Rede der Bezirksbürgermeisterin Monika Thiemen zur Kranzniederlegung am Gedenkstein für die Opfer des Stalinismus am Steinplatz

Rede der Bezirksbürgermeisterin Monika Thiemen

Zur Kranzniederlegung am 13.08.2009 um 17.00 Uhr am Gedenkstein für die Opfer des Stalinismus am Steinplatz

Sehr geehrte Damen und Herren!

“Der Senat von Berlin erhebt vor aller Welt Anklage gegen die widerrechtlichen und unmenschlichen Maßnahmen der Spalter Deutschlands, der Bedrücker Ost-Berlins und der Bedroher West-Berlins. Die Abriegelung der Zone und des Sowjetsektors von West-Berlin bedeutet, dass mitten durch Berlin die Sperrwand eines Konzentrationslagers gezogen wird.”
So heißt es im Protokoll der außerordentlichen Sitzung des Berliner Senats unter der Leitung des Regierenden Bürgermeisters Willy Brandt am Sonntag, dem 13. August 1961.
Am 23. Mai dieses Jahres haben wir den 60. Jahrestag unseres Grundgesetzes gefeiert, und am 9. November werden wir den 20. Jahrestag des Mauerfalls feiern, zwei Jubiläen, die uns Grund zum Feiern geben.
Am heutigen 13. August haben wir nichts zu feiern. Und vielen Jugendlichen ist dieses Datum kein Begriff mehr. Selbst in Berlin – vielleicht sogar gerade in Berlin – wurde es von vielen vergessen. Touristen sind oft stärker an diesem Teil unserer Geschichte interessiert als Einheimische, und sie sind enttäuscht, weil von der legendären Berliner Mauer so wenig übrig geblieben ist. Nach dem Fall der Mauer hatten wir kein Interesse daran, sie zu konservieren. Im Gegenteil: Sie wurde in viele kleine Teile zerklopft, die dann als Souvenirs verschenkt oder verkauft wurden. In gewisser Weise wurde sie der Lächerlichkeit preisgegeben.
8 Jahre nach der Niederschlagung des Volksaufstandes vom 17. Juni 1953 war der Bau der Mauer am 13. August 1961 eine weitere Maßnahme zur Einschüchterung und Freiheitsberaubung. Die DDR-Regierung baute ihre Überwachungs- und Sicherheitsbehörden voller Misstrauen gegen das eigene Volk in geradezu grotesker Weise aus.
Die Enthüllung über die Stasi-Mitgliedschaft des West-Berliner Polizeibeamten Kurras, der am 2. Juni 1967 Benno Ohnesorg erschossen hat, hat uns eindringlich gezeigt, wie sehr diese angstvolle und zugleich aggressive Politik der SED auch unser Leben im Westteil Berlins beeinflusste.
48 Jahre nach dem Bau der Mauer und 20 Jahre nach ihrem glücklichen Ende können sich viele nicht mehr vorstellen, wie das damals war. Deshalb ist es notwendig, daran zu erinnern.
Der 13. August 1961 war ein schwerer Tag für unsere Stadt, ein Schock für alle, die ihn erlebt haben. Ein diktatorisches Regime nahm seine eigene Bevölkerung in Haft, weil die Menschen davon liefen und damit demonstrierten, dass sie mit ihrer Regierung nicht einverstanden waren. Abwählen konnten sie diese Regierung nicht, denn ganz im Gegensatz zu ihrem Namen war die Deutsche Demokratische Republik keine Demokratie.
Der Bau der Mauer war die Bankrotterklärung des kommunistischen Herrschaftssystems der DDR. Es war das Eingeständnis, dass sie den Wettbewerb um die bessere Gesellschaftsordnung längst verloren hatte. Wer Mauern braucht, der hat offensichtlich nichts zu bieten.
Man musste Zwang ausüben und die Menschen einsperren, damit sie nicht wegliefen.
Mit diesem Zwang verlängerte das System seine Lebensdauer künstlich um weitere 28 Jahre, bis dann mit dem Fall der Mauer konsequenterweise auch die DDR ihr Ende fand.
Die Mauer hat viele Menschenleben gekostet und viele Menschen brutal voneinander getrennt. Sie war menschenverachtend. In klugen historischen Aufsätzen kann man dieser Tage oft nachlesen, dass die Mauer in gewisser Weise unausweichlich und notwendig war, dass sie zu einer Stabilisierung der Lage um Berlin geführt habe und dass sie einen Zusammenprall der im Kalten Krieg miteinander verfeindeten Blöcke verhindert habe, dass sie damit letztlich dem Erhalt des Friedens gedient habe.
Das alles ist – aus der Distanz nach der Wiedervereinigung betrachtet –richtig. Kennedy reagierte erleichtert, als er vom Bau der Mauer erfuhr. Denn für ihn bedeutete es, dass Chruschtschow nachgegeben hatte: “Wenn er noch die Absicht hätte, ganz Berlin zu besetzen, hätte er diese Mauer nicht gebaut.”
Aber das ändert nichts an der Tatsache, dass der Bau der Mauer mit Schießbefehl und Minen ein Verbrechen war. Es ist das einzige Beispiel in der Geschichte der Menschheit, dass die gesamte Bevölkerung eines Möchtegern-Staates von ihrer Staatsführung in Haft genommen und damit ihrer Freiheit und ihrer Lebenschancen beraubt wurde.
Auch für uns West-Berliner bedeutete der Bau der Mauer Angst und Schrecken. Viele glaubten nicht, dass der Ostblock es dabei belassen würde. Eine Flucht aus dem Westteil der Stadt setzte ein, Möbelwagen rollten nach Westen, die Grundstückspreise in West-Berlin sanken, und nur mit großen Anstrengungen konnte die Bundesrepublik die Lebensfähigkeit der Teilstadt aufrechterhalten.
Im Widerspruch gegen alle, die sich mit der Mauer arrangiert hatten, sagte Richard von Weizsäcker am 18. März 1986: “Die Mauer in Berlin ist eine Realität; aber realistisch ist sie nicht, denn sie ist nicht vernünftig, nicht human. Deshalb wird sie in der geschichtlichen Perspektive keinen Bestand haben.” Knapp vier Jahre später wurde diese Voraussage bestätigt.
Die Bürgerinnen und Bürger der DDR haben sich im November 1989 den Durchbruch durch die Mauer erkämpft, und Berlin ist längst wieder die Hauptstadt Deutschlands, eine pulsierende Metropole, eines der attraktivsten Ziele für Touristen in aller Welt. Die Mauerzeit erscheint im Rückblick vielen bereits als unwirklich und unverständlich, als eine skurrile Episode in der Geschichte unserer Stadt.
Wir sollten aber nicht vergessen, dass die Mauer als brutales Zeichen der Gewaltherrschaft Berlin für fast drei Jahrzehnte zerschnitten hat. Aus ihrem Ende können wir lernen, dass man sich mit brutalem Unrecht nicht arrangieren darf. Auch wenn es nicht sofort zu ändern ist, lohnt es sich, dagegen anzukämpfen. Am Ende hat das Unrecht keinen Bestand, und auch ein scheinbar mächtiges diktatorisches Regime bricht wie ein Kartenhaus zusammen.