am Mittwoch, 21.1.2004, 19.00 Uhr im Theater Coupé
Sehr geehrte Mitglieder im Bündnis “Demokratie jetzt!”
Sehr geehrte Damen und Herrn!
Am 9. November 2001 verabschiedeten die Teilnehmer einer Fachtagung über aktuelle Widerstandsformen gegen Rechtsextremismus eine Einladung zur Gründungsveranstaltung für das Bündnis “Demokratie jetzt!” am 27. Januar 2002. Zwischen dem 9. November 2001 und dem 27. Januar 2002 also entstand dieses Bündnis für Demokratie.
Beide Daten, der 9. November und der 27. Januar, sind für uns, für die Demokratie in unserem Land, besonders wichtige, historisch belastete Daten. Es sind aber vor allem Daten, die uns zum Engagement aufrufen, ja uns zum Engagement geradezu zwingen.
Am 9. November 1918 rief Philipp Scheidemann vom Balkon des Reichstags: “Es lebe die Deutsche Republik!”. Fünf Jahre später, am 9. November 1923 putschte Hitler gemeinsam mit dem General Ludendorff gegen diese Weimarer Republik. Für dieses Mal scheiterte der Putsch, aber 15 Jahre später, am 9. November 1938 triumphierte der Nationalsozialismus. In der Pogromnacht wurde aller Welt gezeigt, wozu das Terrorregime fähig war: Die angezündeten Synagogen und die zerstörten jüdischen Geschäfte waren nur der Auftakt zu dem bis heute unfassbaren Verbrechen, das in den folgenden Jahren an Millionen Juden verübt wurde, zunächst an den jüdischen Deutschen, dann an den Juden in ganz Europa.
Am 27. Januar 1945 wurde das Vernichtungslager Auschwitz von der russischen Armee befreit. Seit 8 Jahren ist der 27. Januar in unserem Land der Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus.
Ich halte es gerade in der heutigen Zeit immer wieder für wichtig, an diese Daten, an diesen Teil unserer Geschichte zu erinnern. Denn am 9. November 1989 wurde die deutsche Teilung beendet, und damit ging die Nachkriegsgeschichte zu Ende. Seither gibt es eine wachsende Tendenz, diese Geschichte zu relativieren. Diese Tendenz wird wohl im nächsten Jahr, 60 Jahre nach Kriegsende, noch Auftrieb erhalten.
Es ist natürlich berechtigt und notwendig, auch an die deutschen Opfer des Bombenkriegs und an die Opfer der Vertreibungen nach dem Zweiten Weltkrieg zu erinnern. Aber diese Erinnerung kann und darf nicht gegen die Verbrechen der Nationalsozialisten aufgerechnet werden.
Denn diese waren es, die einen Krieg zunächst gegen Teile der eigenen Bevölkerung und schließlich gegen die ganze Welt begonnen haben.
Der 9. November und der 27. Januar mahnen uns, niemals mehr zuzulassen, dass etwas Ähnliches geschieht. Sie führen uns vor Augen, dass Demokratie keine Selbstverständlichkeit ist. Die Weimarer Republik ist letztlich gescheitert am Mangel an aktiven Demokratinnen und Demokraten.
Am 9. November 1989 hat eine Demokratiebewegung in der damaligen DDR auf friedlichem Wege die Mauer zu Fall gebracht, ein Unrechtsregime beseitigt und schließlich die beiden Teile Berlins und Deutschland wieder vereinigt. Nicht zuletzt diese Demokratiebewegung ist für uns heute ein Vorbild. Aus ihr können wir lernen, dass Demokratinnen und Demokraten viel erreichen können, wenn sie sich gemeinsam engagieren.
Das Bündnis “Demokratie jetzt!” wurde als überparteiliche Initiative gegründet vor allem zur Abwehr rechtsextremistischer und antisemitischer Aktivitäten. Mit unserer Besendemonstration gegen den Aufmarsch der NPD am 1. Mai des letzten Jahres haben wir ein wichtiges Zeichen gesetzt und inzwischen sogar in anderen Bezirken Nachahmer gefunden. Viele andere öffentliche Veranstaltungen und Aktivitäten haben erfolgreich für demokratische Beteiligung und politische Partizipation geworben.
Die Abwehr rechtsextremistischer und antisemitischer Tendenzen bleibt eine wichtige Aufgabe, aber demokratisches Engagement ist in unserer Gegenwart in einem viel umfassenderen Sinn notwendig. In der gegenwärtigen öffentlichen Diskussion und im Meinungsstreit der Parteien dominieren häufig rein finanz- und wirtschaftsorientierte Argumente.
Verschiedentlich wird die demokratische Struktur unseres Gemeinwesens in Frage gestellt, weil sie ein Hemmnis sei für die wirtschaftliche Entwicklung. Sowohl auf der Berliner Ebene als auch auf der Bundesebene wird über dezentrale oder zentralistische Strukturen gestritten. Demokratische Beteiligungsrechte vor Ort werden von manchen bestritten, von anderen dagegen eingefordert.
Jenseits der akuten Finanzkrise in unserer Stadt und in unserem Land geht es derzeit auch um grundlegende Fragen unserer Demokratie, und hier sollten sich aktive Demokratinnen und Demokraten einmischen. Gerade weil diese Themen nicht besonders schlagzeilenträchtig sind, müssen wir uns um sie kümmern, denn dabei geht es um die Zukunft unserer Demokratie.
Ich kämpfe gemeinsam mit meinen Kolleginnen und Kollegen in den anderen Bezirken um die Erhaltung und Stärkung der Selbstverwaltungsrechte der Berliner Bezirke und damit auch um die Beteiligungsrechte der Bürgerinnen und Bürger in den Bezirken. In diesem Kampf wünsche ich mir Unterstützung.
Unabhängig davon danke ich allen im Bündnis “Demokratie jetzt!” aktiven Demokratinnen und Demokraten für ihr Engagement, und ich wünsche dem Bündnis viel Erfolg in der Zukunft, vor allem weiterhin viele engagierte Mitglieder, denn unsere Demokratie ist eine Errungenschaft, um die wir uns kümmern müssen. Sie ist nicht selbstverständlich.