Rede der Bezirksbürgermeisterin Monika Thiemen zur Einbürgerungsfeier am 11.9.2008 im BVV-Saal

Rede der Bezirksbürgermeisterin Monika Thiemen

Zur Einbürgerungsfeier am 11.9.2008 im BVV-Saal im Rathaus Wilmersdorf

Sehr geehrte Damen und Herren!

Herzlich willkommen im Rathaus Wilmersdorf und herzlich willkommen als deutsche Bürgerinnen und Bürger im Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf. Ich freue mich, dass Sie sich dafür entschieden haben, die deutsche Staatsbürgerschaft anzunehmen. Sie haben damit zum Ausdruck gebracht, dass Sie gerne in unserem Land leben, dass Sie sich in Berlin und wie ich hoffe auch in unserem Bezirk wohl fühlen.
Ich hoffe, dass Sie sich als deutsche Staatsbürger auch aktiv in diese Gesellschaft einbringen und in unserer Demokratie mitwirken. Das heißt, dass Sie wählen gehen, wenn eine Wahl ansteht.
Es heißt aber auch, dass Sie sich einmischen, mitdiskutieren, uns Politikern auf die Finger schauen. Aber wenn Sie sich in unserer Gesellschaft engagieren wollen, dann gibt es natürlich nicht nur die Politik. Es gibt Vereine, Bürgerinitiativen und viele andere Organisationen in denen ehrenamtlich für das Gemeinwohl gearbeitet wird. Und es gibt auch ganz private Initiativen, sich für seine Umgebung einzusetzen.
Wir unterstützen ehrenamtliches Engagement auf vielfältige Weise. Morgen ist der Tag des Ehrenamtes, und meine Kollegin, Sozialstadträtin Martina Schmiedhofer, wird im Rahmen eines Festes von 13.00 bis 18.00 Uhr auf dem Karl-August-Platz den Ehrenamtspreis verleihen.
Jedes Jahr am 19. Oktober begehen wir unseren Bezirkstag und verleihen die Bürgermedaille des Bezirks, in diesem Jahr werden wir das im Rahmen einer Bürgermeisterkonferenz mit einigen unserer Partnerstädte tun. Beide Ehrungen sind Anerkennungen für besonderes ehrenamtliches Engagement. Wir wissen aber auch, dass viele sich im Stillen engagieren, ohne dass wir davon erfahren und ohne dass Lob und Anerkennung dafür gegeben wird.
Unsere Gesellschaft wäre um vieles ärmer, wenn es diese vielfältigen Aktivitäten nicht gäbe, sei es im Sport, im sozialen Bereich, in der Kultur, für die Umwelt oder eben auch in der Politik.
Viele Menschen empfinden Politik als unangenehm und halten nicht viel von Politikerinnen und Politikern. Vielleicht hängt das damit zusammen, dass Politik immer mit Auseinandersetzung verbunden ist, mit der Auseinandersetzung um den richtigen Weg.
Aber diese Auseinandersetzung ist das Grundelement der Demokratie. Und wenn sie mit guten Argumenten ausgetragen wird, dann führt sie meistens zu einem Kompromiss. Mit dem Kompromiss sind zwar oft beide Seiten nicht mehr ganz zufrieden. Aber am Ende sind Kompromisse fast immer die besseren Lösungen, besser jedenfalls als die radikalen Lösungen der Ideologen.
Die besten Lösungen, die für alle akzeptabel sind, werden immer nur dann gefunden, wenn alle Betroffenen an der Auseinandersetzung beteiligt sind und ihre jeweiligen Interessen und Sichtweisen einbringen. Diese kann im Rahmen der parlamentarischen Demokratie durch die gewählten Abgeordneten geschehen.
Dies kann aber auch durch Bürgerinitiativen geschehen oder durch viele andere Formen der Interessenvertretung, beim Elternabend in der Schule, bei der Mitgliederversammlung im Verein oder bei der Personalversammlung im Betrieb. Jeder sollte sich dort, wo es um seine Interessen geht, einbringen und äußern und damit dazu beitragen, dass gute Lösungen gefunden werden.
Die Grundlage für das Zusammenleben und für die Auseinandersetzung ist unser Grundgesetz und unsere Rechtsordnung. Es ist eine gute Grundlage.
Wir sollten für unsere Demokratie eintreten und – wenn nötig – mit friedlichen Mitteln kämpfen. Wir sollten sie uns nicht nehmen lassen von Extremisten, die meinen, sie seien im Besitz der absoluten Wahrheit und die ihre Kultur und ihre Lebensauffassung mit Gewalt allen Menschen aufzwingen wollen.
Deshalb braucht jede Demokratie aktive Demokraten. Sie braucht die Unterstützung der Bürgerinnen und Bürger.
Wir haben in unserer Geschichte gelernt, dass Demokratie nichts Selbstverständliches ist, sondern dass wir uns immer aktiv für sie einsetzen müssen.
Demokratie bedeutet nicht nur die Herrschaft der Mehrheit, sondern Demokratie bedeutet auch Rechtsstaatlichkeit, Schutz der Minderheiten, Toleranz und Vielfalt der Kulturen. Berlin hat sich nicht zuletzt deshalb so erfolgreich entwickelt, weil hier schon seit Jahrhunderten verschiedene Kulturen friedlich zusammen existieren.
Die Nationalsozialisten haben diese Entwicklung mit ihrer brutalen Politik der Ausgrenzung unterbrochen. In diesem Jahr werden wir mit einer Reihe von Veranstaltungen an den 70. Jahrestag der Pogromnacht dem 9. November 1938 erinnern.
Weltweit ist dieses Datum als “Reichskristallnacht” bekannt. In dieser Nacht haben die Nationalsozialisten in ganz Deutschland die Synagogen angezündet, die jüdischen Geschäfte zerstört und viele jüdische Bürgerinnen und Bürger gedemütigt und umgebracht. Diese Nacht war das Vorspiel zum Holocaust, zum Massenmord an den europäischen Juden. Diese Nacht steht für das schlimmste Kapitel unserer Geschichte und für ein Menschheitsverbrechen, das uns wohl für immer unbegreiflich sein wird. Wir tragen daran keine Schuld, aber wir sind dafür verantwortlich, dass dieses Verbrechen nicht vergessen wird und dass etwas Ähnliches nie mehr geschieht.
Rassismus, Antisemitismus, Intoleranz können und dürfen wir in unserem Land nie mehr dulden. Und wir treten dafür ein, dass die Menschenrechte in aller Welt für alle Menschen gelten.
Heute ist das friedliche Neben- und Miteinander der verschiedenen Kulturen in unserem Land eine entscheidende Grundlage für unser Wohlergehen und für eine erfolgreiche wirtschaftliche, kulturelle und gesellschaftliche Entwicklung.
In unserem Land sollen sich die Menschen mit ihrem jeweils unterschiedlichen kulturellen Hintergrund frei entfalten können. Für uns alle ist es wichtig, dass wir gemeinsam die Regeln des Zusammenlebens akzeptieren, wie sie in unserem Grundgesetz festgelegt sind. Dazu gehört die Gleichberechtigung von Mann und Frau, und dazu gehört die Freiheit der Religionsausübung.
Alle Menschen sind gleich viel wert – völlig unabhängig davon, ob sie sich einer Religion verpflichtet fühlen oder nicht.
Wir erwarten bei der Einbürgerung keine Assimilation sondern freuen uns im Gegenteil über die kulturelle Vielfalt, die unser Grundgesetz ausdrücklich schützt.
Aber natürlich freuen wir uns, wenn Sie sich für unsere Kultur, unsere Geschichte und unsere Sprache interessieren. Vielleicht interessieren Sie sich sogar für die Geschichte und die Besonderheiten des Bezirks, in dem Sie leben. Es gibt viele Möglichkeiten, diesen Bezirk näher kennen zu lernen. In unseren Stadtbibliotheken finden Sie Bücher über Charlottenburg und Wilmersdorf. In unserem Bezirks-Museum gegenüber dem Schloss Charlottenburg in der Schloßstraße gibt es ein umfangreiches Archiv zur Bezirksgeschichte, und immer wieder gibt es dort auch interessante Ausstellungen.
Einmal im Monat, immer am zweiten Sonnabend, ab 14.00 Uhr lade ich zu einem Kiezspaziergang ein. Diese Spaziergänge sind sehr beliebt, und ich kann sie Ihnen sehr empfehlen, wenn Sie Ihren Bezirk möglichst genau kennen lernen wollen und wenn Sie vor großen Menschenmengen nicht erschrecken, denn wir sind meistens zwischen 200 und 300 Personen, und ich brauche einen Lautsprecher, damit ich verstanden werde. Der nächste ist am kommenden Sonnabend, dem 13. September. Wir treffen uns um 14.00 Uhr am Bahnhof Zoo unter der großen Uhr an der Ecke Hardenbergstraße, und wir gehen durch die westliche City entlang den S-Bahn-Bögen bis zur Wilmersdorfer Straße, wo an diesem Tag ein Bankett für Millionen veranstaltet wird, eine Benefizveranstaltung für Straßenkinder in Lateinamerika. Wer will kann an diesem Bankett für einen guten Zweck teilnehmen, natürlich auch unabhängig vom Kiezspaziergang.
Sie haben sich für die deutsche Staatsbürgerschaft entschieden und ich hoffe, dass Sie Ihre Kultur und Ihre Geschichte mit einbringen in unsere Gesellschaft. Ich hoffe, dass wir uns gegenseitig nicht gleichgültig sind, sondern dass wir uns füreinander interessieren.
Wir wollen zusammenleben, ohne unsere Unterschiede zu verleugnen. Wir wollen keinen Kampf der Kulturen, sondern wir wollen eine multikulturelle Gesellschaft, in der die verschiedenen Kulturen miteinander ins Gespräch kommen, sich gegenseitig bereichern und im Gespräch bleiben. Lassen Sie uns gleich heute damit beginnen.
In diesem Sinne wünsche ich uns allen noch einen schönen Abend und Ihnen alles Gute für Ihre Zukunft als Deutsche.