Thema des Monats Juni 2014

Rathaus-Umzug nun auf Kosten der meritorischen Güter?

Die Bezirksverordnetenversammlung diskutiert

Standesamt Schmargendorf, Foto: Raimund Müller

Standesamt Schmargendorf, Foto: Raimund Müller

Das Bezirksamt hat das Rathaus Wilmersdorf abgegeben, um jährlich rund 3 Millionen Euro einzusparen. Bis zum Ende dieses Jahres muss das Gebäude leer gezogen werden, um für andere Behörden Platz zu machen. Fast alle Ämter und Einrichtungen des Bezirksamtes müssen umziehen und zusammenrücken, damit die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus dem Rathaus Wilmersdorf an anderen Standorten untergebracht werden können. Mit dem Begriff “meritorisch” bezeichnen die Wirtschaftswissenschaften Güter, die privat nicht so stark nachgefragt werden wie es gesellschaftlich erwünscht ist und die deshalb durch staatliches Handeln gefördert werden sollten. Dazu gehören beispielsweise Schulbildung, Jugendbetreuung und Kultur.

CDU-Fraktion

Die Frage, ob die angestrebten jährlichen Millioneneinsparungen von Infrastrukturkosten die Aufgabe des Rathaus Wilmersdorf rechtfertigen, ist legitim. An dem Plan, Kultureinrichtungen aus dem Rathaus Schmargendorf in den Hort der Carl-Orff-Grundschule zu verlagern, hat sich eine heftige Diskussion entzündet. Die Sorge, ob nicht durch einen vermeintlich kurzfristigen Erfolg langfristig die gewachsenen und gut angenommenen Strukturen der bestehenden Bildungseinrichtungen zerstört werden, muss ernst genommen und eine sachdienliche Debatte geführt werden.
Deshalb ist es richtig, dass wir uns die Zeit nehmen zu prüfen, ob und wenn ja welche Umzugsalternativen bestehen, und mit den Betroffenen vor Ort gemeinsam nach Lösungen für anstehende Schwierigkeiten zu suchen. Die angestrebten Einsparungen sollen auch dazu beitragen, die Kultureinrichtungen und Angebote für Kinder in ihrer Existenz zu sichern. Es wird Aufgabe des Bezirksamtes im Zusammenwirken mit der Bezirksverordnetenversammlung sein, eine behutsame und verträgliche Lösung zu finden.
Marion-Ise Halten-Bartels

SPD-Fraktion

Die BVV hat beschlossen, das Rathaus Wilmersdorf aufzugeben. Dieser Entschluss ist der SPD-Fraktion nicht leicht gefallen, aber um andere wichtige Leistungen im Bezirk weiter aufrecht erhalten zu können, war dieser Beschluss nicht zu umgehen. „Meritorische Güter“, laut Wikipedia „Verdienstvolle Güter“, werden im Bezirk nicht gedankenlos aufgegeben. Ein Umzugsvorhaben dieser Größenordnung ist nicht leicht zu stemmen, daher kommt es aktuell in vielen Bereichen zu räumlichen Veränderungen und Anpassungen, die leider nicht jedem gefallen. Wir wollen jedoch soviel wie möglich erhalten und weiterführen, damit Sie die bezirklichen Angebote nutzen können. Meritorische Güter sind Güter, die ein Mensch unabhängig von seiner individuellen Leistung verdient. Sie alle verdienen sicher mehr dieser Güter, als Ihnen der Bezirk zur Verfügung stellen kann. Deshalb lassen wir auch in unseren Bemühungen nicht nach, gegenüber der Landesebene eine ausreichende Finanzierung der Bezirke einzufordern.
Annegret Hansen

Fraktion Bündnis 90/Die Grünen

Bildung, Bibliotheken, Kultur – all diese meritorischen Güter fördert der Bezirk. Um handlungsfähig zu bleiben, muss der Bezirk allerdings auch schonend mit seinen Ressourcen umgehen. Deshalb wurde auf Vorlage des damaligen CDU-Stadtrates Gröhler beschlossen, das Rathaus Wilmersdorf aufzugeben. Doch jetzt zeigt sich, dass das Konzept so nicht ganz aufzugehen scheint. Die Theorie passt sich nicht der Realität an. So wird versucht, Räume zu sparen in Horten oder die Verlagerung der Musikschule aus dem Rathaus Schmargendorf, aus Räumen, die erst vor einigen Jahren dort mit viel Geld hergerichtet wurden. Das alles ohne Beteiligung der Betroffenen, ohne Konzept im Hintergrund. Funktionierende Bildungsstandorte sollte man nicht so leichtfertig aufgeben. Ressourcen sparen ja, aber nicht auf Kosten der meritorischen Güter, sondern um sie zu erhalten.
Ansgar Gusy

Piraten-Fraktion

Vor knapp zwei Jahren hat die Mehrheit der BVV beschlossen, das Rathaus Wilmersdorf aufzugeben. Hintergrund waren die durch den Senat vorgegebenen Haushaltseinsparungen. Damals war es Konsens, gerade nicht an den freiwilligen Leistungen zu sparen, die einen Mehrwert für den Bezirk darstellen.
Bei den durch den Umzug bedingten Vorgängen um die Carl-Orff- und die Musikschule sieht man jetzt, dass – wie in Berlin üblich – doch wieder die Kultur, die Bildung, Bibliotheken und der Musikunterricht am Ende die Leidtragenden sind. Denn diese Ausgaben sind freiwillig und gehören leider noch nicht zu den Pflichtaufgaben des Staates.
Eine solche Politik wird sich noch als teuer erweisen, denn Leben ist mehr als Arbeiten und RTL. Kultur und Bildung gehören mit zu einem erfüllten Leben und dürfen nicht nur eine beliebige Jongliermasse in Haushalts- oder Umzugsüberlegungen sein.
Holger Pabst

Die Linke

Dass die Sache mit der Rathaus-Aufgabe noch sehr schwierig werden würde, war absehbar – und vereinzelte Bezirksverordnete hatten damals – vergeblich – darauf hingewiesen.
Dass infolge des Umzugskarussells nun sogar Kultur- und Bildungseinrichtungen betroffen werden, hätten nur die überzeugtesten Pessimisten vorhergesagt. Ja, wir müssen sparen und ja, hier und dort kann auch “zusammengerückt” werden. Dass das allerdings Hortkinder machen sollen und junge Menschen, die etwas sehr Lobenswertes tun, nämlich Musik lernen, ist falsch. Sie haben diesen nicht zu Ende gedachten Umzug nicht geplant – und wahrscheinlich hätten sie besser rechnen können als manche Verantwortlichen.
Wenn Kultur, Bildung, Gesundheit und andere Gemeingüter zum Wegsparen freigegeben werden, ist davor irgendetwas sehr fehlerhaft gelaufen – und ein unglaubliches Armutszeugnis für einen Bezirk, der sich gerne “City” West nennt.
Übrigens ist es ein Gerücht, dass es “keine Alternative” gibt. Wer sie möchte, findet sie!
Marlene Cieschinger