Thema des Monats Juli 2008

Chancen des Bürgerhaushalts

Die Bezirksverordnetenversammlung diskutiert

Zentrale Informationsveranstaltung "Markt der Angebote" am 24.9.2007 auf dem Rundhof des Rathauses Wilmersdorf

Zentrale Informationsveranstaltung "Markt der Angebote" am 24.9.2007 auf dem Rundhof des Rathauses Wilmersdorf

Seit Anfang diesen Jahres können die Bürgerinnen und Bürger bereits mit einem Fragebogen ihre Schwerpunkte zu den Investitionen des Bezirks bis 2013 setzen und damit Einfluss auf die Entscheidungen zur langfristigen Planung in Charlottenburg-Wilmersdorf nehmen. In den letzten Jahren lernen europäische – und auch deutsche – Kommunen insbesondere von den positiven Erfahrungen des Bürger-Beteiligungshaushalts (“orcamento participativo”) der brasilianischen Millionenstadt und Landes-Hauptstadt Porto Alegre. Die Erfahrungen aus über 10 Jahren dort und die ersten Ansätze in Europa und Neuseeland zeigen, dass “Bürgerhaushalte” Erfolgsstrategien für einen sachgerechten Haushalt sein können, eine soziale Stadtentwicklung ermöglichen, die Akzeptanz von schwierigen Haushaltsentscheidungen erhöhen und insgesamt die Glaubwürdigkeit der Demokratie stärken.

SPD-Fraktion

Demokratie lebt von der Beteiligung vieler Bürgerinnen und Bürger! Deren Mitwirkungsmöglichkeiten gewinnen auch im Rahmen der Haushaltspolitik immer mehr an Bedeutung. Gerade bei knappen Haushaltsmitteln ist die Frage, wie die Prioritäten bei der Verwendung gesetzt werden, von entscheidender Bedeutung. Bürgerinnen und Bürger sollen sich einmischen und in den Entscheidungsprozess, wofür die vorhandenen Haushaltsmittel eingesetzt werden, einbezogen und beteiligt werden. Deshalb stellt der Bürgerhaushalt ein wichtiges Instrument der aktiven Bürgerbeteiligung dar! Der Bürgerhaushalt bietet die Möglichkeit, mehr Transparenz über den Haushalt und die Haushaltsplanung zu schaffen und den Dialog zwischen Bürgern, Politik und öffentlicher Verwaltung zu fördern. Die SPD-Fraktion wird deshalb auch weiter den Prozess zur Einführung eines Bürgerhaushaltes im Bezirk unterstützen.
Constanze Röder

CDU-Fraktion

Die CDU-Fraktion findet es richtig, die Menschen an der Planung für ihren Bezirk zu beteiligen. Genau hier liegt aber auch das Problem. Wenn es zu den Baumaßnahmen für die Jahre 2010, 2011 auf der Internetseite von Charlottenburg-Wilmersdorf heißt, die Bürger könnten hierfür Prioritäten setzen, so wird ein falscher Eindruck erweckt. Die Bürger können Wünsche äußern, die später ergebnisoffen in BVV und BA debattiert werden. Den Kiezkonferenzen kommt insofern nur beratende Funktion zu. Sie werden jedoch auch nicht eingegrenzt auf die Themen, die tatsächlich in die Kompetenz des Bezirks fallen. Im Ergebnis kann es also passieren, dass eine Prioritätenliste wegen Unzuständigkeit beerdigt wird. Dieses Verfahren ist ärgerlich, birgt es doch die Gefahr, mehr Frustration als Befriedigung zu erzeugen. Anstatt echte Mitsprache zu ermöglichen, gibt man sich lediglich den Anschein der Bürgernähe. Die CDU-Fraktion ist zu Recht vorsichtig mit plebiszitären Elementen. Wenn man sie aber einführt, dann richtig. Hier ist man – wie beim Volksentscheid – auf halbem Wege stehen geblieben.
Peter Raabe

Fraktion Bündnis 90/Die Grünen

Mit der Kiezkonferenz am 08.07. setzt der Bezirk den Startschuss für die nächste Stufe der Bürgerbeteiligung. Zukünftig soll nicht nur eine Befragung zu Bauvorhaben stattfinden, sondern auf den Konferenzen können alle Anregungen und Ideen für den eigenen Kiez eingebracht und diskutiert werden. Die BVV wird über die Umsetzungsmöglichkeiten entscheiden und Ihnen Rechenschaft darüber geben. Damit haben Sie die Möglichkeit, Ihre Anliegen direkt in die bezirklichen Gremien einzubringen. Wir hoffen, dass die Bezirkspolitik transparenter und bürgernäher wird, damit aus Politik für Bürger/-innen eine Arbeit mit Bürgern/-innen wird. Die grüne BVV-Fraktion will diese Form der direkten Beteiligung dauerhaft in der Bezirkspolitik etablieren und in die zukünftigen Haushaltsberatungen mit einbeziehen.
René Wendt

Die Linke

Chance ja – aber reicht das? Der Bürgerhaushalt – in Berlin wesentlich auf das Engagement der Linken zurückzuführen – ist ein zusätzliches Mittel der Bürgerbeteiligung, ein weiterer Schritt auf dem Weg zur direkten Einbindung der Bürger in politische Entscheidungsprozesse – oder soll es zumindest sein. In der Einheitsgemeinde Berlin werden Haushaltsentscheidungen allerdings zu einem hohen Prozentsatz auf Landesebene getroffen, selbst die an die Bezirke überwiesenen Haushaltsmittel sind zu weit über 90 Prozent bereits fest verplant, bevor eine Beteiligung der Bürger überhaupt ansetzen kann. Die – eigentlich gewollte – Einbindung der Bürger mutet vor diesem Hintergrund eher zierlich an, um es höflich auszudrücken. Berlin braucht daher eine umfangreiche Strukturreform: mehr Kompetenzen, mehr finanzielle Ausstattung und mehr Kooperationen in den Bezirken geben erst die Möglichkeit, politische Teilhabe der Bürger auch realitätsbezogen zu organisieren und auszubauen. Dann erst wird das Instrument des Bürgerhaushaltes halten können, was sein Name verspricht.
Hans-Ulrich Riedel