Sehr geehrter Herr Ewald!
Sehr Festgäste
Herzlich willkommen zur 125jährigen Geburtstagsfeier des Radsport-Clubs Charlottenburg e.V. Ich werde zwar inzwischen schon recht häufig zu Geburtstagen von Menschen eingeladen, die 100 Jahre oder älter werden, aber 125 ist dann doch etwas mehr als ein Menschenalter.
Sie werden heute Abend sicher noch viel über das Fahrradfahren und den Radsport hören, und zwar von kompetenteren Radfahrern als ich es bin. Deshalb will ich Ihnen etwas über Charlottenburg erzählen, wie es vor 125 Jahren ausgesehen hat, als der Berliner Bicycle Club Germania gegründet wurde.
Im Jahr 1883 war Charlottenburg eine selbständige Stadt unweit von Berlin. Immerhin gab es seit zwei Jahren eine Rohrpostverbindung zwischen Charlottenburg und Berlin. Charlottenburg hatte rund 30.000 Einwohner, aber es entwickelte sich in einem rasanten Tempo zur Großstadt und zur reichsten Stadt Preußens.
Der Bahnhof Zoo wurde 1882 eröffnet und schon zwei Jahre später zum Fernbahnhof erweitert. 1883 begann der Ausbau des Kurfürstendammes vom Feldweg und Knüppeldamm zum modernen Großstadtboulevard. Drei Jahre später war die Pflasterung fertig, die Dampfstraßenbahn zwischen Bahnhof Zoo und Halensee wurde eröffnet, und innerhalb weniger Jahre wurde der Boulevard mit prachtvollen Mietshäusern bebaut und wurde zur beliebten Flaniermeile mit unzähligen Geschäften, Cafés, Tanzsälen und bald auch Kinos und Theatern.
1895 schilderte die “Berliner Illustrirte Zeitung” ein Sommer-Wochenende auf dem Kurfürstendamm so:
“Welch’ ein Leben an schönen Sommer-Sonntagnachmittagen auf dieser Straße. Hüben und drüben auf den Fußsteigen die dunklen Massen derer, die Schusters Rappen noch immer für das billigste und sicherste Beförderungsmittel halten.
In der Mitte die Dampfbahn mit überfüllten Wagen, die Droschken und Kremser. Und pfeilschnell oder nur mühsam sich durch das Gewirr hindurchwindende Radfahrer. Das Hochrad ist fast ganz verschwunden, das Niederrad dominiert. Dort der Klubangehörige im Sportkostüm, da ein ‘Sonntagsreiter’ auf dem Stahlroß, der die weiten Hosen um die Knöchel zusammengebunden hat und dessen Rockschöße wie zwei Flügel hinter ihm herflattern, und dort ein Paar auf dem Tandem, das Weiblein in Pluderhosen und Blousenrock, die Kappe ihres Klubs oder desjenigen, dem ‘er’ angehört, auf dem Haar.”
15 Jahre nach der Clubgründung, also am 31. Oktober 1898 wandte sich eine Gruppe von Hauseigentümern mit einer Petition an den Magistrat der Stadt Charlottenburg, in der es heißt, dass der Kurfürstendamm sehr schnell zum Liebling des Publikums wurde und mit seinen zweifachen Fahrdämmen, seinem besonderen Reitweg, der Straßenbahn und den beiden Bürgersteigen sicheren Raum für alle bot. “Mit dieser Sicherheit aber war es zu Ende, als allmählich auch der Radfahrverkehr sich des Kurfürstendammes bemächtigte. Die Gefahren für Leib und Leben, denen man seitdem daselbst, insbesondere bei Überqueren der Straße, ausgesetzt ist, sind allbekannt.”
Der Vorschlag der Tiefbaudeputation, nachträglich noch Radfahrwege herzustellen, wurde verworfen, “denn die Anlage besonderer Radfahrwege würde noch eine immer größere Zahl von Radlern anlocken, die Massen derselben würden sich mit der Zeit noch ganz bedeutend vermehren.” Merke: Wer Straßen sät, wird Verkehr ernten.
Nun, wie Sie sehen haben die Charlottenburger Deputierten ganz richtig vorausgesehen, dass die Zahl der Radfahrerinnen und Radfahrer in Charlottenburg – und natürlich nicht nur hier – wachsen würde. Wir sind heute froh darüber, und wir fördern das Radfahren wo wir können, sei es im Alltag, sei es im Sport.
Angesichts der großen Radfahrtradition Charlottenburgs war es für mich selbstverständlich, diesen Jubiläumsempfang für den Radsport-Club Charlottenburg mit auszurichten. Ich gratuliere dem RCC herzlich zum 125. Geburtstag und wünsche ihm für die Zukunft viel Erfolg.