Sehr geehrter Herr Hoffmann!
Sehr geehrte Frau Weichelt!
Sehr geehrte Frau Winter!
Sehr geehrte Frau Albrecht!
Sehr geehrte Damen und Herren!
Wir feiern in diesem Jahr das 125jährige Jubiläum des Kurfürstendammes als Boulevard. Daran gemessen ist die Pro Seniore Residenz hier am Kurfürstendamm 100 noch sehr jung. Und heute wurden ja auch bereits einige Bewohnerinnen und Bewohner geehrt, die seit der ersten Stunde dieser Einrichtung hier leben und wohnen. Aber natürlich gehört auch die Pro Seniore Residenz bereits zur Geschichte des Kurfürstendammes, der sich immer wieder neu erfunden hat. Wenn etwas konstant geblieben ist am Kurfürstendamm, dann ist es der schnelle Wandel. Er ist immer mit der Zeit gegangen, und das muss ein Boulevard auch tun, wenn er nicht zum Museum werden will, wenn er für die Menschen in der Gegenwart attraktiv bleiben will.
Vielleicht wundern sich einige über unser Kudamm-Jubiläumsjahr und über das Alter des Kurfürstendammes, denn zu unserem Boulevard gibt es keine Geburtsurkunde.
1542 wurde das Jagdschloss Grunewald erbaut, und vermutlich wurde damals der Kurfürstendamm als Verbindungsweg vom Berliner Schloss für die kurfürstlichen Reiter angelegt. 1685 wurde er erstmals auf einer Karte verzeichnet und schließlich 1767 auf einem Plan als “Churfürsten-Damm” bezeichnet. Aber erst 1883 begann der Ausbau zu einer 54 Meter breiten Straße, und mit der Eröffnung der Dampfstraßenbahn vom Bahnhof Zoo nach Grunewald am 5.5.1886 beginnt die Geschichte des Kurfürstendammes als Boulevard und damit die Geschichte der City West. Deshalb feiern wir in diesem Jahr 2011 das 125. Jubiläum des Kurfürstendamms.
Veranstalter ist die Kulturprojekte Berlin GmbH in Zusammenarbeit mit dem Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf, der AG-City, dem Regionalmanagement City West und anderen Kooperationspartnern.
Begonnen wird am 5. Mai mit einer Geburtstagsfeier sowie den Eröffnungen der Schaustelle auf dem Breitscheidplatz und der Ausstellung „Der Kurfürstendamm. 125 Jahre – 125 Geschichten“ in den Vitrinen entlang des Kurfürstendamms.
Am 3. und 4. September wird der Boulevard für „42 Stunden Ku’damm“ in seiner gesamten Länge gesperrt. 42 Stunden Einkaufen, Modenschauen, Musik, kulinarische Genüsse und die eine oder andere Überraschung werden ein abwechslungsreiches Programm präsentieren und den Kurfürstendamm einmal mehr zur Amüsiermeile machen, die er seit seiner Geburtsstunde ist. Den glanzvollen Abschluss bildet in der zweiten Oktoberhälfte eine einzigartige Illumination des Ku’damms in Kooperation mit dem Festival of Lights.
Natürlich wird es daneben in diesem Jahr viele weitere Veranstaltungen unter dem Motto „125 Jahre Ku’damm“ geben. So feiert das Auto ebenfalls seinen 125. Geburtstag, was am 28. und 29. Mai mit einem großen Oldtimer-Corso auf dem Ku’damm zelebriert wird, für den bereits über 1.000 wertvolle Automobile angemeldet wurden. Außerdem plant der Branchenverband E-Mobilität Anfang Juli eine „Straße in die Zukunft“. Auf dem Breitscheidplatz findet Ende Juli ein ISTAF-Showspringen statt, und auch der traditionelle Vattenfall City-Nacht Lauf am 30. Juli, der in diesem Jahr sein 20. Jubiläum feiert, gratuliert dem Ku’damm zum Geburtstag.
Und das ist noch längst nicht alles. Ich werde in diesem Jahr meine Kiezspaziergänge, an denen regelmäßig 200 bis 300 Personen teilnehmen, überwiegend zum Kurfürstendamm veranstalten. Wir treffen uns immer am jeweils zweiten Sonnabend eines Monats um 14.00 Uhr an einem vorher bekannt gegebenen Treffpunkt, um einen Kiez in unserem Bezirk zu erkunden. Das nächste Mal, am 12. Februar, treffen wir uns auf dem Adenauerplatz und werden über den Kurfürstendamm zum Haus Cumberland gehen, das uns von den Investoren vorgestellt wird, die es restaurieren, modernisieren und umgestalten werden.
Und wie gesagt: Auch dieses Haus, die Pro Seniore Residenz gehört mit ihren 10 Jahren und mit ihrer 98jährigen Vorgeschichte zur Geschichte des Kurfürstendamms. Deshalb sollten wir eigentlich auch die heutige Veranstaltung mit unter das Motto „125 Jahre Kurfürstendamm“ stellen. Ich freue mich, dass die Residenz anlässlich des Jubiläums nicht nur ihre eigene Geschichte in einer schönen Foto-Ausstellung dokumentiert, sondern auch die Geschichte ihres Grundstücks, das 1903 zum ersten Mal bebaut, im Zweiten Weltkrieg zerstört, danach wieder aufgebaut und schließlich für Pro Seniore neu bebaut wurde. Vier Stolpersteine erinnern auf dem Gehweg vor dem Gebäude an die jüdische Familie Hachnochi, die von hier nach Frankreich geflohen ist und schließlich doch in Auschwitz ermordet wurde. Sechs weitere Stolpersteine sollen auf Initiative von Pro Seniore demnächst dazu kommen.
Ich wurde gebeten, zur Eröffnung der Ausstellung etwas näher auf diese Geschichte einzugehen, und ich will das gerne tun:
Der Kurfürstendamm ist eine der wenigen Straßen, bei denen der Name den Zweck bezeichnet, den sie ursprünglich erfüllte. Bis 1880 war es ein Knüppeldamm durch teilweise sumpfiges Gelände, den der König und die Kurfürsten benutzten, um vom Berliner Stadtschloss zur Jagd in den Grunewald zu reiten. Er war also ein Damm für die Kurfürsten.
Viele Querstraßen des Kurfürstendammes hier im westlichen Teil in Halensee sind daher auch nach früheren Kurfürsten benannt: Albrecht Achilles, Hektor, Eisenzahn, Georg Wilhelm, Markgraf Albrecht, Cicero, Joachim Friedrich und Sigismund.
Als Reichskanzler Fürst Otto von Bismarck 1871 aus Paris zurückkam, wo nach dem deutsch-französischen Krieg gerade das Deutsche Kaiserreich gegründet worden war, regte er an, den Kurfürstendamm nach dem Vorbild der Pariser Champs Elysées zum Boulevard auszubauen. Es hat einige Jahre gedauert, bis aus dieser Anregung konkrete Pläne geworden waren und ein Finanzierungskonzept stand, aber 1883 begann der Ausbau und die Pflasterung der Straße auf einer Breite von 54 Metern.
Als am 5.5.1886 die Dampfstraßenbahnlinie Zoo-Kurfürstendamm-Grunewald eröffnet wurde, war dieser Ausbau vollendet, und dies ist für uns der Geburtstag des Kurfürstendammes als Boulevard, der sich von diesem Zeitpunkt an in rasantem Tempo entwickelte. Innerhalb weniger Jahre wurde er fast vollständig mit Mietshäusern bebaut. Sie waren reich mit Stuck verziert, an jeder Ecke mit prächtigen Türmen bekrönt und mit 10- und mehr Zimmer-Wohnungen ganz auf hochherrschaftlichen bürgerlichen Bedarf ausgerichtet.
Hier in Halensee dauerte die Bebauung etwas länger, und auf den freien Flächen wurden in den Jahren um 1900 immer wieder wechselnde Vergnügungsangebote gemacht. So befand sich zwischen 1891 und 1899 unweit von hier an der Nordseite des Kurfürstendammes zwischen Karlsruher Straße und Katharinenstraße die Radrennbahn des „Vereins für Velocipeden-Wettfahrten“. Bis zu 15.000 Zuschauer besuchten hier die Radrennen. 1898 fand auf dem Gelände eine Acetylen-Fachausstellung statt, und die Besucherinnen und Besucher staunten über die Wunderdinge, die die neue Technik ermöglichte.
Auf dem Grundstück von Rudolf Mosse am Kurfürstendamm 153-156 am Lehniner Platz wurden im Jahr 1904 in einem 60 mal 70 Meter großen Wasserbecken Flottenspiele gezeigt. Es gab ein Hafenhaus, ein Maschinenhaus, ein Musikpavillon, Restaurationsgebäude und Tribünen für rund 4.000 Personen. Die Beschießung von Port Arthur durch die japanische Flotte im damaligen russisch-japanischen Krieg wurde hier vorgeführt, und natürlich diente das Ganze der Flottenpropaganda und dem Aufrüstungsprogramm des Kaisers und seines Admirals Tirpitz. Im nächsten Jahr 1905 hatte die Flotte dann ausgedient. Stattdessen wurde der Untergang von Pompeji gegeben mit allabendlichem Riesenfeuerwerk, über das sich allerdings die Anwohner heftig beschwerten. Der Kurfürstendamm war jetzt schon fast vollständig bebaut und bewohnt.
Hier, am Kurfürstendamm 100, hatte der Rentier Ludwig Schulz 1903 ein Mietshaus gebaut.
Der Kurfürstendamm war innerhalb weniger Jahre zum neuen Berliner Boulevard geworden, obwohl er bis 1920 gar nicht in Berlin, sondern in den damals noch selbständigen Großstädten Charlottenburg und Wilmersdorf lag.
Obwohl Kaiser Wilhelm II persönlich dafür sorgte, dass 1891-95 auf dem damaligen Auguste-Viktoria-Platz die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche und um sie herum einige Häuser im romanischen Stil entstanden und die Monarchie am Kurfürstendamm repräsentierten, zog der neue Boulevard von Anfang an die Moderne an. Die künstlerische und intellektuelle Avantgarde traf sich in den Cafés am Kurfürstendamm.
1905 eröffnete die Galerie der Berliner Secession dort wo sich heute das Theater am Kurfürstendamm im Kudamm-Karree befindet. Ein Reiseführer schrieb damals über die Galerie: “Klein aber gewählt. International und doch einseitig. Vorherrschaft Liebermanns und der impressionistischen Landschaftsmalerei. Offiziere erscheinen in Zivil.”
1917 zog Wieland Herzfelde mit seinem Malik-Verlag an den Kurfürstendamm Nr.76 am Lehniner Platz. Er verlegte expressionistische und pazifistische Literatur und Bildbände, darunter die berühmten bissigen Bilder von George Grosz und die Plakate von John Heartfield. Herzfelde, Grosz und Heartfield waren gemeinsam mit Else Lasker-Schüler Stammgäste im Café des Westens, das wegen der vielen Künstler, die dort regelmäßig einkehrten “Café Größenwahn” genannt wurde. Es befand sich übrigens genau dort am Kurfürstendamm Ecke Joachimstaler Straße, wo später das Café Kranzler aufmachte.
Die Schriftstellerin Else Lasker-Schüler lebte gemeinsam mit dem Verleger Herwarth Walden von 1909 bis 1912 unweit von hier in der Katharinenstraße 5. Er gründete hier 1910 seine Zeitschrift „Der Sturm“, die zum Forum des Expressionismus wurde.
Seit den 1920er Jahren sprach man vom Kurfürstendamm als City-Filiale, weil viele berühmte Geschäfte, Cafés und Restaurants aus der alten City hier moderne Filialen eröffneten, und bald waren die Filialen beliebter als die Originale. Eine große Rolle spielten in den 20er Jahren die Kinos: In den großen Uraufführungskinos wie Marmorhaus, Gloria-Palast, Union-Palast, Capitol und Ufa-Palast am Zoo fanden glanzvolle Premieren statt. Spätestens in den 20er Jahren überflügelte die westliche City-Filiale die alte City. Thomas Wolfe nannte den Kurfürstendamm “das größte Caféhaus Europas”. Der Kurfürstendamm war die lebendigste, modernste, internationalste Straße Berlins geworden.
Daran hatten jüdische Unternehmer, Mäzene, Künstler, Schriftsteller, Verleger, Galeristen und Gastronomen einen großen Anteil. In den großen Mietwohnungen am Kurfürstendamm war der Anteil jüdischer Bewohnerinnen und Bewohner besonders hoch, und zwei große Synagogen wurden nur wenige Meter vom Kurfürstendamm entfernt errichtet.
1912 wurde die große Synagoge mit 2.000 Plätzen an der Fasanenstraße 79-80 eingeweiht, dort wo sich seit 1960 das Jüdische Gemeindehaus befindet. 1923 wurde die Synagoge „Friedenstempel“ mit 1450 Plätzen an der Markgraf-Albrecht-Straße 10-11 eingeweiht.
Den Nationalsozialisten war der Kurfürstendamm verhasst. Er war für sie ein Symbol für alles, was sie bekämpften. Das waren nicht nur die jüdischen Bürgerinnen und Bürger, die hier lebten, sondern auch die moderne Kunst, die zeitgenössische Literatur, die Tanzmusik, die hier in den Cafés und Hotels gespielt wurde, die Filme, die in den Uraufführungskinos gezeigt wurden, die Revuen und Kabaretts, die in den Theatern aufgeführt wurden und sogar die modernen Geschäfte und Kaufhäuser mit den großen Schaufenstern und gläsernen Aufzügen. Alles dies versuchten sie auf ihre völkische Linie zu bringen, und wenn das nicht gelang, zerstörten sie es, schlossen die Einrichtungen und vertrieben die Menschen, bevor sie sie am Ende in den Konzentrationslagern ermordeten. Der Kurfürstendamm wurde von den Nationalsozialisten zweimal zerstört: Zunächst durch die systematische Vertreibung seines modernen, weltoffenen Geistes und vieler seiner Menschen, die diesen Geist
verkörperten und schließlich durch den Zweiten Weltkrieg, in dem vieler seiner Gebäude bombardiet und zerstört wurden.
Erich Kästner lebte von 1931 bis 1944 unweit von hier in der Roscherstraße 16. Im Café Leon am Lehniner Platz hatte er einen Stammplatz. Er erlebte die Nacht vom 9. zum 10. November 1938 am Kurfürstendamm und hat darüber folgendes aufgeschrieben:
“In jener Nacht fuhr ich, im Taxi auf dem Heimweg, den Tauentzien und Kurfürstendamm entlang. Auf beiden Straßenseiten standen Männer und schlugen mit Eisenstangen Schaufenster ein. Überall krachte und splitterte Glas. Es waren SS-Leute, in schwarzen Reithosen und hohen Stiefeln, aber in Ziviljacken und mit Hüten.
Sie gingen gelassen und systematisch zu Werke. Jedem schienen vier, fünf Häuserfronten zugeteilt. Sie hoben die Stangen, schlugen mehrmals zu und rückten dann zum nächsten Schaufenster vor. Passanten waren nicht zu sehen. Erst später, hörte ich am folgenden Tag, seien Barfrauen, Nachtkellner und Straßenmädchen aufgetaucht und hätten die Auslagen geplündert.
Dreimal ließ ich das Taxi halten. Dreimal wollte ich aussteigen. Dreimal trat ein Kriminalbeamter hinter einem der Bäume hervor und forderte mich energisch auf, im Auto zu bleiben und weiterzufahren. Dreimal erklärte ich, dass ich doch wohl aussteigen könne, wann ich wolle, und das erst recht, wenn sich in aller Öffentlichkeit, gelinde ausgedrückt, Ungebührliches ereigne. Dreimal hieß es barsch: ‘Kriminalpolizei’! Dreimal wurde die Wagentür zugeschlagen. Dreimal fuhren wir weiter. Als ich zum vierten Mal halten wollte, weigerte sich der Chauffeur. ‘Es hat keinen Zweck’, sagte er ‘und außerdem ist es Widerstand gegen die Staatsgewalt!’ Er bremste erst vor meiner Wohnung.”
Der 1947 in Berlin geborene Kölner Bildhauer Gunter Demnig hat 1996 in Köln die ersten Stolpersteine verlegt, die im Gehweg vor dem früheren Wohnort an Opfer der nationalsozialistischen Verbrechen erinnern. Es sind 10 × 10 cm große aus Beton gegossene Steine mit eingelassener Messingtafel, in die der Künstler mit Hammer und Schlagbuchstaben “Hier wohnte”, Namen, Jahrgang und Stichworte zum weiteren Schicksal eines einzelnen Menschen einstanzt.
Am 4. Oktober 2010 haben wir in Charlottenburg-Wilmersdorf den tausendsten Stolperstein verlegt, und auch hier, vor der Pro Seniore Residenz, erinnern vier Stolpersteine an frühere Bewohnerinnen und Bewohner. Sechs weitere sollen dazu kommen.
Vier Stolpersteine sind für die Familie Hachnochi verlegt worden. Auch wenn nicht alle Daten rekonstruierbar sind, lässt sich ihr Schicksal doch an diesen vier Gedenksteinen ablesen.
Da die Adresse Kurfürstendamm 99, wo Michael und Gitla Hachnochi wohnten, nicht mehr existiert, wurden die Steine vor dem Kurfürstendamm 100 Ecke Hektorstraße verlegt, wo dieses Haus einst stand.
Die Stolpersteine für die Eltern wurden am 24. September 2008 verlegt. Die Stolpersteine zum Andenken an die Kinder Liliane und Colette Hachnochi, die beide in Paris geboren sind und nicht hier lebten, wurden am 9. April 2010 gelegt.
Michael Moshe Hachnochi wurde 1902 in Berlin geboren. Er floh mit seiner 1904 in Dobromil (Ukraine) geborenen Frau Gitla, geb. Melber, nach Frankreich. Dort wurden sie während der deutschen Besatzungszeit nach 1940 festgenommen und in einem Durchgangslager für französische und deutsche Juden 80 Kilometer südlich von Paris, interniert. Beide sind 1942 mit ihren beiden Töchtern in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert worden, wo die ganze Familie ermordet wurde.
Liliane Hachnochi wurde am 10. April 1935, ihre Schwester Colette Hachnochi am 15. November 1937 in Paris geboren. Sie wurden wie ihre Eltern, die dem Nazi-Terror in Deutschland entkommen waren, in das Durchgangslager gesperrt und von dort – im Alter von sieben und vier Jahren – am 22. August 1942 nach Auschwitz deportiert, wo sie umgebracht wurden.
Die für Michael, Gitla, Liliane und Colette Hachnochi in den Gehweg eingelassenen Stolpersteine erinnern an das Schicksal dieser Familie und sollen uns heute Lebende mahnen, nie wieder Antisemitismus und Rassismus zuzulassen und jeder Form des Rechtextremismus zu widerstehen.
In den Häusern Kurfürstendamm 99 und 100, wo heute der Komplex der Pro Seniore Residenz steht, lebten in den 1930er Jahren zehn Menschen, die vom nationalsozialistischen Regime als Juden geächtet und verfolgt wurden. Neben der Familie Hachnochi sind folgende bekannt:
Am Kurfürstendamm 99 wohnte Margarete Anna Anni Friedländer, geboren am 21. Mai 1883 in Hamburg. Sie wurde zunächst in das Sammellager Große Hamburger Straße 26 verschleppt und am 14. Juli 1942 mit dem 21. Alterstransport mit etwa 100 weiteren Berliner Opfern vom Bahnhof Grunewald ins Ghetto Theresienstadt deportiert. Von dort wurde sie am 16. Mai 1944 in das Vernichtungslager nach Auschwitz transportiert. Im September 1944 ist sie ermordet worden, das genaue Datum ist unbekannt.
Im selben Haus lebte der am 17. Juli 1904 in Berlin geborene Fritz Gumpel. Er floh vor den Nazis am 22. August 1939 zunächst in die Schweiz, dann nach Monaco. Doch er geriet in die Fänge der SS und wurde in ein Sammellager bei Paris verschleppt, von wo aus er am 10. August 1942 ins Vernichtungslager Auschwitz gebracht wurde. Dort ist er wenig später verhungert oder ermordet worden.
Am Kurfürstendamm 99 wohnten auch Cecilie und Felix Kühnberg. Cecilie Kühnberg, geb. Böhm, ist am 10. Juli 1855 in Cosel (Schlesien) geboren. Sie wurde im Alter von 87 Jahren am 17. März 1943 mit einem Massentransport mit insgesamt rund 1300 Menschen vom Bahnhof Grunewald aus nach Theresienstadt gebracht und ist dort neun Tage später, am 26. März 1943, umgebracht worden. Ihr Sohn Felix Kühnberg, geboren am 5. August 1885 in Breslau, wurde einen Monat vor seiner Mutter abgeholt. Zunächst in das Sammellager Große Hamburger Straße 26 und am 19. Februar 1943 vom Gleis 15 des Bahnhofs Grunewald aus mit dem 29. Osttransport mit 997 Menschen nach Auschwitz ins Vernichtungslager. Dort wurde er umgebracht.
Am Kurfürstendamm 100 lebte Berta Erdsiek, geboren als Berta Kowalsky am 18. Januar 1873 in Labiau in Ostpreußen. Im Alter von 69 Jahren wurde sie aus dem Haus in einen Lastwagen getrieben, der sie zunächst ins Sammellager Große Hamburger Straße 26 fuhr. Am 18. Juni 1942 wurde sie mit dem Zug ins Ghetto Theresienstadt gebracht, wo sie noch fast zwei Jahre unter grauenvollen Umständen verbringen musste und am 19. April 1944 starb.
Am selben Tag wurde ihre etwa gleichaltrige Nachbarin Johanna Jarecki, die am 28. September 1873 als Johanna Jaffe in Berlin geboren wurde, gewaltsam in das Sammellager an der Hamburger Straße abgeführt und mit dem gleichen Zug zusammen mit 50 Frauen und Männern aus Berlin im 7. Alterstransport in das Ghetto Theresienstadt deportiert. Ihr Todesdatum ist der 28. Januar 1943.
Auch für diese sechs Opfer der Shoa sollen Stolpersteine gelegt werden, um ihrer zu gedenken und nachfolgende Generationen zu mahnen.
Was vor 70 Jahren hier bei uns geschah ist für uns noch immer unfassbar und scheint in einer finsteren Vorzeit geschehen zu sein, aber es leben noch Menschen unter uns, die es selbst erlebt haben.
Wir sind es nicht nur den Opfern schuldig, dass wir sie nicht vergessen, sondern es ist auch für uns selbst wichtig, dass wir unsere Verantwortung vor unserer Geschichte wahrnehmen. Es geht für unsere Generation und für unsere Kinder nicht um Schuld. Aber es geht um Verantwortung: Um aus der Geschichte lernen zu können und zu verhindern, dass etwas Ähnliches jemals wieder geschieht, müssen wir unsere Geschichte kennen.
Es gibt noch einen weiteren Grund, weshalb wir zur Erinnerung verpflichtet sind: Es ist ein großes Glück, dass wieder jüdische Bürgerinnen und Bürger bei uns und mit uns zusammen leben und sich für unsere Gesellschaft engagieren.
Wie mir gesagt wurde, leben auch hier in der Pro Seniore Residenz am Kurfürstendamm jüdische Bürgerinnen und Bürger. Der Umgang miteinander ist manchmal noch immer nicht unbefangen. Aber eine Verständigung ist nicht möglich, wenn wir die gemeinsame Geschichte totschweigen, sondern nur wenn wir uns ihrer bewusst sind und offen damit umgehen.
Wir wissen, dass die Erinnerung nie abgeschlossen sein wird. Erinnerung bedeutet ständiges Forschen, und jede neue Generation wird sich die Erinnerung neu erarbeiten müssen. Deshalb wird es noch viele Stolpersteine und viele Gedenktafeln geben, die unsere Erinnerung auch öffentlich wach halten.
Das Haus, das 1903 von dem Rentier Ludwig Schulz am Kurfürstendamm 100 gebaut worden war, wurde im Krieg vollständig zerstört.
1949 wurde das Grundstück erneut bebaut. Eigentümer war die Bau- und Verwaltungsgesellschaft „Domos“ mit beschränkter Haftung in Berlin Auf dem enttrümmerten und abgeräumten Grundstück wurde über den noch vorhandenen Kellermauern ein provisorischer eingeschossiger Reihenbau für Läden errichtet. So entstanden insgesamt 12 Einzelläden mit je einem Nebenraum: Verkauft wurden Schuhwaren, Goldschmuck, Textilien, Süßwaren, Marzipan und Pralinen in Kelch’s Keksbäckerei, Tabakwaren und Weine bei Georg Swarat, Blumen, Obst und Südfrüchte, Herrenartikel, Wild und Geflügel. Außerdem gab es die Eisdiele von Johanna Haltermann und die Konditorei mit Café von Techel & Jancke. Das Haus wurde mit Vorgärten versehen, vor der Eisdiele und der Konditorei wurden Tische aufgestellt.
Die Bebauung war im Sinne des Planungsgesetztes nicht endgültig und das Bauvorhaben wurde als Provisorium für die Dauer von zehn Jahren bis zum 1. Oktober 1959 vom Bezirksamt Wilmersdorf von Groß-Berlin genehmigt. Die Pächter der Läden mussten damals die befristete Nutzung unterschreiben.
1958 wurde die Ladenzeile Kurfürstendamm 100 zwangsversteigert. 1960 wurde das Grundstück nach den Vorschriften des Enttrümmerungsgesetzes abgeräumt. Die Eigentümer der Grundstücke waren die Otto Reichelt GmbH und das Hygenia-Institut Thober & Thiele.
Am 20. Mai 1960 plante das Architekturbüro Krebs eine Neubebauung des Grundstücks. Das Bezirksamt Wilmersdorf / Amt für Bauaufsicht stimmte zu. Geplant wurden ein 6-geschossiges Büro- und Hotelgebäude am Kurfürstendamm, ein 3-geschossiges Laden- und Bürogebäude an der Joachim-Friedrich-Straße und ein 1-geschossiger Ladenbau an der Hektorstraße jeweils mit Tiefgarage. Am 14. März 1963 wurde das Gebäude von der Bauaufsicht abgenommen. Die Firma Thober eröffnete in dem neuen Gebäude am Kurfürstendamm 100 das Hotel Thober.
1981 verkaufte Reichelt seine Anteile an Holger Kruse, der am 14. März 1994 einen Antrag auf Teilabbruch des 3-geschossigen Gebäudeteils an der Jochachim-Friedrich-Straße Ecke Kurfürstendamm100 stellte. Das Stadtplanungsamt stimmte dem Antrag am 5. Mai 1994 zu. Da die Abbrucharbeiten nicht nach den Vorgaben der geprüften Statik durchgeführt wurden, musste der gesamte Gebäudekomplex abgerissen werden. 1999 wurde ein Antrag auf Neubebauung von der Firma BAUTRONKO (Bauträger- und Koordinierungsgesellschaft mbH) gestellt, der im gleichen Jahr vom Bauamt Wilmersdorf genehmigt wurde. Der damalige Antrag beinhaltete die heutige Pro Seniore Residenz Kurfürstendamm 100, die vor 10 Jahren am 1. Februar 2001 eröffnet wurde.
Ein Seniorenheim mitten in der City an einem weltberühmten Boulevard ist ungewöhnlich. Aber ich denke, dass genau dies das Markenzeichen der Pro Seniore Residenz am Kurfürstendamm ist. Die Menschen, die hier wohnen, leben mitten in der Stadt. Wenn sie vor die Tür treten, erleben sie das pulsierende Leben der Metropole und gleichzeitig befinden sie sich in Halensee, einem Kiez, in dem man sich kennt und seinen Lieblingsladen, sein Café und seine Buchhandlung um die Ecke oder im eigenen Haus findet. Vielleicht begegnet man der einen oder anderen Persönlichkeit, die man aus dem Fernsehen oder aus der Zeitung kennt. Eines der bedeutendsten deutschsprachigen Theater, die Schaubühne am Lehniner Platz, ist nur wenige Schritte entfernt, und auf Schritt und Tritt begegnet man der deutschen Geschichte. Gedenktafeln, Stolpersteine, Straßennamen und jetzt auch eine Ausstellung in der Pro Seniore Residenz wecken Erinnerungen.
Die Ausstellung vereinigt 10 Jahre Pro Seniore Residenz und 125 Jahre Kurfürstendamm. Ich danke der Pro Seniore Residenz für diese Ausstellung und wünsche ihr viele interessierte Besucherinnen und Besucher.