Thema des Monats März 2021

Radfahrer im Staugeschehen

Rad- gegen Fußverkehr?

Wie verträglich sind Radwege in Grünanlagen und Fußgängerbereichen, beispielsweise in der Wilmersdorfer Straße?

In den folgenden Beiträgen nehmen die Fraktionen der BVV zu dem Thema Stellung. Das Thema wurde von der FDP-Fraktion vorgegeben.

SPD-Fraktion

Die SPD Berlin hat mit dem Mobilitätsgesetz Instrumente geschaffen, damit das Radfahren und das zu Fuß gehen attraktiver und sicherer werden. Sichere und schnelle Radwege dürfen dabei nicht zu Lasten der Fußgänger*innen gehen. Dies gilt für Fußgängerzonen und Grünlagen. Letztere haben den erholungssuchenden Bürger*innen, zu dienen, die dort spazieren gehen und Sport treiben. Die SPD-Fraktion kritisiert die Entwürfe von Radschnellwegen der senatseigenen Infravelo GmbH, die vorsehen den Radverkehr auf „Schnelltrassen“ auch durch das „Berliner Stadtgrün“ zu führen.
Wir sind erstaunt, dass ausgerechnet unter einer grünen Senatorin Entwürfe vorgelegt werden, die sogar Radwege des Vorrangnetzes durch ein Vogelschutzgebiet vorsehen. Es fehlen offensichtlich Vorgaben an die Infravelo. Radwege gehören in das Hauptverkehrsstraßennetz, wie die Bismarckstraße. Aufgrund der hohen Fußgängerdichte der Wilmersdorfer Straße, die kein breiter Boulevard ist, ist sie für einen Radweg nicht geeignet. Es ist allenfalls denkbar, dass Radfahrer*innen nachts nach Schließung aller Geschäfte in einer Fußgängerzone fahren dürfen, ohne dass diese als Bestandteil eines Radwegenetz deklariert wird.
Ansonsten gilt: Absteigen und schieben!

Dr. Jürgen Murach

CDU-Fraktion

Aus Sicht der CDU-Fraktion muss bei der Nutzungsplanung der öffentlichen Verkehrsräume das möglichst konflikt- und gefahrarme Miteinander der verschiedenen Verkehrsteilnehmer immer an erster Stelle stehen. Schon vor diesem Hintergrund verbietet es sich, Radschnellwege oder Radwege dort vorzusehen, wo Fußgänger Vorrang haben sollten. Dies ist unzweifelhaft in Fußgängerzonen wie beispielsweise in der Wilmersdorfer Straße oder in sonstigen verkehrsberuhigten Bereichen der Fall. Ein Zusammenbringen von Fußgängern und Radfahrern in diesen Bereichen würde nicht nur unvermeidbar zu Konflikten, sondern auch zu Gefahren für die Fußgänger führen, die sich hier doch aber gerade ungefährdet durch andere Verkehrsteilnehmer bewegen können sollen.
Ähnliches gilt auch für öffentliche Grünanlagen, in denen die Sicherheit der Fußgänger immer Vorrang haben sollte. Radschnellwege durch solche Anlagen kommen für die CDU-Fraktion Charlottenburg-Wilmersdorf daher nicht in Betracht. Denkbar ist hier allerdings das Erlauben der Fahrradnutzung auf dafür geeigneten und gesondert ausgewiesenen Wegen, wenn die Grünanlage hinsichtlich ihrer Größe und Lage eine Nutzung durch Radfahrer sinnvoll erscheinen lässt.

Christoph Brzezinski

B‘90/Grünen-Fraktion

Das von der FDP-Fraktion vorgegebene Thema ist ein Gegeneinander-Ausspielen des Umweltverbundes aus zu Fuß Gehen, Radfahren, Bahnen und Bussen. Für uns hat der Umweltverbund als Ganzes Vorrang. Wir wollen die Straßenflächen insgesamt fairer verteilen. Die Berliner*innen sind meistens zu Fuß, mit Bahn, Bus und dem Rad unterwegs. Warum wird dem Auto trotzdem immer noch etwa 60 Prozent des Platzes in der Stadt eingeräumt? (Mobilitätsatlas: Daten und Fakten für die Verkehrswende: www.boell.de/de/mobilitaetsatlas )
Wenn wir den Umweltverbund in der Stadt ernst nehmen – für lebendigere Kieze, auch um die Ziele des Klimaschutzes erreichen zu können – bedeutet das: weniger Platz für private Autos. Das Radwegenetz weist in unserem Bezirk einige Lücken auf. Damit das Radfahren attraktiver wird, braucht es eine gute Infrastruktur, die es erleichtert, auf das Rad umzusteigen. Für unseren Bezirk haben die Verbände BUND, ADFC City West, Netzwerk Fahrradfreundliches Charlottenburg-Wilmersdorf und der VCD Nordost ein Radnetz entworfen, das dies umsetzt und die Belange von zu Fuß Gehenden mit berücksichtigt. Eine hervorragende Arbeit, die wir unterstützen. Denn die meisten zurückgelegten Wege in der Stadt sind kürzer als sechs Kilometer. Diese sind mit dem Fahrrad gut zurückzulegen.

Alexander Kaas Elias

FDP-Fraktion

Beim wichtigen Ausbau des Radwegenetzes kommt es nicht nur zu Konflikten zwischen Auto- und Radverkehr, sondern auch zwischen Fußgängern und Radfahrern. Neue oder verbreiterte Rad(schnell)wege durch Grünanlagen, Einkaufsstraßen oder Fußgängerzonen bedeuten für Radfahrer zwar ein schnelleres Vorankommen, beeinträchtigen oder gefährden Fußgänger jedoch in teilweise hohem Maße. Die Interessenvertreter für Fußgänger weisen zu Recht darauf hin, dass Parkwege den Bürgerinnen und Bürgern zur Erholung dienen und Fußgängerzonen gerade zum Flanieren und entspannten Einkaufen angelegt wurden.
Die Aufenthaltsqualität für Fußgänger wird spürbar vermindert und – das zeigen die Erfahrungen in der Friedrichstraße – die Lust am Einkaufen sinkt deutlich. Doch auch für den Radverkehr haben die angedachten Strecken, wie z. B. durch die Wilmersdorfer Straße, Nachteile. Nach dem Berliner Mobilitätsgesetz hat der Fußverkehr (theoretisch) Vorrang – was bedeuten würde, dass Radfahrerinnen und Radfahrer, dort wo der Fußverkehr kreuzt, durch Bodenwellen behindert werden, sehr langsam fahren oder sogar absteigen müssten. Es gilt daher, die Interessen nicht gegeneinander auszuspielen und Routen zu finden, die keinen Verkehrsteilnehmer benachteiligen.

Felix Recke

AfD-Fraktion

Um knappe Güter entstehen Verteilungskämpfe – und in Berlin wird Raum immer knapper. Es stellen sich die Fragen, wer verdrängt wen, wer muss wem weichen? Die aus mondäner Berliner (Polit-)Perspektive vielleicht veraltet anmutende StVO wählt dabei immer noch den eigentlich unverklärtesten Ansatz: Sie verbannt erst einmal zur Sicherheit und im Namen stabiler Mobilität alle Fahrzeuge (d.h. ca. 30 % PKW, 27 % ÖPNV), darunter – überraschend! – auch das unmotorisierte Zweirad (ca. 13 % saisonabhängig), auf die Fahrbahn bzw. auf den Radweg.
Der Gedankengang ist deutlich: Im eigentlichen Fußgängerbereich (ca. 30 % Anteil) gibt es besondere Sicherheitsbelange und es ist eine völlig andere Geschwindigkeit zu beachten. Hiervon Ausnahmen in Form von gemischter Nutzung vorzusehen, sei es nun in Grünanlagen oder in Fußgängerzonen etc., geht nur dort, wo auch der Verkehrsfluss stabil und sicher bleibt. Auf das Gebot gegenseitiger Rücksichtnahme sollte man sich dabei nicht verlassen – will man nicht beiseite geschoben werden. A propos, in Grünanlagen ist darüber hinaus gesondert das Bedürfnis nach Ruhe und der Grünflächenschutz zu beachten.
Ganz einfach: Es gilt also immer noch, den Blick fest auf die Prioritäten und eine stabile Mobilität zu richten.

Jan von Ertzdorff-Kupffer

Linksfraktion

Die FDP offenbart bereits mit ihrer Fragestellung „Rad- gegen Fußverkehr?“ ihre ideologische Grundhaltung: „Auto first, alle anderen second“. Sie spielt Nutzer:innen von Geh- und Radwegen gegeneinander aus. Obwohl der Rad- und Fußverkehr zunimmt, halten fast alle Parteien immer noch krampfhaft fest an der autogerechten Stadt.

Mit dem Berliner Mobilitätsgesetz der rot-rot-grünen Landesregierung wird erstmals der öffentliche Raum umverteilt: mehr Platz für Geh- und Radwege sowie ÖPNV, um Klimaschutz nachhaltig voranzutreiben.

Um den notwendigen Ausbau der Radinfrastruktur voranzubringen, müssen Flächen, die allein dem Auto vorbehalten sind, für umweltfreundliche Fortbewegungsarten umgewidmet und neugestaltet werden. Bei auftretenden Nutzungskonflikten, wie bspw. in der Wilmersdorfer Straße, sind Anwohner:innen und Verbänden in die Planung alternativer Wegführungen einzubeziehen, ohne Nutzer:innen von Geh- und Radwegen gegeneinander auszuspielen.

Nur durch eine radikale Umverteilung des Straßenlandes kann neben dem Ausbau von geschützten Radstreifen der öffentliche Raum auch kreativ für mehr Begegnungszonen – durch Anwohner:innen – umgestaltet werden. Das ist unsere Vision einer zukunftsfähigen und klimaneutralen Stadt!

Frederike-S. Gronde-Brunner