Rede der Bezirksbürgermeisterin Monika Thiemen am 3.5.2011 zur Buchpräsentation "Jüdisches Leben am Kurfürstendamm"

Rede der Bezirksbürgermeisterin Monika Thiemen

Am 3.5.2011 im Jüdischen Gemeindehaus zur Buchpräsentation "Jüdisches Leben am Kurfürstendamm"

Sehr geehrte Frau Süßkind!
Sehr geehrter Herr Dr. Kreuzmüller!
Sehr geehrte Damen und Herren!

Wir feiern in diesem Jahr das 125jährige Jubiläum des Kurfürstendammes als Boulevard. Es gibt zwar keine Geburtsurkunde für ihn, und vermutlich wurde der Kurfürstendamm bereits im 16. Jahrhundert für die kurfürstlichen Reiter als Verbindungsweg zwischen dem Jagdschloss Grunewald und dem Berliner Schloss angelegt. Bereits auf einem Plan von 1767 war der Name “Churfürsten-Damm” zu lesen.
Aber erst 1883 begann der Ausbau zu einer 54 Meter breiten Straße, und mit der Eröffnung der Dampfstraßenbahn vom Bahnhof Zoo nach Grunewald am 5.5.1886 beginnt die Geschichte des Kurfürstendammes als Boulevard und damit die Geschichte der City West. Deshalb feiern wir seinen Geburtstag übermorgen, am 5. Mai, mit der Eröffnung der Schaustelle auf dem Breitscheidplatz und der Ausstellung „Der Kurfürstendamm. 125 Jahre – 125 Geschichten“ in den Vitrinen entlang des Kurfürstendamms. Viele weitere Veranstaltungen wird es in diesem Jahr bis in den Oktober hinein geben. Sie werden uns die Vielfalt des Kurfürstendammes vor Augen führen. Und wenn wir seine Geschichte betrachten, stellen wir fest: Das einzig Bleibende war und ist der ständige Wandel.

Wenn es in der 125jährigen Geschichte des Kurfürstendammes etwas gibt, worauf wir heute besonders stolz sein können, dann ist es die Tatsache, dass die Nationalsozialisten ihn ablehnten. Für sie lag er quer zu ihrer Vorstellung von Berlin mit einer Nord-Süd- und einer Ost-West-Achse. Goebbels und seine Kampfblätter hatten nur Hass, Hohn und Spott für den Kurfürstendamm übrig. Sie lehnten nicht nur den Boulevard als solchen ab, sondern alles, wofür er stand.
Denn der Kurfürstendamm war ja damals nicht nur eine bekannte Straße, sondern er war auch ein Symbol. Für die Nazis war er der Inbegriff alles dessen, was sie hassten: Internationale Ausstrahlung, bunte Vielfalt, kulturelle Avantgarde, geistreiche Unterhaltung, moderne Tanzmusik, futuristische Kinopaläste und leuchtende Konsumtempel. Und für die Nazis war der Kurfürstendamm regelmäßig Gegenstand ihrer antisemitischen Hasstiraden.
Sie schrieben nicht nur unzählige antisemitische Hetzartikel über den Kurfürstendamm in ihren Blättern, sondern sie veranstalteten bereits in den 1920er Jahren immer wieder Aktionen und regelrechte Pogrome, bei denen jüdisch aussehende Menschen auf dem Kurfürstendamm angepöbelt, angegriffen und niedergeschlagen wurden. Nach ihrer Machtübernahme 1933 gingen sie brutal gegen jüdische Geschäfte, Cafés, Bewohnerinnen und Bewohner des Kurfürstendammes vor.
Nicht nur diese jüdischen Bewohnerinnen und Bewohner, sondern auch viele jüdische Geschäftsleute, Kulturunternehmer, Mäzene, Künstler und Schriftsteller hatten einen großen Anteil daran, dass der Kurfürstendamm schon im Kaiserreich und erst recht in der Weimarer Republik zum weltberühmten deutschen Boulevard wurde.

Das, was die Nazis ablehnten, war ein besonders wichtiger Teil unserer deutschen Geschichte, ein herausragender Beitrag zu unserer Kultur und zur Entwicklung unseres Landes. Mit dem, was sie als deutsch verstanden, grenzten sie vieles von dem aus, was für uns heute zum Besten unserer deutschen Geschichte gehört. Das gilt für unsere Geschichte insgesamt, und das gilt für die Geschichte des Kurfürstendammes insbesondere. Er ist wie ein besonders intensiver Spiegel unserer Geschichte.
Deshalb ist das jüdische Leben am Kurfürstendamm nicht nur irgendein beliebiger spezieller Randaspekt der Geschichte des Kurfürstendammes, sondern es ist ein ganz zentraler Faktor, ohne den der Kurfürstendamm nicht geworden wäre, was er ist.

Ohne die Grünfelds und ihr Wäschehaus, ohne die Kempinskis und ihr Restaurant, aus dem später ein Hotel wurde, ohne Rudolf Nelson und seine Revuen, ohne Max Reinhardt und seine beiden Boulevardtheater, ohne Erich Mendelsohn und sein Universum-Kino, ohne Kurt Robitschek und sein Kabarett der Komiker und ohne die vielen anderen hätte es den Kurfürstendamm so nicht gegeben.
Deshalb ist die Geschichte des jüdischen Lebens am Kurfürstendamm unser aller Geschichte. Deshalb bin ich unserem Museum Charlottenburg-Wilmersdorf und seiner Archivarin Sonja Miltenberger dankbar dafür, dass sie diese Geschichte in mühseliger Kleinarbeit wieder entdeckt hat und sie uns jetzt, rechtzeitig und passend zum 125. Geburtstag des Boulevards, in einem schönen Buch präsentiert.
Und ich freue mich bereits auf das nächste Buch, das voraussichtlich im August hier gegenüber im Kempinski vorgestellt werden wird.
Darin wird es dann um den ganzen Kurfürstendamm, Haus für Haus, gehen, und natürlich wird auch darin das jüdische Leben die wichtige Rolle spielen, die ihm zukommt. Jetzt aber wünsche ich uns allen noch viele erhellende Einsichten aus dem neuen Buch von Sonja Miltenberger: “Jüdisches Leben am Kurfürstendamm”.