Rede des Stellvertretenden Bezirksbürgermeisters Klaus-Dieter Gröhler zum 20. Juli am 20.7.2008 auf dem Steinplatz

Rede des Stellvertretenden Bezirksbürgermeisters Klaus-Dieter Gröhler

Zum 20. Juli am 20.7.2008 auf dem Steinplatz

Sehr geehrte Frau Bezirksverordnetenvorsteherin Dr. Suhr,
sehr geehrte Frau Dr. Rehfeld,
sehr geehrte Frau Dr. Hansen,
meine Damen und Herren!

Ich begrüße Sie zur Gedenkveranstaltung zum 20. Juli und bedanke mich ganz herzlich, dass Sie daran teilnehmen. Es ist mir eine besondere Freude, dass das Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf, die Bezirksverordnetenversammlung und der Bund der Verfolgten des Naziregimes (BVN) gemeinsam die Zeremonie durchführen. Das Gedenken an die Opfer der NS-Diktatur am Steinplatz hat eine lange Tradition. Wir versammeln uns jährlich an diesem Mahnmal, das aus geborgenen Steinen der zerstörten Synagoge in der Fasanenstraße errichtet worden ist.

Heinrich Himmler hat im August 1944 vor jungen Offizieren in Posen gesagt, dass es ihm ein besonderes Anliegen sei, dass es kein Andenken an die “Verbrecher vom 20. Juli” geben dürfe und deshalb alle Hinweise auf sie vernichtet werden sollen. Deshalb sollten Claus Graf Schenk von Stauffenberg und seine Mitstreiter keine Gräber haben. Staufffenberg wurde, nachdem er am 20. Juli in den Abendstunden im Bendlerblock hingerichtet und auf dem Schöneberger St. Matthäus Kirchhof bestattet worden ist, einige Tage später von der Gestapo exhumiert, im Krematorium Wedding verbrannt und die Asche anschließend auf den Rieselfeldern verstreut. Der Wunsch Himmlers ist Gott sei Dank nicht in Erfüllung gegangen, die Tatsache, dass Sie heute gekommen sind, um sich an die Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944 zu erinnern, beweist, dass das Gedenken nach wie vor wach ist. Wir werden den Frauen und Männern des deutschen Widerstandes heute und künftig ein ehrendes Andenken bewahren, denn sie haben sich verdient gemacht um Deutschland, um unser Vaterland. Zutreffend hat Eberhard Diepgen als Regierender Bürgermeister, Sie haben das Zitat bereits in der Einladung zu dieser Gedenkveranstaltung lesen können, am 20. Juli 1994 gesagt: „Das Andenken der Frauen und Männer des deutschen Widerstandes gehört zu den großen Vermächtnissen unserer Geschichte.“

Gleichwohl hört man von dem Einen oder Anderen immer wieder Kritik am 20. Juli 1944. Da wird vorgetragen, das Attentat habe zu spät stattgefunden, der Aufstand sei zu unorganisiert, zu zaghaft gewesen, und Claus Graf Schenk von Stauffenberg und seine Mitstreiter hatten den Wunsch, ein autoritäres Deutschland zu schaffen, nicht die Bundesrepublik Deutschland, in der wir heute leben.

Dieser Kritik möchte ich entgegentreten. Der Vorwurf zu spät trifft nicht zu, denn wir wissen durch die Forschung unlängst, dass es bereits vorher zahlreiche Versuche gegeben hat, den Diktator zu beseitigen, unter anderem durch mutige Attentatsversuche Henning von Tresckows, die zwar nicht zum Ziel führten, was jedoch nicht die Schuld von Tresckows war. Zu unorganisiert heißt der zweite Vorwurf, doch wie organisiert sollte der Widerstand sein? Musste man doch immer Sorge haben, wenn man einen Freund oder Kameraden ansprach, ob er mittun würde, verraten zu werden, von der Gestapo abgeholt, gefoltert und ermordet zu werden. Nicht zu vergessen die Sorge um die eigene Familie. Und was ist dran am Vorwurf, der Putschversuch sei zu zaghaft ausgeführt worden? Ja, in der Tat, es war für viele Widerstandskämpfer aus dem Kreise der Wehrmacht nicht einfach, sich über den gegebenen Eid hinwegzusetzen, zu erkennen, dass der, dem man den Eid geschworen hatte, ihn zigtausend Mal missbraucht hatte und man deshalb nicht mehr an ihn gebunden war. Tyrannenmord hatte in der deutschen Geschichte keine Tradition. Natürlich wäre es wünschenswert gewesen, wenn schon 1934 die deutsche Beamtenschaft sich geweigert hätte, Schreiben nicht mit der Grußformel „Heil Hitler“ zu unterzeichnen. Unsere Geschichte wäre auch anders verlaufen, wenn nach den Nürnberger Rassegesetzen ein Generalstreik ausgerufen worden wäre, aber dazu war das Land nicht mehr in der Lage und die Fragestellung, was wäre gewesen wenn, hilft angesichts unserer Geschichte nicht weiter.

Natürlich hatte von Stauffenberg als er kurz vor seiner Erschießung rief: „Es lebe das heilige Deutschland“, nicht die Bundesrepublik Deutschland und das Grundgesetz im Kopfe, wie sollte er auch, angesichts seiner Erziehung, Herkunft und der bis dahin bestehenden staatlichen Tradition Deutschlands? Aber Stauffenberg und seine Mitstreiter wollten ein Deutschland frei vom Diktator, die Wiederherstellung des Rechtsstaats und die Beendigung des Mordens. Und die Kooperation im deutschen Widerstand über gesellschaftliche Grenzen hinaus, die Zusammenarbeit zwischen Konservativen und Sozialisten, zwischen Arbeitern und Adligen, zwischen Protestanten und Katholiken schaffte die Grundvoraussetzung für die Entstehung unserer konsensualen Gesellschaft im heutigen demokratischen Deutschland.

Und so ist es richtig und wichtig, das Andenken an Tapferkeit und Mut der Frauen und Männer des 20. Juli zu wahren und über sie hinaus in das heutige Gedenken auch alle Menschen, die Widerstand gegen den nationalsozialistischen Terrorstaat geleistet haben, einzubeziehen.

Johann von der Marwitz war General unter Friedrich dem Großen, und er verweigerte einen Befehl, nämlich die Plünderung eines Dorfes, weil er darin keinen militärischen Sinn sah. Er wurde aus der preußischen Armee ausgestoßen, und auf seinem Grabstein steht, „er wählte Ungnade, wo Gehorsam nicht Ehre brachte.“ Dieser Satz, meine Damen und Herren, ist für die Frauen und Männer des 20. Juli der Kern ihres Handelns gewesen, sie wählten Ungnade, ja viele von ihnen rechneten sogar damit, als Verräter in die Geschichte einzugehen und keinen Erfolg zu haben, aber sie wählten diese Ungnade, weil sie erkannt hatten, dass der Gehorsam Hitler gegenüber ihnen nicht Ehre brachte und auch nicht ihrem Vaterland.

Die Männer und Frauen des 20. Juli haben mit dafür gesorgt, dass wir heute aufrechter gehen können in Anbetracht unserer Geschichte, aber es geht nicht nur darum, an ihr Tun zu denken, sondern sie haben uns auch einen Auftrag hinterlassen, einen Auftrag, der wie ich finde, kaum besser zusammengefasst wird als in den Worten, die früher im RIAS zum Klang der Freiheitsglocke gesprochen wurden, nämlich: „Ich verspreche, jedem Angriff auf die Freiheit und der Tyrannei Widerstand zu leisten, wo auch immer sie auftreten möge.“

Lassen Sie diesen Satz Maxime unseres Handels sein. Ich danke Ihnen dafür, dass Sie heute am Sonntagmorgen zu Ehren der Opfer des Widerstandes hier zum Steinplatz gekommen sind und mir aufmerksam zugehört haben.