Thema des Monats Dezember 2022

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Wie weiter mit der Wilmersdorfer Straße?

Die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Charlottenburg-Wilmersdorf diskutiert

Treffpunkt, Einkaufserlebnis und Aufenthaltsqualität – das sind nur einige Kriterien, die von einer attraktiven Fußgängerzone erwartet werden. Die Wilmersdorfer Straße war die erste Fußgängerzone Berlins und hat einen wichtigen Stellenwert im Bezirk. Wie sieht ihre Zukunft aus? Im Folgenden nehmen die Fraktionen der BVV zu diesem Thema Stellung.

B‘90/Grünen-Fraktion

Die Coronapandemie zeigte, wie wichtig persönlicher Austausch ist. Einkaufsstraßen mit hoher Aufenthaltsqualität und bezahlbaren Mieten wie die Wilmersdorfer Straße leisten dazu einen wichtigen Beitrag und beleben die City-West. Die Geschäfte brauchen Unterstützung, um auch die Vorteile des Online-Handels nutzen zu können. Wir verbessern die Aufenthaltsqualität der Wilmersdorfer Straße. So verlängern wir die Flaniermeile bis zur Bismarckstraße, schaffen mehr Grün an und auf Häusern und pflanzen mehr Bäume, die Schatten spenden. Ebenso brauchen wir mehr Sitzmöglichkeiten. Mit Abstellplätzen für Fahrräder und kostenlosem Lastenradverleih wird die Wilmi gut erschlossen. Mit dem Standortmanagement Wilmersdorfer Straße wird ein neues Leitbild entwickelt für eine Strahlkraft in den Bezirk und besonders für Familien. Wir brauchen dazu öffentliche Einrichtungen, wie beispielsweise eine Bibliothek und temporäre (Kultur-) Aktionen. Der Verlust von Karstadt soll nicht nur durch andere Läden, sondern auch öffentliche und gemeinwohlorientierte Nutzungen kompensiert werden. So bleibt die Wilmersdorfer Straße die Einkaufsstraße für den Bezirk – unabhängig vom Geldbeutel.

Herbert Nebel

SPD-Fraktion

Mit dem im letzten Jahr auf Initiative der SPD-Fraktion gestarteten Standortmanagement „Wilmersdorfer Straße“ haben wir ein Instrument geschaffen, um die Weiterentwicklung der Einkaufsstraße voranzutreiben. Darauf muss jetzt aufgebaut und gemeinsam mit den Gewerbetreibenden endlich Konzepte erarbeitet werden, um die Einkaufsstraße insgesamt neu auszurichten und zukunftsfest zu machen. Denn nicht nur für das Karstadt-Gebäude gilt, dass man zusammen nach neuen Nutzungsmöglichkeiten und damit einhergehend nach einem ansprechenden Mix aus Geschäften, bezirklichen Institutionen und z. B. Kultureinrichtungen suchen muss. Die Wilmersdorfer Straße muss damit einhergehend sowohl im Interesse der Anwohner:innen als auch der dort beschäftigten Arbeitnehmer:innen dauerhaft aufgewertet werden. In diesem Rahmen wird es ein wichtiger Bestandteil sein, wie es mit dem Karstadt-Standort bzw. der Immobilie weitergeht, denn diese ist ein wichtiger Ankerpunkt für die gesamte Einkaufsstraße.

Alexander Sempf

CDU-Fraktion

Die CDU-Fraktion setzt sich weiterhin für intelligente Lösungen für die Wilmersdorfer Straße ein, welche die unterschiedlichen Interessen von Einzelhändlern, Kunden und Passanten unter einen Hut bringt. Dem inzwischen weit verbreiteten Leerstand muss begegnet werden. Dabei sind mit den Vermietern von Ladenlokalen auch mögliche Zwischennutzungen, wie zum Beispiel Showrooms für Handwerksbetriebe, zu besprechen. Wir sind und bleiben mit den Gewerbetreibenden, allen voran der Arbeitsgemeinschaft Wilmersdorfer Straße im Dialog, um die Aufenthaltsqualität in der Einkaufsstraße zu erhöhen. Auch dem Thema Sicherheit und Ordnung muss durch stärkere Präsenz von Ordnungskräften und der BSR mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden, Fahrradfahrende und Nutzende von Elektrokleinstfahrzeugen dürfen die Fußgängerzone nicht missbrauchen. Wir setzen uns für mehr und attraktivere gastronomische Angebote ein, auch temporäre Kunstausstellungen sind denkbar. Mit der Erweiterung der Fußgängerzone nach Norden bieten sich neue Möglichkeiten, die nun auch genutzt werden müssen.

Manuel Sandvoß

FDP-Fraktion

Durch verändertes Einkaufsverhalten und vermeintliches Missmanagement zu Lasten der Beschäftigten wird wahrscheinlich Karstadt aus der Wilmersdorfer Straße verschwinden. Diese Entwicklung war absehbar. Durch fehlende Ideen zur Neu- und Umgestaltung der Fußgängerzone hat die Attraktivität der Wilmersdorfer Straße gelitten. So verschleppt der Bezirk seit Jahren die geplante Verlängerung und Aufwertung der Fußgängerzone. Sollte das Gebäude von Karstadt jetzt längere Zeit leer stehen, droht ein weiterer Attraktivitätsverlust. Hier ist die Wirtschaftsförderung gefragt. In dem Ende des Warenhauses kann auch eine Chance liegen. Für uns bedeutet es die Möglichkeit, den individuellen Einzelhandel zu stärken und das Angebot zu erweitern, um die Vielfalt unseres Bezirkes auch im Handel zu zeigen. Dazu gehört die Genehmigung von gastronomischen Einrichtungen in der Straße mit attraktiven Öffnungszeiten, die auch eine Ansiedlung von kulturellen Angeboten wie Kleinkunstbühnen einschließt. Die bloße Rettung des Warenhauses rettet jedenfalls nicht die Wilmersdorfer Straße vor einem Bedeutungsverlust.

Felix Recke-Friedrich

Linksfraktion

Vor 50 Jahren begann mit der Wilmersdorfer Straße das „Experiment“ der ersten Einkaufsstraße Berlins nur für Fußgänger:innen. Der Autoverkehr wurde verbannt. Dem Handel schadete es nicht. Im Gegenteil: Die Wilmersdorfer Straße wurde zu einem Vorbild für weitere Einkaufsstraßen in Berlin. Die Wilmersdorfer hat ein anderes Problem. Überdimensionierte Einkaufszentren befinden sich nicht erst seit der Zunahme des Online-Versandhandels im Niedergang. Zwielichtigen Investor:innen wie René Benko mit seiner Galeria-Karstadt-Kaufhof ist der Zustand der Innenstädte egal. Sie haben es auf die Subventionierung durch Steuergelder und vor allem die wertvollen Immobilienstandorte abgesehen. Das veraltete Konzept einer reinen Einkaufsstraße ist das größte Problem der Wilmersdorfer Straße. Statt einer seelenlosen Shoppingmeile braucht es einen attraktiven Standort für Kleingewerbe – genauso wie für unkommerzielle Freiflächen, soziale Infrastruktur, Spielplätze und Grünflächen. Die Politik muss Anreize setzen, damit aus der Einkaufsstraße eine lebendige Wilmersdorfer Straße für alle wird.

Annetta Juckel

AfD-Fraktion

Der Wilmersdorfer Straße mangelt es an Attraktivität. Studien zeigen: In den kommenden Jahren sind in den Innenstädten mehr Leerstände zu erwarten. Leere Schaufenster beschleunigen die Abwärtsspirale weiter. Damit nicht immer mehr Kunden auf den Onlinehandel ausweichen, muss es wirklich Neues zu entdecken geben. Der Einkaufsbummel soll (wieder) Freude bereiten. Sicherheit und Sauberkeit sind Grundvoraussetzungen. Das Bezirksamt muss mit Handel und Immobilieneigentümern für eine abwechslungsreiche Gestaltung sorgen. Die Ausweisung der Wilmersdorfer Straße, wie bereits Kudamm und Tauentzien, zum Business Improvement District (BID) kann ein Anfang sein. Die Einrichtung von Fußgängerzonen ist jedenfalls kein Patentrezept. Das Bezirksamt leistet sich ein personell gut besetztes Integrationsbüro. Wir brauchen ein gut ausgestattetes Einkaufsstraßen-Büro. Dies könnte zusammen mit externen Experten Ideen für neue Geschäftskonzepte, für urbanes Wohnen, für Handwerk und Gewerbe im innerstädtischen Kontext entwickeln, ebenso für innovative Steuer- und Förderinstrumente.

Martin C. T. Kohler