Rede des Bezirksbürgermeister Andreas Statzkowski in der BVV am 20.9.2001 zum Terrorangriff auf die USA

Rede des Bezirksbürgermeister Andreas Statzkowski

In der BVV am 20.9.2001 zum Terrorangriff auf die USA

Sehr geehrter Herr Vorsteher!

Sehr geehrte Damen und Herrn!

Am 11. September 2001 hat das neue Jahrhundert begonnen. Der beispiellose Terrorangriff hat die Illussionen vom Ende der Geschichte, vom ewigen Frieden nach der Beendigung des kalten Krieges zwischen Ost und West zerstört. Wir wissen jetzt, dass wir unsere gesellschaftliche Ordnung gegen ihre Feinde verteidigen müssen.

Der Angriff auf die USA war auch ein Angriff auf uns –
nicht nur, weil im World Trade Center auch 100 Deutsche auf schreckliche Art ermordet wurden;
nicht nur, weil auch bei uns viele Amerikaner leben;
nicht nur, weil jeder von uns als Flugpassagier oder auch in jeder anderen Situation jederzeit selbst Opfer eines Terroranschlages werden könnte;
nicht nur, weil wir Demokratie, Freiheit und Wiedervereinigung in unserer Stadt und in unserem Land in hohem Maße dem Einsatz der Amerikaner verdanken.
Es war ein Angriff auch auf uns, weil es ein Angriff gegen die offene Gesellschaft, gegen Freiheit und Demokratie war, ein Angriff gegen unsere Zivilisation, gegen den freiheitlichen Verfassungsstaat, für den die USA ein großes Vorbild sind.
Ermutigend finde ich die Reaktionen auf den Angriff. Es gab und gibt eine große weltweite Solidarität. Auch in unserem Land haben Regierung und Opposition in der Reaktion auf den Terror sofort zueinander gefunden. Ich hoffe sehr, dass diese weltweite Solidarität und auch die Solidarität in unserem Land über die gemeinsamen Trauer- und Betroffenheitsbekundungen hinausreicht und auch dann weiter bestehen wird, wenn es darum geht, konkrete Maßnahmen im gemeinsamen Kampf gegen den Terrorismus durchzusetzen.

Wenn jetzt vielfach Angst vor den Konsequenzen geäußert wird, wenn die USA ermahnt werden, besonnen und rechtsstaatlich zu handeln, dann ist das zwar verständlich, aber ich halte es für unangebracht. Wenn jemand Grund für Angst vor den Konsequenzen hat, dann die Bürgerinnen und Bürger in den USA, die Tausende von Opfern zu beklagen haben und jederzeit mit Folgeattentaten rechnen müssen.

Wenn wir jetzt unsere Angst in den Mittelpunkt stellen, dann zeugt dies von einem peinlichen Egoismus. Skepsis und Misstrauen gegen die USA sind gerade jetzt unangebracht. Die USA haben in bewundernswerter Weise besonnen reagiert. Sie arbeiten mit großer Energie an der Aufklärung des Verbrechens, sie handeln in bemerkenswert weitgehender Kooperation mit ihren Verbündeten, und sie nutzen alle diplomatischen und politischen Mittel, um eine weltweite Koalition gegen den Terrorismus zu schmieden.

Präsident Bush hat demonstrativ islamische Einrichtungen in seinem Land besucht und vor Übergriffen gegen Moslems gewarnt. Jeder verantwortliche Politiker der USA hat in den letzten Tagen immer und immer wieder betont, dass es jetzt nicht um einen Kampf der Kulturen geht, dass nicht der Islam der Gegner ist, sondern dass wir uns auf einen langfristigen Kampf gegen die Bedrohung durch den internationalen Terrorismus einstellen müssen.

Ich halte diese amerikanische Politik für vorbildlich, und ich halte die klare Haltung unserer Regierung, die von den demokratischen Parteien der Opposition unterstützt wird, für richtig. Zu der Politik der uneingeschränkten Solidarität mit unserem Bündnispartner USA gibt es jetzt keine Alternative und kein Aber.

Ich will jetzt nicht über die bundes- oder landespolitischen Konsequenzen dieser Politik sprechen, sondern ich will über einen Aspekt sprechen, der auch uns als Kommunalpolitiker betrifft.

Wenn wir die vor uns liegenden Konflikte und Kämpfe gemeinsam bestehen wollen, dann müssen wir wissen, wofür wir kämpfen, und wir müssen dies unseren Kindern, unseren Freunden, unseren Bürgerinnen und Bürgern vermitteln und unseren Gegnern klarmachen. Nach meiner Überzeugung müssen wir mehr als in der Vergangenheit für die gemeinsamen Grundlagen unserer gesellschaftlichen Ordnung werben, wir müssen deutlich machen, dass es sich lohnt, unsere offene Gesellschaft, unsere freiheitliche Demokratie zu verteidigen.

Dabei geht es nicht darum, den politischen Streit um den richtigen Weg zu beenden. Im Gegenteil: Dieser politische Streit ist die Grundvoraussetzung unserer Demokratie. Wir wissen, dass es eine absolute Wahrheit nicht gibt, sondern dass wir die beste Lösung für unsere Probleme finden, indem wir uns darüber auseinandersetzen, Argumente austauschen und in den dafür vorgesehenen gewählten politischen Gremien Mehrheiten finden.

Zu dieser Streitkultur aber gehört, dass wir uns im politischen Streit einig sind darüber, dass wir jeden bekämpfen, der uns das Recht auf Streit absprechen will, der uns eine absolute Wahrheit aufzwingen will. Toleranz hat ihre Grenze bei der Intoleranz.

Der philosophische Partner und Gegenspieler Friedrichs des Großen, der große französische Aufklärer Voltaire hat das preußische Toleranzgebot mit seinem berühmten Satz politisch weitergedacht:

“Mein Herr, ich teile Ihre Meinung nicht,
aber ich würde mein Leben dafür einsetzen,
dass Sie sie äußern dürfen.”

Ich denke, mit diesem Satz hat Voltaire klar formuliert, was die Basis unseres Zusammenlebens ist. Und Voltaire ist davon ausgegangen, dass wir diese Basis notfalls mit unserem Leben verteidigen müssen. Demokratischer Streit und demokratische Solidarität gehören untrennbar zusammen wie die beiden Seiten einer Medaille.

Es geht also nicht darum, dass wir politisch einer Meinung sind, aber es geht darum, dass wir gemeinsam die Grundlagen unserer offenen Gesellschaft verteidigen: Pluralismus, Menschenrechte, das Recht auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit, Respekt und Achtung vor dem anderen. Diese demokratischen Grundwerte müssen wir gegen Intoleranz und Terrorismus durchsetzen.

Wenn uns religiöse Fanatiker Schwäche, Dekadenz und Orientierungslosigkeit vorwerfen, dann müssen wir ihnen klarmachen, dass Toleranz und Offenheit nicht mit Schwäche zu verwechseln ist, sondern dass die offene Gesellschaft jeder autoritären, doktrinären Staatsform überleben ist. Wenn wir im Wahlkampf gegeneinander streiten, dann sollten wir nicht vergessen, dass wir in dieser geistig-politischen Auseinandersetzung zusammen stehen gegen die intoleranten Feinde unseres Gemeinwesens.

Wir müssen aufpassen, dass Politikverdrossenheit nicht dazu führt, die Grundlagen unseres Zusammenlebens in Frage zu stellen. Wenn Politik als schmutziges Geschäft bezeichnet wird, wenn Wahlkampf als unappetitliche Veranstaltung gesehen wird, auf der wichtige Zukunftsthemen unserer Gesellschaft nichts zu suchen hätten, dann halte ich dies für problematisch. Wahlkampf ist ein Lebenselexier unserer Demokratie. Wenn wir den Wählerinnen und Wählern unsere Argumente vortragen und um ein Mandat für die Ausübung politischer Ämter bitten, dann ist dies die Basis unsere Demokratie.

Allerdings darf es nicht zum Repertoire von Wahlkämpfern gehören, die Existenzberechtigung der gegenerischen Partei in Frage zu stellen. Im Gegenteil: Wenn wir verschiedener Meinung sind, dann sollten wir immer auch deutlich machen, dass jeder das Recht hat, seine Meinung zu äußern.

Wenn wir uns demokratisch streiten und gleichzeitig solidarisch die Grundlagen des demokratischen Streits verteidigen, dann ist das die beste Überzeugungsarbeit für unsere Demokratie – und solche Überzeugungsarbeit müssen wir jetzt leisten.

Amerika, das große und starke Vorbild für Freiheit und Demokratie, wurde von skrupellosen grenzenlos gewaltbereiten Terroristen angegriffen. Jetzt müssen wir aktiv Freiheit und Demokratie verteidigen, auch auf unserer kommunalen Ebene in unserem Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf, in weltweiter Solidarität mit den Vereinigten Staaten von Amerika, damit wir auch in Zukunft jederzeit frei unsere Meinung äußern dürfen.