranzutreiben, dann sollten logischerweise Jugendliche nach Abschluss der 10. Klasse, also nach Verlassen der Schule, politisch mitbestimmen und wählen dürfen. Mit dem Wahlrecht ab 16 Jahren ist ein Weg gewiesen, der viel beschworenen Politikverdrossenheit entgegenzuwirken. Diesen Weg hat das Abgeordnetenhaus endlich freigemacht, bei den nächsten Wahlen zur BVV dürfen Jugendliche, die das 16. Lebensjahr vollendet haben, ihre Stimme abgeben. Einzig die CDU stimmte nicht für die Verfassungsänderung.
Doch damit ist für uns Grüne die Diskussion noch nicht beendet. Wir setzen uns darüber hinaus für eine Absenkung des Wahlalters bei Landtags- und Bundestagswahlen ein.
Jochen Wieseke

FDP-Fraktion

Berlin trottet hinterher: In Nordrhein-Westfalen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und ab 2006 nun auch in Berlin kann man auf der bezirklichen Ebene mit 16 Jahren wählen. Doch warum gilt das nicht fürs Abgeordnetenhaus? Offenbar ist die Landespolitik dem Gesetzgeber wichtiger als die Bezirke. Und sie sollen sich ja nicht damit brüsten, dass das aktive Wahlrecht ab 16 eine große Errungenschaft wäre. Mehr Bürgerbeteiligung auf kommunaler Ebene gibt es in anderen deutschen Ländern schon lange: Dort hat man mehrere Stimmen und kann bei Kandidaten häufeln (“kumulieren”), ja sogar die Stimmen auf verschiedene Listen verteilen (“panaschieren”). Nicht nur Parteien, auch Bürger, können dort Listen aufstellen. Und die Direktwahl des Bürgermeisters ist bereits bis Brandenburg vorgedrungen. Nur in Berlin gibt es so etwas nicht. Was das bezirkliche Wahlrecht angeht, ist die deutsche Hauptstadt obrigkeitlich, nicht bürgerfreundlich. Die Schwalbe “Wahl mit 16” macht noch keinen bürgerschaftlichen Sommer. Da müssten noch weitere Vögel einfliegen.
Jürgen Dittberner

Fraktionslose Bezirksverordnete (Die Linkspartei.PDS)

Die Politikverdrossenheit wächst? – Eher ist wohl die Parteienverdrossenheit gemeint. Daher müssen junge Menschen, die auf Jahre hin dieses politische System tragen sollen, so früh wie möglich an politischen Prozessen beteiligt werden. Gerade auf kommunaler Ebene stehen derzeit Entscheidungen an, die das unmittelbare Umfeld dieser Jugendlichen auf Jahrzehnte hinaus beeinflussen.
Sie werden praktisch an die Politik herangeführt und sehen insbesondere bei Bürgerbegehren und -entscheiden, was ihre Beteiligung bewirken kann. Insofern scheint das Argument der mangelnden politischen Reife – ist diese wirklich altersabhängig? – nicht besonders verfänglich. Denn es geht um ganz konkrete Projekte.
Da die mediale Berichterstattung derzeit nicht sonderlich zur politischen Aufklärung beiträgt, sollten sich Bezirksämter und Parteien als Wahlhelfer betätigen – und zwar überparteilich. Die jungen Wahlberechtigten müssen wissen, welchen Einfluss kommunale Politik nehmen kann, damit sie im Nachhinein nicht enttäuscht sind. Denn leider ist es bis zum allgemeinen (auch passiven) Wahlrecht für Jugendliche ab 16 wohl noch ein langer Weg. Allerdings hat die Linkspartei.PDS in Berlin auch auf das erste Teilstück drei andere Parteien mitgenommen…
Benjamin Apeloig, Dr. Günther Bärwolff