Rede der Bezirksbürgermeisterin Monika Thiemen zum 100jährigen Bestehen des Hildegard-Wegscheider-Gymnasiums

Rede der Bezirksbürgermeisterin Monika Thiemen

Zum 100jährigen Bestehen des Hildegard-Wegscheider-Gymnasiums am 19.9.2009

Sehr geehrter Herr Lischka!
Sehr geehrte Schülerinnen und Schüler!
Sehr geehrtes Lehrerkollegium!
Sehr geehrte Damen und Herren!

Vielen Dank für die Einladung zu diesem großen Festakt. Ich bin ihr gerne gefolgt und gratuliere Ihnen im Namen des Bezirksamtes Charlottenburg-Wilmersdorf herzlich zum 100. Geburtstag Ihrer Schule.
Als vor 100 Jahren, 1909, dieses Schulgebäude von der damaligen Höheren Mädchenschule in Besitz genommen wurde, da war die Welt noch in Ordnung.
Die Villenkolonie Grunewald war eine selbständige Gemeinde im Landkreis Teltow. Zwei Jahre zuvor waren das KadeWe und das Schiller-Theater eröffnet worden, drei Jahre später wurde das Deutsche Opernhaus in Betrieb genommen. Das Deutsche Kaiserreich war in aller Welt hoch angesehen, wenn auch Kaiser Wilhelm II als ein wenig größenwahnsinnig und überheblich galt. Theodor Mommsen hatte 1902 den Nobelpreis für Literatur erhalten, Gerhart Hauptmann erhielt ihn 1912. Eine ganze Reihe Nobelpreisträger in Physik, Chemie und Medizin kamen in diesen Jahren aus Deutschland, darunter Robert Koch und Paul Ehrlich. Seit der Gründung des Deutschen Kaiserreichs 1871 hatte es keinen Krieg mehr gegeben, sondern eine fast 40jährige erfolgreiche friedliche Entwicklung.
Die 196 Schülerinnen, für die 1909 in diesem Haus der Unterricht begann, hatten noch 5 friedliche Jahre vor sich.
1912 gab sich die Schule den Namen “Bismarck-Lyceum”. Der alte Reichskanzler, Fürst Bismarck, war noch immer äußerst populär, obwohl er 1890 vom jungen Kaiser entlassen worden und 1898 gestorben war. Besonders in Grunewald waren ihm die Menschen dankbar, denn er galt als der eigentliche Gründer der Villenkolonie. Vielleicht war Bismarck in dieser Zeit aber auch deshalb so populär, weil man sich nach seiner Friedenspolitik zurücksehnte: Während er immer den Ausgleich gesucht und gefunden hatte, sich mit dem Erreichten zufrieden gab und keine neuen Ansprüche anmeldete, brachte der Kaiser jetzt alle Welt gegen sich auf mit seinem Anspruch, das Deutsche Kaiserreich zur Weltmacht mit Kolonien in Übersee und einer starken Kriegsflotte auszubauen.
Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis 1914 der Erste Weltkrieg begann. Obwohl er sich zu einer weltweiten Katastrophe entwickelte, spürte man seine Auswirkungen hier in Grunewald zunächst kaum.
Viele Väter und Söhne kehrten zwar verwundet oder gar nicht mehr aus dem Krieg zurück, aber die Kriegsschauplätze waren weit entfernt. Erst nach dem Krieg, als der Kaiser nach Holland floh, in Berlin die Revolution ausbrach und Deutschland mit der Weimarer Republik zur Demokratie wurde, da musste man auch in Grunewald umdenken. Die Villenkolonie verlor ihre Selbständigkeit und wurde als Bestandteil des neuen Bezirks Wilmersdorf zu einem Teil von Groß-Berlin. 1924 machten die ersten Mädchen am Bismarck-Lyceum Abitur, und inzwischen wurden in Grunewald viele Schülerinnen vom Chauffeur der Familie mit dem Automobil zur Schule gebracht – ein neues Statussymbol hatte sich durchgesetzt.
Als 1933 die Nationalsozialisten die Macht übernahmen, änderte sich an der Schule zunächst nicht viel. Der liberale Direktor Friedrich Abée blieb bis 1945 im Amt und galt als Geheimtipp bei Eltern, die ihrem Kind eine betont nationalsozialistische Erziehung ersparen wollten. Aber auch er konnte nationalsozialistischen Unterricht nicht verhindern und die jüdischen Schülerinnen nicht auf Dauer an der Schule halten. Inzwischen erinnert eine Gedenktafel an der Schule daran: Mehr als 100 Schülerinnen mussten zwischen 1933 und 1939 die Schule vorzeitig verlassen. 1939 wurde die Schule nach Bismarcks Frau, Johanna von Puttkamer, umbenannt, denn Mädchenschulen sollten jetzt Frauennamen tragen. Im Zweiten Weltkrieg wurde auch dieses Schulhaus beschädigt, Schülerinnen, Lehrerinnen und Lehrer wurden evakuiert, die Schule wurde geschlossen.
Mit dem Neuanfang nach der nationalsozialistischen Barbarei und dem Zweiten Weltkrieg war ein neuer Name verbunden: Die Sozialdemokratin Hildegard Wegscheider hatte 1894 als erste Frau in Preußen Abitur gemacht und war von 1919 bis 1933 preußische Landtagsabgeordnete. Dann wurde sie von den Nationalsozialisten aus allen Ämtern entlassen. An ihrem 75. Geburtstag, am 2. September 1946, wurde diese Schule nach ihr benannt, und jetzt begann für Deutschland und für diese Schule eine lange Zeit friedlicher, demokratischer und erfolgreicher Entwicklung, die bis heute andauert. 1967 begann die Koedukation: Aus dem früheren Lyceum wurde ein Gymnasium. Aber natürlich wurde es nie zu einem ganz normalen Gymnasium, sondern es blieb immer etwas Besonderes. Und das soll es auch in Zukunft bleiben.
Ich wünsche der Hildegard-Wegscheider-Schule alles Gute zum Geburtstag und für die Zukunft weiter viel Erfolg für die hier arbeitenden Lehrerinnen und Lehrer, vor allem aber für die Schülerinnen und Schüler, die hier auf ihr Erwachsenenleben vorbereitet werden.