Rede der Bezirksbürgermeisterin Monika Thiemen zur Gelöbnisfeier am Donnerstag, 4.3.2004, 15.00 Uhr in der Julius-Leber-Kaserne

Rede der Bezirksbürgermeisterin Monika Thiemen

zur Gelöbnisfeier

am Donnerstag, 4.3.2004, 15.00 Uhr in der Julius-Leber-Kaserne

Sehr geehrter Herr Oberstleutnant Utsch!
Sehr geehrte Sodatinnen und Soldaten!
Sehr geehrte Damen und Herrn!

Vielen Dank für die Einladung zu dieser Gelöbnisfeier. Ich bin gerne gekommen – nicht nur weil wir seit 1999 eine Patenschaft für die 5. Kompanie des Wachbataillons beim Bundesministerium der Verteidigung übernommen haben, sondern auch weil ich mich freue, Sie in Berlin begrüßen zu dürfen.

Sie haben ihren Wehrdienst angetreten in einer Zeit, in der sich die Aufgaben der Bundeswehr entscheidend ändern, in der die Bundeswehr grundlegend umorganisiert wird und in der sich auch das Bild der Bundeswehr in der Bevölkerung ändert.

Die Aufgabe der Landesverteidigung ist angesichts der europäischen Entwicklung glücklicherweise in den Hintergrund gerückt. Stattdessen ist unser Land jetzt wie alle anderen Demokratien zur Solidarität im Kampf gegen den internationalen Terrorismus verpflichtet und muss sich im Rahmen von UN-Beschlüssen an friedenserhaltenden Maßnahmen beteiligen.

Derzeit wird viel diskutiert über den Wandel Europas: Durch die Aufnahme neuer Länder in die Europäische Union wird die Gemeinschaft nicht nur größer, sondern auch anders. Eine europäische Verfassung ist in der Diskussion, und eine gemeinsame Außen- und Verteidigungspolitik wird immer dringlicher.

Die immer stärkere Einbindung in Europa verändert aber die Bundeswehr auch in ihren inneren Strukturen. An einem Beispiel wird das besonders deutlich:

Seit dem Jahr 2001 dürfen Frauen in allen Bereichen der Bundeswehr eingestellt werden. Für diese Neuerung musste unser Grundgesetz geändert werden, und zwar in Folge einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes. Er hatte entschieden, dass es gegen das Europäische Recht verstoßen hatte, dass in Deutschland Frauen keine regulären Soldatinnen werden durften.

Ich erwähne diese Änderung, die nun bereits drei Jahre zurückliegt, deshalb, weil sie ein gutes Beispiel ist für den Wandel, in dem sich unser Land und damit auch die Bundeswehr befindet. So wie wir alle gemeinsam lernen müssen, dass die deutsche Vereinigung nicht einfach den Eintritt Ost-Deutschlands in die Bundesrepublik Deutschland bedeutete, sondern einen grundlegenden Wandel für das ganze Land – so müssen wir auch lernen, dass die europäische Integration unseren Alltag verändert – vor allem, indem sie uns neue Chancen eröffnet. Die Chance für Frauen, in der Bundeswehr Karriere zu machen gehört dazu.

Der 8. März ist weltweit der Internationale Tag der Frau. In vielen Ländern ist es sogar ein offizieller Feiertag. Wir eröffnen übermorgen aus diesem Anlass den Charlottenburg-Wilmersdorfer Frauenfrühling. Den ganzen März über bieten wir eine Fülle von Veranstaltungen von und für Frauen an – auch Männer sind eingeladen, sich mit den nach wie vor bestehenden Fragen zu den Chancen und Rechten der Frauen in unserer Gesellschaft auseinander zu setzen. Höhepunkt wird am 29. März die Frauenmesse im Rathaus Charlottenburg sein und anschließend die Preisverleihung im Wettbewerb um den frauenfreundlichsten Betrieb in unserem Bezirk.

Ein Termin ist vielleicht auch für Sie interessant: Am Donnerstag, dem 18. März, um 17.00 Uhr enthüllen wir eine Gedenktafel für Annedore Leber an dem Haus, in dem sie vor 100 Jahren am 18. März 1904 geboren wurde an der Pariser Straße 14a. Annedore Leber war die Frau von Julius Leber, nach dem diese Kaserne benannt ist, und sie hat ihn in seiner Widerstandsarbeit gegen den Nationalsozialismus unterstützt. In der Nachkriegszeit war sie in vielfältiger Weise als Politikerin, Journalisten und im sozialen Bereich engagiert. Nicht nur Julius Leber war ein bedeutender Politiker und Widerstandskämpfer, sondern auch seine Frau war eine Persönlichkeit, der unsere Stadt und unser Land viel zu verdanken hat.

Die Wehrpflicht gilt nur für Männer. Im Rahmen der Diskussion über die nötige Umstrukturierung der Bundeswehr wird immer wieder die Forderung nach ihrer Umwandlung in eine Berufsarmee laut.

Ich halte von einer Abschaffung der Wehrpflicht nichts. Dem Argument der nicht mehr vorhandenen Wehrgerechtigkeit würde ich den Gedanken eines allgemeinen Sozialdienstes für Frauen und Männer entgegen setzen. Wir haben gute Erfahrungen damit gemacht, dass die Bundeswehr als Wehrpflichtarmee Teil unserer Gesellschaft ist.

Gerade die Auseinandersetzungen um den Irak-Krieg und Deutschlands Nichtbeteiligung an diesem Krieg haben gezeigt, dass unser Parlament und unsere Regierung auch gegen starken äußeren Druck souverän in ihren Entscheidungen sind und diese Entscheidungen im Sinne der großen Mehrheit der Bevölkerung unseres Landes treffen. Die Wehrpflicht trägt mit dazu bei, dass bei uns niemand sich eine solche Entscheidung über Krieg und Frieden leicht machen kann – und das ist gut so.

Unsere eigene Geschichte lehrt uns, wie gefährlich für die Demokratie eine Armee werden kann, die als Fremdkörper im Staat ein Eigenleben führt. Als Angehörige des Wachbataillons beim Bundesministerium der Verteidigung repräsentieren Sie die Bundesrepublik Deutschland bei internationalen Begegnungen und bei feierlichen Anlässen, die oft mit unserer Geschichte zu tun haben. Sei es im Nationalsozialismus oder während der SED-Herrschaft in der DDR – die Armee war in diesen Regimen nicht demokratisch legitimiert.

Das Beispiel der Soldatinnen zeigt uns auch, dass wir nicht überheblich sein sollten gegenüber europäischen Institutionen oder anderen, kleineren oder jetzt neu hinzukommenden europäischen Ländern. Nicht nur von den Anderen werden Anpassungs- und Lernprozesse erwartet, sondern auch von uns. Wir können und müssen in Europa und von Europa lernen.

Und wenn wir weiter eine aktive Rolle in Europa spielen wollen, dann ist es wichtig, dass wir Europa demokratisch mitgestalten und die bevorstehende Wahl zum Europäischen Parlament genauso ernst nehmen wie die Bundestagswahl oder Landtagswahlen in unserem Land. Ich bitte Sie also: Gehen Sie am 13. Juni zur Wahl!

Die Bundeswehr wird durch den Prozess der europäischen Integration nicht nur in ihrer inneren Struktur verändert, sondern ihre Aufgaben und Rahmenbedingungen werden grundsätzlich neu definiert. Wir befinden uns in einem Prozess , der zu einer immer engeren gemeinsamen europäischen Außen- und Verteidigungspolitik führt. Kaum eine wichtige Entscheidung über den Einsatz der Bundeswehr, kaum eine wichtige Entscheidung über Beschaffungen für die Bundeswehr wird ohne Abstimmung in Europa getroffen – und das ist gut so.

Für manche in Deutschland hat erst die Flutkatastrophe in Sachsen und Thüringen richtig bewusst gemacht, dass wir zusammen gehören – egal ob Ost oder West, neu oder alt. Nicht zuletzt die Bundeswehr hat bei der Bekämpfung der Fluten eine wichtige Rolle gespielt. Die Erfahrung einer Bedrohung und einer gemeinsamen Anstrengung zur Abwehr dieser Bedrohung schweißt zusammen. Das erlebt Europa nach der Erfahrung der Bedrohung durch den internationalen Terrorismus. Die unterschiedlichen Reaktionen in Europa auf die amerikanische Irak-Politik können darüber nicht hinweg täuschen. Im Gegenteil: Es liegt auf der Hand, dass wir in Europa nur gemeinsam den Frieden sichern können. Dazu leisten Sie in der Bundeswehr einen wichtigen Beitrag.

Mit unserer Patenschaft für die 5. Kompanie des Wachbataillons wollen wir dazu beitragen, dass die Soldaten der Bundeswehr sich hier in Berlin willkommen und heimisch fühlen.

Sie sollen sich nicht als Fremdkörper außerhalb der Gesellschaft empfinden. Deshalb freue ich mich sehr darüber, dass unsere Patenschaft sich längst zu einer lebendigen gegenseitigen Partnerschaft entwickelt hat. Sie unterstützen uns regelmäßig – sei es beim Fest der Nationen, bei der Pflege unseres Weinberges in der Partnerschaft mit dem Rheingau-Taunus oder bei vielen anderen Anlässen. Dafür danke ich Ihnen, den Angehörigen der 5. Kompanie des Wachbataillons herzlich, und ich hoffe, dass auch Sie sich bei uns in Berlin wohl fühlen und diese gute Tradition der Partnerschaft mit unserem Bezirk weiter aktiv mit Leben erfüllen werden. Sicher wird es im nächsten Jahr viele Gelegenheiten dafür geben, denn wir feiern dann das große Jubiläum “300 Jahre Charlottenburg”.

Für Ihren Dienst wünsche ich Ihnen viel Erfolg und alles Gute.

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