am 22.5.2006, 14.00 Uhr, Bundesallee 23, 10717 Berlin
Sehr geehrter Herr von Kieseritzky!
Sehr geehrter Herr Prof. Wildung!
Sehr geehrte Damen und Herren!
Charlottenburg und Wilmersdorf waren in den 20er und 30er Jahren die beiden Berliner Bezirke mit dem höchsten Anteil jüdischer Bevölkerung. Hier lebten damals mehr als 50.000 jüdische Berlinerinnen und Berliner, und sie machten in Wilmersdorf mehr als 13 Prozent und in Charlottenburg rund 8 Prozent der Bevölkerung aus.
Darunter waren viele bedeutende Persönlichkeiten, an die wir heute mit Gedenktafeln erinnern: Schriftsteller wie Lion Feuchtwanger, Bankiers wie die Brüder von Mendelssohn, Journalisten wie Alfred Kerr, Juristen wie Max Alsberg, Philsophen wie Walter Benjamin, Verleger wie Samuel Fischer oder Wissenschaftler wie Victor Klemperer. Ganz hier in der Nähe, an der Bundesallee 19, erinnert eine Gedenktafel an den Schriftsteller, Kritiker und Literaturwissenschaftler Julius Bab.
Auch der Schriftsteller Georg Hermann lebte damals in Wilmersdorf, und er hat in seinem 1908 erschienen Roman “Kubinke” lebendig beschrieben wie diese Straße, die damalige Kaiserallee, damals aussah:
“Die Häuser ringsum waren alle vornehm und hochherrschaftlich. Da war keins, das nicht einen Giebel gehabt hätte, keins ohne Erker und ohne spitzige Türmchen und Dachreiter.
Etwelche waren ganz aus roten Ziegelsteinen ausgeführt, wie nordische Kirchen; und andere daneben schienen wieder nur aus Orgelpfeifen zusammengebunden zu sein. Und die Eckhäuser bekrönten stolze, hohe, vielseitig gerundete Kuppeln, Riesentintenfässer mit reichlichem Gold. Oder riesige Fußbälle lagen da plötzlich auf dem Dach. So vornehm und hochherrschaftlich war die Straße.
Und sie hatte etwa keine Gasbeleuchtung mehr, sondern hoch oben, an scharfgespannten Drähten, schwebten die riesigen Calvillen der Bogenlampen, mitten über dem Damm, hoch über dem niederen Netzwerk der Straßenbahnleitungen, ja fast über den vier Reihen von Ulmen und Linden, die, immer, immer kleiner werdend, rechts und links, soweit man nur sehen konnte, sich die Straße hinabzogen.
Auf dem Bürgersteig aber zeichneten sich im Winter und im ersten Frühjahr ganz fein, scharf und genau, die Schatten aller Äste, Zweige und Zweiglein ab. Später, im Frühling, Sommer und Herbst aber, wenn das Laub an den Bäumen war, ging man hier des Abends in einem schönen, mattgrünen Halblicht dahin, das sich nach den Häusern und Torwegen, sobald die Läden geschlossen waren und ihr Licht eingestellt hatten, in ein für die dort plaudernden Paare höchst angenehmes und schützendes Dunkel verwandelte.
Wer sollte zweifeln, dass es eine hochherrschaftliche Straße war”
So weit Georg Hermann in seinem Roman “Kubinke” über die damalige Kaiserallee. Heute könnten uns schon Zweifel ankommen, ob es sich bei der Bundesallee um eine hochherrschaftliche Straße handelt. Sie wurde im Zweiten Weltkrieg stark zerstört und in der Nachkriegszeit nach dem städteplanerischen Leitbild der autogerechten Stadt neu aufgebaut.
Die Erinnerung an die damalige Kaiserallee ist nötig, wenn wir uns ein Bild machen wollen, wo James Simon damals lebte. Und Erinnerung ist unser Thema heute: Die Berliner Stadtführer, die diese Gedenktafel gestiftet haben, sind ja so etwas wie die lebendige Erinnerung unserer Stadt.
Und ich möchte ihnen dafür danken, dass sie diese Aufgabe sehr verantwortungsbewusst wahrnehmen und den Touristen und interessierten Berlinerinnen und Berlinern nicht nur das erzählen, was gefällt, sondern dass sie sorgfältig recherchieren, in der Vergangenheit graben und immer wieder Neues zu Tage fördern. Nicht wenige von ihnen haben eigene Bücher publiziert zur Geschichte Berlins und seiner einzelnen Bezirke und Ortsteile. Herzlichen Dank aber nicht nur dafür, sondern vor allem herzlichen Dank für die Stiftung dieser Gedenktafel.
Sie ehren damit einen Berliner Bürger, der ja in gewisser Weise auch ein Vorbild für die Stadtführer ist: James Simon war wohl der bedeutendste Mäzen und Stifter Berlins. Er hat unendlich viel für diese Stadt getan. Er förderte nicht nur soziale Einrichtungen, sondern auch die Kultur und die Geschichtswissenschaft. Er finanzierte Grabungen in Ägypten, und er schenkte den Berliner Museen nicht nur seine Kunstsammlungen, sondern auch die Grabungsfunde, darunter die weltberühmte Büste der Nofretete.
Sie war während der Zeit der Berliner Teilung für viele die Hauptattraktion in West-Berlin, und waren sehr traurig, als sie im letzten Jahr Charlottenburg verlassen musste, um wieder auf ihren angestammten Platz auf der Museumsinsel zurück zu kehren. Aber darüber wird uns Prof. Wildung gleich mehr erzählen.
Ich freue mich sehr, dass jetzt hier, an seinem früheren Wohnort, eine Gedenktafel an den großen Mäzen erinnert. Er wird ja glücklicherweise in diesen Tagen wieder entdeckt und in seiner Bedeutung gewürdigt. Im Bezirk Mitte soll ein Park nach ihm benannt werden, die Baden-Württembergische Landesvertretung an der Tiergartenstraße will in einigen Wochen an ihrem Haus eine Ausstellung zeigen und ebenfalls eine Gedenkmedaille anbringen, denn auch dort hat er gelebt.
Am 6. April dieses Jahres hat Wolfgang Büscher in der “Zeit” über James Simon unter dem Titel “Ein Leben für Berlin” geschrieben:
“Er war der größte preußische Mäzen der Kaiserzeit, der holte die Nofretete an die Spree und machte die Museumsinsel zu einer Schatzkammer der alten Kunst. Doch James Simon und sein Werk sind heute in der Hauptstadt vergessen.”
Ich freue mich, dass wir diese Feststellung heute korrigieren können. Und ich danke dem Verband der Berliner Stadtführer mit seinem Vorsitzenden Dr. Wolther von Kieseritzky für seine großzügige Spende.
Die Gedenktafel erinnert uns an einen Berliner Bürger, der ein leuchtendes Vorbild ist für bürgerschaftliches Engagement. Glücklicherweise gibt es solches bürgerschaftliches Engagement auch heute wieder – die Berliner Stadtführer haben es gerade bewiesen.