Rede der Bezirksbürgermeisterin Monika Thiemen zur Vorstellung des Buches "Heimweh nach dem Kurfürstendamm" am 30.11.2009 im Amerika Haus

Rede der Bezirksbürgermeisterin Monika Thiemen

Zur Vorstellung des Buches "Heimweh nach dem Kurfürstendamm" am 30.11.2009 im Amerika Haus

Sehr geehrter Herr Prof Dr Gengnagel!
Sehr geehrter Herr Kupsch!
Sehr geehrte Frau Prof. Dr. Hauser!
Sehr geehrter Herr Zajonz!
Sehr geehrter Herr Kuhrau!

Warum haben eigentlich immer alle Heimweh nach dem Kurfürstendamm? Wohnt denn überhaupt noch jemand am Kurfürstendamm? Und wäre für all die anderen, die ihn gerne besuchen möchten, nicht eher Fernweh der passende Ausdruck? Liegt es nur an dem wunderbaren Schlager von Hildegard Knef?
Denn eigentlich ist ja ein größerer Gegensatz kaum vorstellbar als das melancholische Heimweh-Gefühl und der mondäne, internationale Großstadtboulevard Kurfürstendamm. Oder ist es vielleicht sogar genau dieser Gegensatz der Gefühlswelten, der die Wendung so anziehend und einprägsam macht?
Wie auch immer: Wir freuen uns natürlich darüber, dass so viele Menschen Heimweh nach dem Kurfürstendamm haben, dass er nach wie vor wohl die berühmteste deutsche Straße ist, im Grunde der einzige wirkliche Boulevard – und er ist eben viel mehr als eine Straße, er ist ein Mythos.
Als Charlottenburg und Wilmersdorf noch zwei Bezirke waren, da lag das östliche, berühmtere und viel besuchte Drittel des Kurfürstendammes in Charlottenburg und das westliche, eher beschauliche Halensee-Drittel in Wilmersdorf.
Und zwischen diesen beiden Teilen vom Olivaer Platz bis zum Lehniner Platz verlief die Bezirksgrenze am Kurfürstendamm entlang. Seit der Fusion von Charlottenburg und Wilmersdorf liegt der Kurfürstendamm in der Mitte des Bezirks – und das natürlich nicht nur im geographischen Sinn, sondern auch was seine Bedeutung betrifft.
Aber am Kurfürstendamm wird tatsächlich auch noch gewohnt, und zwar nicht schlecht. Ich verrate ja kein Geheimnis, wenn ich darauf hinweise, dass sogar der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit am Kurfürstendamm wohnt – und er ist dort nicht der einzige Prominente. In welcher anderen weltberühmten Geschäftsstraße gibt es das noch?
Und es ist genau die Mischung zwischen Wohnen, Arbeiten, Kaufen, Genießen, Sehen und Gesehen Werden, zwischen Kommerz und Kultur, die den Erfolg des Kurfürstendammes ausmacht. Deshalb sehen wir als Bezirksamt unsere Aufgabe darin, diese Mischung zu erhalten.
Besonders wichtig nehmen wir den Einsatz für die Kultur am Kurfürstendamm. Denn die ist in den letzten Jahren ins Hintertreffen geraten. Nachdem viele Kinos am Kurfürstendamm geschlossen haben und durch Modegeschäfte ersetzt wurden, hatte es für uns oberste Priorität, den Zoo-Palast und wenn irgend möglich auch die beiden Boulevardtheater im Ku’damm Karree zu erhalten, die Komödie und das Theater am Kurfürstendamm.
Das ist schwierig, weil der Verwertungsdruck groß ist und bei Umbauten immer die unmittelbare Rentabilität im Fordergrund steht. Aber intelligente Investoren verstehen am Ende doch: Kommerz funktioniert nur dann gut, wenn nicht nur Kommerz vorhanden ist. Die Menschen gehen gerne bummeln und shoppen, aber sie tun das besonders gern, wenn es noch mehr zu sehen und zu erleben gibt. Deshalb ist die Mischung das Entscheidende.
Alles andere lässt sich am Kurfürstendamm kaum beeinflussen. Wer hier aus nostalgischen Gefühlen heraus etwas konservieren will, der steht auf verlorenem Posten: Das einzig dauerhafte am Kurfürstendamm ist der Wandel.
Nach dem Ausbau der Straße von 1883 bis 1886 entwickelte er sich in wenigen Jahren zum beliebten Großstadtboulevard mit unzähligen Geschäften, Cafés und Kinos. Die Ausstellungsräume der Berliner Secession und das Café Größenwahn als Treffpunkt der Künstler und Intellektuellen machten ihn schon im Kaiserreich auch zu einem kulturellen Zentrum. Das wurde er dann in den 1920er Jahren noch viel spektakulärer mit Kabaretts, Revuetheatern, glanzvollen Kinopremieren und dem Romanischen Café. Wenn man irgendwo zu Recht von den “Goldenen Zwanziger Jahren” sprechen kann, dann hier am Kurfürstendamm.
Er erlebte den vorläufigen Höhepunkt seiner urbanen Vitalität. Da er in hohem Maße durch jüdische Unternehmer, Geschäftsleute, Mäzene, Künstler und Intellektuelle geprägt wurde, schätzten ihn die Nationalsozialisten überhaupt nicht. Durch die Vertreibung der Juden büßte der Kurfürstendamm einen großen Teil seiner Attraktivität ein. Die verheerenden Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg kamen hinzu.
Nach dem Krieg wurde der Kurfürstendamm schnell wieder belebt und entwickelte sich als Zentrum West-Berlins zum Schaufenster des Westens. Mit Veranstaltungen wie den jährlichen Filmfestspielen seit 1951 wurde versucht, an den internationalen Mythos wieder anzuknüpfen. In den 1970er Jahren belasteten Abschreibungs- und Abrissmentalität mit einer Reihe von Bausünden den Boulevard. Sie wurden nach dem Fall der Mauer teilweise korrigiert, beispielsweise mit dem neuen Ku’damm-Eck.
Im wiedervereinigten Berlin schien die City West mit dem Kurfürstendamm zunächst ins Hintertreffen zu geraten. Der letzte Hype war jetzt eher in der aufstrebenden, sich modernisierenden Mitte zu finden. Aber seine Anziehungskraft als Einkaufs- und Touristenmagnet blieb ungebrochen. Rund um den Breitscheidplatz werden regelmäßig die höchsten Passantenzahlen ganz Berlins ermittelt. Eine Reihe von spektakulären Neubauten wie das Neue Kranzlereck oder das Concorde-Hotel geben ihm ein modernes Gesicht, und weitere Großprojekte wie die Bebauung des Zoofensters, die Neugestaltung des Zoobogens und das geplante Aussichtsrad am Zoo sorgen für den nötigen Wandel. Im September 2009 wurde hier im Amerika Haus das Forum City West begründet, in dem Senat, Bezirksamt, wirtschaftliche, kulturelle und wissenschaftliche Institutionen zusammenarbeiten wollen, um den Kurfürstendamm und die City West zu stärken, damit der Wandel weiter gehen kann und die richtige Mischung erhalten bleibt.
Dabei helfen Sie uns auch mit Ihrem neuen Buch, und ich danke allen, die daran beteiligt waren und die seine Herausgabe unterstützt haben, herzlich dafür. Es hält das Heimweh nach dem Kurfürstendamm wach, und das ist gut so.